Hamburg. Der Saisonstart im Haus an der Munsburg war der Auftakt einer ganz besonderen Trilogie, auch AC/DCs Hit „Hells Bells“ kam zum Einsatz.
- Ohnsorg Theater, Ernst Deutsch Theater und Lichthof mit einem gemeinsamen Projekt
- Uraufführung am Ernst Deutsch Theater mit ungemein spielfreudigem Ensemble
- Zum Soundtrack gehört auch „Hells Bells“ von AC/DC
Es ist ein ungewöhnliches Projekt: Ohnsorg Theater, Ernst Deutsch Theater und Lichthof haben sich für eine Produktion zusammengeschlossen, die in der griechischen Mythologie fußt, damit aber ganz anders umgeht, als bisher bekannt und gewohnt.
Im Grunde genommen hat diese künstlerische Hamburger Irrfahrt vor zwei Jahren begonnen. 2022 überlegten der damalige Oberspielleiter des Ohnsorg-Theaters, Murat Yeginer, und Daniel Schütter, welches gemeinsame Thema das Ohnsorg und das Ernst Deutsch Theater (EDT) umsetzen könnten. Der Regisseur Yeginer sowie der am EDT groß gewordene Schauspieler und Musiker Schütter dachten an Weltliteratur, kamen so auf Homers „Odyssee“. Und holten als Dritten noch Matthias Schulze-Kraft und dessen Lichthof Theater mit ins Boot. Unter dem Motto „Ein Epos. Drei Theater“ nehmen sich die Bühnen frei nach Homer in dieser Spielzeit des antiken Stoffes an, auf ihre Art.
Mit der Neuschreibung „Odyssee oder das Kalypsotief“ von Daniel Schütter ist nun im Ernst Deutsch Theater der Anfang dieser Trilogie gemacht. Zum Saisonstart an der Mundsburg hat der Autor, ab 2025/26 neben Ayla Yeginer Co-Intendant am EDT, versucht, Homers erste acht Gesänge (ergo Kapitel) mit aktuellen Bezügen anzureichern.
Am Ernst Deutsch Theater: War Odysseus ein Kriegsverbrecher?
Regisseurin Johanna Louise Witt (33), die ihr Handwerk als Assistentin am Thalia Theater gelernt hat, inszeniert Schütters Fassung für sechs Schauspieler in 21 Rollen mutig-modern und mit Sinn für absurde Komik. Zwar geht es auch hier um die Irrfahrten und die Heimkehr des Odysseus nach einem Jahrzehnt im Krieg gegen Troja. Außer den Themen Flucht und Verfolgung rücken aber die Fragen nach der Verantwortung und Suche nach Heimat in einem unbekannten Land in den Blick.
War Odysseus wirklich solch ein großer Held? Wie viel von einem Kriegsverbrecher steckt in ihm? Und generell: Braucht es überhaupt derlei Heldenfiguren – oder doch lieber ein gemeinschaftliches Miteinander? Bezüge zu gegenwärtigen Kriegen sind für den Autor und die Regisseurin unerlässlich.
Im Ernst Deutsch Theater turnen die Götter über die Felsen
In der „Odyssee“ sind Menschen meist nur Spielball der Götter. Hier ist Odysseus mehr denn je in der Hand des Göttervaters Zeus. Julian Kluge füllt (unter anderem) diese beide Rollen trefflich aus, mal in poppiger Gold-Hose oder gebeugt und zerknautscht im Ledermantel. Als Zeus legt ihm Autor Schütter Sätze wie „Die Heutigen wissen alles viel besser“ (von Helmut Schmidt) oder „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich“ (Joachim Gauck) in den Mund.
Dieser Zeus steht hier nicht etwa auf dem Olymp, sondern auf einem grauen Felsbrocken. Zehn von ihnen bilden auf der Drehbühne ein Gutteil der Kulisse des aus Russland geflüchteten Bühnenbildners Mikhail Zaikanow. Sein nachhaltiges Konzept soll in abgeänderter Form später im Ohnsorg und im Lichthof Verwendung finden. Im Ernst Deutsch Theater turnen die Götter wie selbstverständlich über die Felsen.
„Hells Bells“ und ein Electro-Pop-Song animieren zum Mitklatschen
Im überzeugend spielfreudiigen Ensemble ragt einmal mehr Ines Nierii heraus. Ob als Odysseus‘ Gattin Penelope, als Seherin, Poseidon oder Neusikaa -- bei der Rolf-Mares-Preisträgerin von 2021 gleicht jeder noch so lange Monolog einem Ereignis: Eindringlich, berührend bis (herz-)erfrischend ist ihr Spiel. Fürs herrlich Absurde steht und tanzt Rune Jürgensen in gleich fünf Rollen, etwa als Hermes und Nestor sowie als König Alkinoos, der lieber zum Tanz als zum Schwertkampf auffordert.
Musik und Sound (von Chris Lüers und Max Kühn) bekommen in dieser „Odyssee“ auch ihren Raum. Gleich nach Penelopes Eingangsmonolog werden die Götter mit „Hells Bells“ von AC/DC vom Sockel geholt, kurz vor Schluss animiert Schauspieler Yann Mbiene beim Electro-Pop-Song mit dem Refrain „Ich will immer verloren gehen/In der weinroten See/ Odyssee, Odyssee, Odyssee“ das Publikum sogar zum Mitsingen und Mitklatschen.
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„Odyssee oder das Kalypsotief“ Vorstellungen bis 6.10., Karten zu 24,- (em. 9,-) bis 44,-, am Do 12., 19. und 26.9. bei Bedarf kostenlos, T. 040/22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de