Hamburg. „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ bietet Konzerte von sechs Künstlern, etwa Axel Prahl, Anna Depenbusch und Tim Fischer.

Die Schlussworte des Moderators Urban Priol gingen im tosenden Beifall unter. Da halfen weder Mikrofon noch das am Bühnenrand platzierte Megafon, das Thomas Collien und Ulrich Waller, die Chefs des St. Pauli Theaters, seit dem Vorfall am 2. Januar 2020 immer in die Elbphilharmonie mitbringen. Vorsichtshalber. Damals musste das Neujahrskonzert „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ im Großen Saal wegen eines technischen Defekts an einem angemieteten Ton-Mischpult abgebrochen werden – ein bis heute einmaliger Vorgang.

Doch wie schon im Vorjahr bei dem nach zwei Corona-Jahren endlich nachgeholten zweiten respektive dritten Konzert seit der Premiere Anfang 2019 ging auch an diesem langen Mittwochabend beim „kleinen Betriebsausflug von der Reeperbahn“, wie Collien das Neujahrskonzert selbstironisch nennt, fast alles glatt.

Sechs Konzerte in mehr als drei Stunden in der Elbphilharmonie

Getreu dem Motto „Denn dort an der Elbe, da wartet mein Glück“ hatte das Publikum im ausverkauften Konzerthaus am Hafen nach deutlich mehr als drei Stunden gleich sechs Mini-Konzerte erlebt, dazu mit Priol einen der hierzulande führenden Politkabarettisten, der auch die große Bühne liebt und beherrscht sowie mehr als Umbaupausen überbrückt.

Die unterfränkische Pointenschleuder, populär geworden neben Georg Schramm in „Neues aus der Anstalt“ (ZDF), drehte bei seinem aktuellen Rückblick auf 2022 in der zweiten Hälfte des Abends erst so richtig satirisch auf. Priol arbeitete sich nicht nur an Christine Lambrecht, der „Selbst-Verteidigungsministerin, Tempolimit-Gegner „Wirsing“ alias Verkehrsminister Wissing, die bürgerlichen Vorzeige-Grünen Kretschmann und Habeck, CDU-Oppositionsführer Merz und der „Bild“-Zeitung ab.

Urban Priol sinniert in der Elbphilharmonie übers Gendern

Persönlich betroffen griff er das Gendern auf, indem er seine Tochter (Ende 20) erwähnte, für die das Thema so wichtig sei wie ihn vor 40 Jahren der Kampf gegen Atomkraftwerke. „Wo wollt ihr denn die ganzen Sternchen endlagern?“, fragte sich da ironisch der Vater.

Auch auf Hamburg kam der Kabarettist zu sprechen, etwa auf den Ex-Bürgermeister und jetzigen Bundeskanzler: „Scholz kann man nicht parodieren, da müsste man Pantomime können“, spottete Priol. Und Hamburg müsse aufpassen, dass ob des Einflusses der Chinesen künftig beim Hafengeburtstag das Schlepper-Ballett nicht durch ein „Dschunken-Ballett“ ersetzt und die Elbphilharmonie durch die Chinesische Staatsoper besetzt werde, überspitzte Priol.

Tatort-Kommissar Axel Prahl begeistert musikalisch – trotz Textaussetzers

„Ganz schön spät geworden“, seufzte Gustav Peter Wöhler, als er kurz vor 23 Uhr als letzter der singenden künstlerischen Freunde des St. Pauli Theater loslegen konnte. Der Schauspieler, derzeit am Spielbudenplatz im Endproben-Stress für „Die Dreigroschenoper“, sang sich mit seiner Band um den herausragenden Gitarristen Mirko Michalzik trotz später Stunde dennoch schnell frei, brillierte bei seinen vier Songs insbesondere mit seiner Version von Van Morrisons „Carrickferges“. „Ich überleb’s“, die finale deutsche Fassung von Gloria Gaynors „I Will Survive“, galt schließlich im guten Sinn für alle Beteiligten.

Was machte es da, dass Wöhler ebenso mal einen Einsatz verpasst hatte wie zuvor Axel Prahl, der eine Textpassage bei seiner rockigen Ballade „Heute fang ich an“ vergaß. Der Münsteraner ARD-„Tatort“-Kommissar zeigte sich mit Gitarre und seinem versierten Inselorchester beim Debüt in der Elbphilharmonie als authentischer und bodenständiger Musiker.. „Wieso bist Du immer noch da?, so der Titel seines zweiten Songs, fragte man sich keineswegs – mit „Timpete“ und einem Refrain auf Plattdeutsch brachte der Schauspieler mit Holsteinischen Wurzeln das Publikum, mal getrennt in Männer- und Frauenchor, sogar zum Mitsingen.

Stefan Gwildis mit Streichquartett und Pianist

Das war vor der Pause auch Gala-Stammgast Stefan Gwildis gelungen. Hamburgs gereifter Soul-Bruder ließ sich diesmal von einem Pianisten und einem Streichquartett begleiten, er präsentierte gleich ein halbes Dutzend Lieder. Von seiner deutschem Bill-Withers-Fassung „Allem Anschein nach bist du’s“ über „Ich bin der Nebel“ bis zu seinem „Regenlied“ reichte die Setlist. Am 17. April gibt Gwildis noch mal seinen vertonten Wolfgang-Borchert-Abend im St. Pauli Theater.

Dort hatte seine Hamburger Kollegin Anna Depenbusch vor Jahren ihre erstes Konzert gespielt, erinnerte sie sich. Der vielseitigen Liedermacherin, die die Elbphilharmonie auch allein zu füllen versteht, reichte inmitten der vielen älteren Männer bei ihrem Set aus vier Songs ein Klavier, um wieder mal gekonnt zwischen Pop, Chanson, Jazz und Blues zu changieren. Ihr Lied „Alles auf Null“ mit der Textzeile „Es wird gut, es wird groß, es wird Gold“ möge für 2023 gelten, dachten sich viele im Saal.

Tim Fischer versprühte wieder großen Glanz

Ebenso wie Anna Depenbusch und Prahl war Theater- und Filmschauspieler Burghart Klaußner („Das weiße Band“, „Elser“) erstmals Teil des Allstar-Ensembles. Begleitet von seiner sechsköpfigen Band gab der gebürtige Berliner Auszüge seines Programms „Zum Klaußner“. Von „Wenn ich vergnügt bin, muss ich singen“ über „Puttin On The Ritz“ bis zu „Cheek To Cheek“ hatte er es zum Auftakt swingen lassen und mit dem „Hamborger Keddelklopper“ noch etwas Lokalkolorit verbreitet.

Den größten Glanz indes versprühte wieder mal Tim Fischer. Mit roter Perücke und iim roten, geschlitzten Lackkleid war der Star des deutschsprachigen Chansons mehr als nur ein Hingucker. Bei seiner Hommage an den Wiener Komponisten und anarchischen Dichter Georg Kreisler mit Teilen seines neuen Programm „Tigerfest“ bekam das Lied „Sagen Sie, Frau Zimmermann“ dank des fulminanten Trios um Bassist Oliver Potratz eine erstaunlich moderne Note. Und der Schauspieler Fischer nutze als einziger Künstler die große Bühne voll aus, bespielte den Saal rundum und verteilte beim Lied „Ich liebe dich“ in den ersten Reihen sogar Mundküsse. Noch gewöhnungsbedürftig.

Zur Erinnerung: Vor einem Jahr hatte „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ noch als 2G-Veranstaltung mit Maskenpflicht am Platz stattgefunden. Nun ist Zeit zum Durchatmen – hoffentlich nicht nur Anfang 2023.