Hamburg. Am St. Pauli Theater treffen sich Stefan Kurt und Sven-Eric Bechtolf zum „Endspiel“ – in Rollen, die sie schon am Thalia spielten.

Das neue Jahr ist noch jung, doch am St. Pauli Theater geht es um letzte Dinge. Es wird geprobt: Die Schauspielstars Sven-Eric Bechtolf und Stefan Kurt stehen ab Sonnabend als Teil eines vierköpfigen Ensembles in der Premiere von Samuel Becketts „Endspiel (Fin de Partie)“ (1956) in der Regie von Wolf-Dietrich Sprenger auf der Bühne. Es ist nicht das erste Mal. Bereits 1992 haben sie den Klassiker des absurden Theaters in Hamburg gespielt, schon in der Ära Jürgen Flimm am Thalia Theater gab Bechtolf den gelähmten und blinden Hamm und Kurt den steifbeinigen Clov. Ein Gespräch über Vergänglichkeit, Weisheit, Scheitern und – Menschlichkeit.

Hamburger Abendblatt: Anlässlich der Wiederaufnahme in Zürich 2003 haben Sie, Herr Bechtolf, gesagt, eigentlich müsse man dieses schwebende, komisch-traurige Stück Theater alle 20 Jahre spielen. Warum?

Sven-Eric Bechtolf: Da das Stück sehr viel mit dem Altern und dem Vergehen zu tun hat, war das auch passend. Wenn ich meinen Verwesungsprozess so überprüfe, würde ich sagen, lieber alle fünf Jahre.

Stefan Kurt: Aus Jux heraus haben wir das gesagt. Ach, alle zehn Jahre fände ich schon gut.

Welche Erinnerungen haben Sie an die erste Hamburger Premiere?

Bechtolf: Das Stück ist ja seinerzeit herausgekommen, weil ein anderes Stück ausfiel.

Schauspieler Stefan Kurt: „Wir haben uns im Theater eingeschlossen und da geschlafen“

Kurt: Es gab eine Notlage, und Flimm sagte, ich brauche in drei Wochen ein Stück auf der großen Thalia-Bühne, und bot Sprenger „Endspiel“ an. Wir hatten drei Wochen Zeit.

Bechtolf: Es war irre kurz, was gut war.

Warum war das gut?

Kurt: Wir haben uns ins Theater eingeschlossen. Haben dort geschlafen, sind morgens aufgestanden, haben Text gemacht, geprobt und uns drei Wochen lang in dieses Universum begeben. Das ging auf.

Warum ist Becketts Klassiker des absurden Theaters von 1956 mit seinem hohen Grad an Abstraktion, Reduktion und auch einer gewissen Rätselhaftigkeit heute noch aktuell?

Kurt: Ich glaube, in der heutigen Zeit, in der alles erklärbar ist und man sich überall Fakten holen kann …

Bechtolf: … auch alternative Fakten …(lacht)

Kurt: … tut dieses rätselhafte Stück vielleicht gut. Wo die Wahrheit in der Imagination der Zuschauer liegt. Es zeigt uns Menschen, wie wir sind, ohne Antworten zu geben.

Sven-Eric Bechtolf: „Aus der Aufführung eines Beckett-Stücks kommen nur die Figuren von Beckett deprimiert heraus“

Bechtolf: Die Regisseure Peter Hall und Peter Brook haben einmal etwas sehr Ähnliches über Samuel Beckett gesagt. Es ging ungefähr so: Aus der Aufführung eines Beckett-Stücks kämen nur die Figuren von Beckett deprimiert heraus. Das Seltsame ist, dass die paradoxale Kraft des Theaters dazu führt, dass die beckettsche Finsternis aus irgendeinem Grund Heiterkeit und Lebenszuversicht evoziert. „Endspiel“ ist existenziell düster. Obwohl es absolut illusionslos ist, ist es auf eine seltsame Weise heiter, menschlich und hat eine humane Dimension.

Kurt: Beckett wurde von seinen Schauspielern nach dem Sinn, der Botschaft seiner Stücke gefragt und antwortete: Wenn ich es wüsste, würde ich es sagen.

Bechtolf: Beckett hat sich jeder Interpretation verweigert. Insofern ist es auch für uns schwierig über Interpretierbarkeit oder Aktualität des Stückes zu reden. Das will das Werk auch gar nicht. Es ist das, was es ist.

Kurt: 1936 besuchte Beckett Hamburg und war sehr fasziniert von Caspar David Friedrich, weil er den Menschen einsam in den Weiten der Natur gezeigt hat.

Die Schauspieler Sven-Eric Bechtolf (links) und Stefan Kurt kehren am St. Pauli Theater gemeinsam auf eine Hamburger Bühne zurück.
Die Schauspieler Sven-Eric Bechtolf (links) und Stefan Kurt kehren am St. Pauli Theater gemeinsam auf eine Hamburger Bühne zurück. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Hamm versucht, dieser postapokalyptischen Welt Sinn abzuringen, indem er Clov die Gegenwart durch sinnlose Handlungen kontrollieren lässt. Ist Weitermachen die einzige Lösung im Angesicht des Endes der Zivilisation?

Bechtolf: Weitermachen klingt so optimistisch. Ich würde es mit Beckett ausdrücken: scheitern. Wieder scheitern. Besser scheitern.

Was zeichnet die beiden von Ihnen gespielten Figuren Hamm und Clov aus, die ja ein fragwürdiges Diener-Herr-Verhältnis aneinander bindet?

Bechtolf: Für Beckett war die Identität etwas Fragiles. Das ist ziemlich modern. Die beiden spielen ununterbrochen, holen immer neue Charakterfacetten hervor, aber in Wahrheit sind sie eine hegelsche Doppelfigur: Herr und Diener. Der eine ist blind und im Rollstuhl, der andere kann gerade noch gehen. Der eine weiß, wie der Speiseschrank aufgeht, der andere würde, wenn er rausginge, sterben. Es ist eine monströse Grundsituation, ohne dass man weiß, was wirklich passiert ist.

Kurt: Ist der eine der Sohn des anderen oder nicht? Man weiß es nicht.

Stefan Kurt am St. Pauli Theater: „Wir sind hoffentlich nicht mehr so eitel wie damals ...“

Bechtolf: Ist die Welt wirklich untergegangen? Für uns ist das natürlich furchtbar aktuell, aber es könnte auch eine Setzung sein, die etwas zu tun hat mit der Unvermeidbarkeit des Endes. Wir landen da.

Was reizt Sie an Ihren Rollen, dass Sie sich nun wieder in sie hineinstürzen?

Kurt: Es ist die Neugier zu schauen, ob diese 20 Jahre Pause mehr Lebensweisheit befördert haben.

Bechtolf: Wir sind eine Viertelstunde schneller geworden. 30 Jahre hat das gebraucht. Wie viele Sekunden sind das pro Jahr?

Kurt: Wir sind hoffentlich nicht mehr so eitel wie damals ...

Sven-Eric Bechtolf (links) auf der Bühne des St. Pauli Theaters in Hamburg: „Ich will mit Stefan spielen!“
Sven-Eric Bechtolf (links) auf der Bühne des St. Pauli Theaters in Hamburg: „Ich will mit Stefan spielen!“ © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Bechtolf: Und ich will mit Stefan spielen. Das ist der eigentliche Grund.

Kurt: Das geht mir genauso!

Welche Rolle spielen Nell und Nagg, die Eltern Hamms in diesem ungesunden Machtgefüge?

Bechtolf: Irgendwo nehmen die Dinge ihren Anfang, und die Eltern sind noch mal eine Steigerung des Duos. Der Gedanke, dass sie in Mülltonnen untergebracht sind, erzählt auch viel über uns heute. Nell hat ein seltsames bockiges, trotziges Eigenleben. Dann stirbt sie angeblich, aber ob das stimmt, weiß man auch nicht.

Viele Inszenierungen zeichnen diese beiden ja als Clowns.

Bechtolf: Das sind sie auch, aber eben nur zum Teil. Laurel und Hardy sind ganz eindeutig Vorbilder. Das kann man geradezu riechen. Abgesehen davon, dass es nachgewiesen ist. Da stecken der weiße Clown und der dumme August drin.

Kurt: Es ist auch wie ein Varieté, wo immer wieder der Vorhang hochgeht. Und es dann doch Spaß macht, die 2000. Vorstellung zu spielen.

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Wolf-Dietrich Sprenger ist ja für eher textgenaues, klassisches Partitur-Theater bekannt. Wie würden Sie seine Regie beschreiben und worin liegen die Unterschiede zu damals?

Kurt: Wir sind alle älter geworden, aber für mich ist er noch immer eine Autorität.

Bechtolf: Damals war er 49 Jahre alt, jetzt ist er 81 und hat eine eher buddhistische Weisheit erlangt. Er braucht gar nicht mehr so viele Worte.

Das Stück wurde vielfach als Allegorie gelesen. Der Mensch drücke sich vor der Wahrheit des eigenen geschichtlichen Handelns. Wie sehen Sie die Bedeutung des Stückes im Angesicht unserer aktuellen weltweiten Krisen?

Bechtolf: Jede Zeit hat ihre Krisen. Und gerade haben wir eine entsetzliche mit den Kriegen und den Folgen des Klimawandels. Aber damit kann das Stück nicht konkurrieren. Ich glaube, dass Beckett zu den Autoren gehört, die über die Vorläufigkeit unserer Einsichten Bescheid wussten. Das Stück knüpft an die Erkenntnis an, dass wir sehr kurzsichtig sind. Und dass wir aus furchtbaren Erfahrungen wenig lernen. Beckett war, wie schon Peter Hall sagte, jemand, der in das absolute Grauen sah, ohne zu blinzeln. Das erfordert sehr viel Mut.

„Endspiel (Fin de Partie)“ Premiere Sa 6.1., 19.30 Uhr, weitere Vorstellungen bis 10.1., St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30, Karten unter T. 47 11 06 66; www.st-pauli-theater.de