Hamburg. Schauspielerin Mechthild Großmann steht erstmals am St. Pauli Theater auf der Bühne – in einer neuen Komödie von Yasmina Reza.

Fast wähnt man sich als Besucher bei Loriot: Das markante grüne Sofa im zweiten Stock des St. Pauli Theaters sieht aus wie jenes, auf dem der legendäre Satiriker von Mitte der 1970er an mit seiner kongenialen Hamburger Partnerin Evelyn Hamann seine Sketche und Cartoons im ARD-Fernsehen präsentierte. Das Original-Möbel steht übrigens seit 2011 im Foyer von Radio Bremen.

An diesem Nachmittag erhebt sich Mechthild Großmann behende und lachend vom Couch-Duplikat. Bremen hat auch in ihrem Leben eine wichtige Rolle gespielt, wird sie später verraten. Doch erst einmal zählt jetzt in Hamburg das gesprochene Wort. Die Schauspielerin („Ich war immer ein Nordlicht“) scheint angekommen im ältesten Privattheater der Stadt, zielgerichtet geht es in den Besprechungsraum. Der ist aufgrund seiner Deckenmalerei denkmalgeschützt – so weit ist es mit Mechthild Großmann noch nicht.

St. Pauli Theater: „Tatort“-Star Mechthild Großmann erstmals auf dem Hamburger Kiez

Ihren 75. Geburtstag hat die bekannte Schauspielerin kurz vor Weihnachten gefeiert. In Hamburg. Hier lebt sie schon seit 1997. Weiß nur kaum jemand, außer vielleicht ihren lieben Nachbarn auf der Uhlenhorst wie etwa Bestsellerautorin Carmen Korn. Ende Dezember vorigen Jahres hat sich nun ein fünfköpfiges Ensemble am St. Pauli Theater zu einer ersten Leseprobe getroffen, sagt Mechthild Großmann. Am 19. Februar hat sie in „James Brown trug Lockenwickler“ Premiere, einer weiteren Komödie der französischen Erfolgsautorin Yasmina Reza.

Das große Publikum verbindet Mechthild Großmann mit ihrer Rolle der Staatsanwältin Wilhelmine Klemm im Münsteraner ARD-„Tatort“. Die oft skurrilen Komödien haben sich seit 2002 mit teilweise mehr als 14 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern zum populärsten bis heute laufenden deutschen Krimi entwickelt.

Mechthild Großmann: „Fünf Prozent Fernsehen, 80 Prozent Theater“

Ihren Part in den meist jeweils zwei Folgen pro Jahr hat die Schauspielerin mal als „Röllchen“ bezeichnet. „Das ist Fernsehen!“, sagt sie akzentuiert mit leicht herablassender Geste. „Im Theater spiele ich ganz andere Rollen“, ergänzt sie mit noch mehr Bestimmtheit. „Hier habe ich deutlich mehr Anteile als im TV.“

Sie habe in ihrem Leben immer mehr Theater gemacht als für Film und Fernsehen gedreht, beginnend mit der Rolle der Hure Paula in Rainer Werner Fassbinders wegweisender 14-teiliger ARD-Serie „Berlin Alexanderplatz“ 1980. Nur fünf Prozent mache die Fernseharbeit aus. „Zu 15 Prozent habe ich gelesen, 80 Prozent waren Theater“, rechnet Mechthild Großmann präzise vor.

Nur 1969 spielte sie bisher länger in Hamburg – mit Heinz Erhardt

Auf Genauigkeit legt sie Wert, die Künstlerin mit der markanten tiefen Stimme, die seit fast 55 Jahren auf der Bühne steht. Seit ihrem ersten festen Engagement von 1969 bis 1973 beim Intendanten Kurt Hübner, übrigens ein gebürtiger Hamburger, am damals deutschlandweit bekannten progressiven Theater Bremen. Dort hatte sie auch mit dem 2018 gestorbenen und bis zuletzt ebenfalls am St. Pauli Theater beschäftigten Regisseur und Bühnenbildner Wilfried Minks gearbeitet.

Hat Mechthild Großmann, der heutige TV-Star, außer bei Gastspielen überhaupt schon mal länger in Hamburg gespielt? Doch, einmal Ende der 60er, kurz vor ihrer Bremer Zeit, erinnert sie sich. Da war sie mal drei Monate lang an der Kleinen Komödie des Impresarios und Kabarettisten Peter Ahrweiler am Neuen Wall beschäftigt. Ihr damaliger Spielpartner: ein gewisser Heinz Erhardt.

Mechthild Großmann und Pina Bausch – eine Theater-Geschichte für sich

„Ich war nie eine Peymann- und Zadek-Schauspielerin“, widerspricht Großmann energisch einem immerfort falschen Wikipedia-Eintrag, obschon sie in den wilden 70ern auch an deren Bühnen, dem Staatstheater Stuttgart und dem Schauspielhaus Bochun, engagiert gewesen war. Wohl aber ist sie eine Künstlerin, deren Schaffen eng mit dem von Pina Bausch verknüpft war.

Die Art und Weise, wie sie 1975 den Weg zur legendären Choreografin fand, könnte allein für sich ein höchst amüsantes Hörspiel sein, so bild- und lebhaft, wie Frau Großmann die Story erzählt. In Kürze: Nachdem Pina Bausch die damals 27-Jährige in Wuppertal in „Kabale und Liebe“ gesehen hatte, lud sie die Schauspielerin zum Vorsprechen. „Ich war immer recht sportlich und konnte Bewegungen sehr gut adaptieren. Aber ich würde mich niemals als Tänzerin bezeichnen“, gesteht Großmann. Jedoch bat Pina Bausch sie damals, etwas zu singen. Das konnte die Schauspielerin eigentlich noch weniger als tanzen.

Die Arbeit am St. Pauli Theater, für die Schauspielerin „sehr unkompliziert“

Großmann schildert, wie sie den Notenständer immer höher schob, mit ihrer schon damals rauchigen Stimme irgendetwas von Brecht brummte, bis Bausch – Mechthild Großmann ahmt den Tonlage mit deren hoher Stimme nach – plötzlich „Dann wollen wir beide es mal miteinander versuchen!“, sagte. „Ich dachte, die Frau muss verrückt sein!“, erinnert sich Großmann. Sie ahnte nicht, dass daraus eine 34-jährige Zusammenarbeit entstehen sollte.

Von Pina Bausch zu Ulrich Waller, dem Künstlerischen Leiter des St. Pauli Theaters, ist es zwar ein gewaltiger Sprung, doch Mechthild Großmann empfindet die Probenarbeit mit und den Regisseur selbst als „sehr angenehm“. Die Schauspielerin: „Wenn man etwas macht, sagt er auch etwas dazu. Und er macht einem auch Mut.“ Ohnehin empfindet sie die Arbeit und das Haus, das sie bis dato nur von gelegentlichen Premierenbesuchen kannte, als „sehr unkompliziert“.

„James Brown trug Lockenwickler“, für Großmann „sehr besonders“

So kann sie trotz ihres ersten längeren Hamburger Gast- und Heimspiels seit 1969 weiterhin einem Engagement am Theater Münster nachgehen: In dem US-amerikanischen Epos „Das Vermächtnis“ über eine Gruppe Schwuler dreier Generationen spielt Großmann eine 81-Jährige. Über zweimal drei Stunden geht es darin von den 1980ern in New York mit der Seuche Aids bis zum Trump-Hype 2016.

Obwohl auch jenes Stück komische Züge in sich trägt, versprechen Gesellschaftskomödien der französischen Schriftstellerin und Theaterautorin Yasmina Reza („Kunst“, „Der Gott des Gemetzels“, „Bella Figura“) in der Regel noch mehr feinen Wortwitz und bösen Zynismus. An „James Brown trug Lockenwickler“ hat Großmann deshalb nicht nur der schräge Titel gereizt, „das Stück ist schon sehr besonders“, sagt sie.

Als namenlose Psychiaterin steckt sie mittendrin in „einer Art Erholungsheim“

Es stellt die Frage „Wer bin ich eigentlich?“ mit einem neuen Bezug, indem es Menschen mit instabillen Identitäten in den Vordergrund rückt und mit ironischem Unterton Fragen und Kommentare zur Gegenwart liefert. Einer der Beteiligten denkt etwa, er sei Celine Dion und lebt es voll aus, sein weißer Freund glaubt, er sei schwarz.

Und Mechthild Großmann steckt als namenlose Psychiaterin mittendrin. „Unsere Patienten denken, dass wir in einer Art Erholungsheim sind“, sagt sie und rezitiert sogleich einige Passagen. Ihr Part ist offensichtlich mehr als ein Röllchen: „Ich kämpfe noch verzweifelt mit den Textmengen“, sagt sie entwaffnend ehrlich.

Wenn Professor Boerne (Jan Josef Liefers, l.) und Kommissar Thiel (Axel Prahl), hier im WDR-“Tatort“ mit der Folge „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ (2023) ermitteln, hält sich Mechthild Großmann als Staatsanwältin Klemm meist im Hintergrund.
Wenn Professor Boerne (Jan Josef Liefers, l.) und Kommissar Thiel (Axel Prahl), hier im WDR-“Tatort“ mit der Folge „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ (2023) ermitteln, hält sich Mechthild Großmann als Staatsanwältin Klemm meist im Hintergrund. © WDR/Taimas Ahangari | WDR/Taimas Ahangari

Für den Münsteraner „Tatort“ reist Mechthild Großmann meist nach Köln

Und so oft, wie viele Fernsehzuschauer denken, kommt Mechthild Großmann gar nicht zum „Tatort“ nach Münster, wo sie geboren ist und bis zum neunten Lebensjahr mit ihren Eltern gewohnt hat. „Für die meisten Szenen muss ich nach Köln“, berichtet sie. Die meisten spielen im Büro von Kommissar Thiel alias Axel Prahl. „Ihn sehe ich beim Dreh fast immer, weil er ja mein Untergebener ist“, so Großmann. „Obwohl manche immer noch denken, dass es umgekehrt ist“, fügt sie lächelnd hinzu. Manchmal werden vier kurze Sequenzen mit ihr an einem Tag gedreht.

Der Münsteraner „Tatort“ habe auch etwas von Theater, meint Mechthild Großmann, „weil wir uns dort seit 22 Jahren kennen“. Und: Die Stamm-Crew mit sechs Darstellern um Prahl und Jan Josef Liefers alias Gerichtsmediziner Professor Boerne ist größer als bei anderen Krimis.

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Wenn der im Herbst abgedrehte neue Münsteraner „Tatort“ mit dem Titel „Unter Gärtnern“ am 17. März in der ARD läuft, wird sie wie oft sonntags um 20.15 Uhr nach Möglichkeit auch zuschauen. „Ich kenne den Film bis dahin doch selbst nicht. Das will man dann doch wissen, selbst wenn man dann darüber herzieht...“

Ob das nach ihrem Debüt am St. Pauli Theater passiert, wird sich zeigen. Das Timing ist jedenfalls perfekt: Ihr Hamburger Bühnen-Engagement endet am „Tatort“-Vorabend.

„James Brown trug Lockenwickler“ Previews Sa 17.2., 19.30, So 18.2., 18.00, Premiere Mo 19.2., 19.30., bis 16.3., St. Pauli Theater, Karten zu 22,- bis 64,- (zzgl. Gebühren) in der Hamburger-Abendblatt-Geschäftsstelle, Gr. Burstah 18-32, Ticket-Hotline T. 040/30 30 98 98; www.st-pauli-theater.de