Hamburg. Musikerin Bernadette La Hengst erlebte mit ihrer Band reichlich Sexismus. Trotz Einschränkung: Toll waren die 90er in Hamburg dennoch.
Seit April kann man endlich das Werk der, aber sicher doch, unvergesslichen Hamburger Band Die Braut haut ins Auge auf allen Streamingdiensten hören. Vier Alben, zwischen 1990 und 2000 erschienen; da ist alles toll dran, nicht allein der auf ewig glorreiche Bandname. Für den Herbst ist ein Vinyl-Best-of terminiert. Und jetzt schon kann man Bernadette La Hengst, die Frontfrau, in einer neuen Doku erleben. Die NDR-Journalistin und Zeitzeugin Natascha Geier versucht, mit „Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik“ die wilden Jahre des Indierock aufzuarbeiten. Historisch ist diese Hamburger Schule längst geworden, die Songs aber sind geblieben. Und Verwunderung über eine arg männliche Szene. Das Abendblatt sprach mit der seit Langem in Berlin lebenden Bernadette La Hengst, die heute 56 Jahre alt ist, über ihre Hamburg-Jahre.
Bernadette La Hengst, im Dokufilm über die Sterne, in dem auch Sie zu Wort kommen, beschreibt Tocotronic-Bassist Jan Müller die Hamburger Szene als „sehr ernst, sehr politisch, sehr männerdominiert“. Außerdem stellt Myriam Brüger fest, wie „erschreckend“ das im Nachhinein sei, diese vielen Bands „nur mit Männern“. Wie blicken Sie auf Ihre Vergangenheit als Musikerin in Hamburg zurück?
Bernadette La Hengst: Neben der Ernsthaftigkeit gab es auch immer Humor, den fand man bei Rocko Schamoni, den Goldenen Zitronen, bei der Band Huah und ein bischen auch bei Die Braut haut ins Auge. Selbstironie und Spielfreude könnte ich es auch nennen. Der politische Diskurs wurde angeführt von ein paar männlichen Alphatieren, die am lautesten waren, und deshalb am meisten gehört wurden. Es gab ja durchaus einige Musikerinnen in Hamburg, viele haben sich aber nicht getraut, alles aufs Spiel zu setzen, um von der Musik zu leben, vielleicht wurde den Männern mehr Selbstvertrauen beigebracht, auch durch männliche Role Models, die ihnen so eine unsichere Künstlerexistenz vorgelebt haben. Manche Musikerinnen bekamen schon Anfang der 90er Kinder und haben deshalb die Musik auf Eis gelegt, während die Männer, die Kinder bekommen haben, das nicht gehindert hat, weiter auf Tour zu gehen. Das hat auch etwas mit struktureller Ungleichheit zu tun.
Wurde das damals thematisiert, wenn man sich auf dem Hamburger Berg traf? Dass es praktisch nur Männerbands gab?
Nein, nicht wirklich. Die intellektuellen Typen haben sich ja alle als Feministen bezeichnet und wollten das nicht sehen. Anstatt Frauen in die Band zu holen, wurde immer gesagt, es gibt ja keine Musikerinnen, die gut genug sind. Nur in der Band Huah hat eine tolle Schlagzeugerin gespielt. Und hier und da gab es mal eine Bassistin. Sie haben es sich zu einfach gemacht, ich glaube, man wollte unter sich bleiben.
Bernadette La Hengst: „Ausziehen!“-Rufe auf jedem zweiten Konzert
Welche Erfahrungen haben Sie im Musikbusiness mit Sexismus gemacht?
Männliche Fotografen, die riefen: Hey Rot-Röckchen, zieh nicht so ’ne Schnute. Live-Mischer, die meinen männlichen Gastmusiker fragten, wie der Sampler funktioniert, obwohl er keine Ahnung davon hatte. Journalisten, die in erster Linie über unsere Weiblichkeit schrieben und selten über Texte und Musik. „Ausziehen!“-Rufe bei jedem zweiten Konzert Anfang der 90er. Unglaublich, aber wahr.
Warum wurde Die Braut haut ins Auge nicht gezielter als weiblicher Gegenentwurf zu beispielsweise Bands wie Blumfeld aufgebaut? Oder war das zumindest ansatzweise doch so?
Wir wollten unsere Identität als Band ja selbst bestimmen. Die Plattenfirma BMG war überfordert mit uns, weil wir dauernd alles infrage stellten. Und die Versuche, uns zu einer Marke „aufzubauen“, haben wir eher abgelehnt. Wir wollten gar nicht wie Blumfeld sein, das war uns zu verschwurbelt. Wir haben ja unsere ganz eigene musikalische Form gefunden, irgendwie zwischen den Stühlen von 60s-Beat-Punk, Indie-Pop und Chanson.
Sie haben früh festgestellt, dass Sie finanziell und vom Support seitens der Plattenfirmen gegenüber männlichen Kollegen deutlich im Nachteil waren. Wie desillusionierend war das damals?
Wir mussten alle zusätzlich zur Musik noch arbeiten, bei mir ging das von Straßenmusik über musikalische Früherziehung bis zum Job in einem Stoffhandel. 1999 gründete ich meine Booking Agentur B.H. Booking für weibliche Musikerinnen und war Promoterin bei What’s So Funny About. Auf der einen Seite war es manchmal schwierig, das alles unter einen Hut zu bekommen, aber auf der anderen Seite bin ich froh, dass vor allem die anderen Bräute nie ihre Berufe aufgegeben haben, denn so wurden sie nach der Auflösung der Braut aufgefangen. Ich sehe es für mich so: Durch viele meiner Jobs und andere Aktivitäten wie den Hamburger Buttclub oder das Gründen feministischer Netzwerke haben sich neue Türen geöffnet, zum Beispiel auch ins Theater, von dem ich seit 20 Jahren hauptsächlich lebe.
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In der neuen, im Übrigen sehr gelungenen Doku zur Hamburger Schule von Natascha Geier hadern Sie im Nachhinein damit, sich nicht gegen Ansagen wie die Ihres Managers gewehrt zu haben, bloß nicht zu fordernd zum Beispiel im Hinblick auf Vorschüsse für Ihre Band zu sein. Ich würde Sie jetzt zunächst mal eher in Schutz nehmen: Vielleicht gab damals das ja auch weibliche Publikum männlichen Bands einfach eine andere Gewichtigkeit. Die hatten dadurch mehr kommerziellen Erfolg. Die hatten dadurch ein anderes Ansehen. Und bekamen die dicken Vorschüsse. Fügte man sich ins Unvermeidliche, wenn man sich als Frau hinten anstellte?
Nun ja, wir hatten ja auch ein weibliches Publikum, für die wir mehr Freundinnen waren als Konkurrentinnen. Ich glaube, es war auch ein gut gemeinter Ratschlag unseres Produzenten Frank Dostal, der nicht wollte, dass wir nach einem Album wieder rausgeschmissen werden, weil wir nicht genug verkauft hatten. Auf der anderen Seite ist es ein typisch weiblich konnotiertes Stereotyp, dass Frauen immer bescheiden sein sollen. Und das ärgert mich. Allerdings gab es auch viele Männerbands, die keine Vorschüsse bekommen haben. Wir haben zumindest wochenlang in großen Studios aufgenommen, ein Luxus, der heutzutage unvorstellbar ist.
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Steile These: Wollen weibliche Popfans sich heute unter Umständen eher mit den Leuten (Frauen) auf der Bühne identifizieren als diese (Männer) anzuhimmeln, wie es früher unter Umständen der Fall war?
2003 habe ich mit 100 anderen Frauen in Hamburg zusammen das erste feministische Ladyfest in Deutschland organisiert. Wir haben vier Tage lang etwa 100 Bühnen der Stadt bespielt, es war wirklich eine große Sache. Da gab es den schönen Slogan: Don’t fall in love with the guitarist, be the guitarist. Ich glaube, dass sich seitdem vieles geändert hat. Es gibt mehr Frauen auf den Bühnen, deshalb können sich auch mehr Frauen damit identifizieren. Und es gibt mehr Frauen auf der Bühne, weil sie inspiriert wurden von anderen, die es ihnen vorgelebt haben.
Bernadette La Hengst: Kritikerlob? Kann sie sich nicht dran erinnern
Es gab ja immerhin stets Kritikerlob und Publikumszuspruch für Sie und Ihre Band: Denken Sie je darüber nach, ob Sie mit der Karriere, jenseits der historischen Ungerechtigkeit der weiblichen Deklassierung von Die Braut haut ins Auge zufrieden sind?
Wir hatten ein treues Publikum, aber Kritikerlob? Daran kann ich mich nicht erinnern. Das lag unter anderem daran, dass die meisten Journalistinnen und Journalisten so eingenommen waren von der „Diskurshoheit“ der männlichen Bands in der sogenannten Hamburger Schule. Unsere Freundinnen und Freunde von F.S.K. aus München, die uns sehr wertgeschätzt haben, rieten uns immer: Eröffnet euren eigenen Diskurs. Vielleicht hätten wir mehr darauf hören sollen und uns schon in den 90ern mehr zu einem neuen Feminismus bekennen anstatt uns vom 80er-Jahre-Feminismus abzugrenzen. Diese Erkenntnis kam mir erst später. Allerdings wollten wir ja auch einfach als eine gute Band mit interessanten vielseitigen Texten wahrgenommen werden und nicht in erster Linie als Frauen. Heutzutage ist das anders, ich schreibe Songs über so viele verschiedene Themen, politisch, feministisch und auch persönlich und habe keine Angst, vereinnahmt oder in eine Schublade gesteckt zu werden. Ich hab mir mein eigenes Genre erschaffen.
Man hat heute den Eindruck, dass nicht nur der Mainstream mehr denn je von weiblichen Superstars dominiert wird. Auch im Indie-Bereich – offensichtlich international, wo Singer-Songwriterinnen wie Phoebe Bridgers, Mitski, Snail Mail und Waxahatchee) ihren männlichen Kollegen den Rang ablaufen – haben Frauen einen anderen Stellenwert. Nehmen Sie das auch so wahr?
Role Models bringen immer neue Bands hervor, die davon ermutigt und inspiriert werden.
Die Braut haut ins Auge 30 Jahre später: „Manchmal peinlich und einfach nur schön“
Wie fühlt es sich an, wenn man 30 Jahre später anlässlich einer neuen Werkausgabe, wie sie von Die Braut haut ins Auge jetzt erscheint, an das Leben von einst erinnert wird?
Es war teilweise erschütternd, manchmal etwas peinlich, und auch einfach schön, das wiederzuentdecken und auch die Reaktionen darauf in Social Media zu lesen. Von vielen alten Fans, die mit uns älter geworden sind, aber auch von jungen Mädchen im Alter meiner 19-jährigen Tochter, die unsere Musik vorher nicht kannten und jetzt entdecken. Ich habe einige Videos von VHS-Kassetten digitalisiert, und neben der Erkenntnis, dass wir eine unglaublich gute Live-Band waren, habe ich mich beim Betrachten auch manchmal geschämt für das, was ich in Interviews gesagt habe. Ich merke, wie schwierig es für uns war, uns so darzustellen, wie wir gesehen werden wollten. Ich war sehr laut, habe versucht zu provozieren oder Fragen, die mich nervten, nicht zu beantworten.
Der innere Konflikt ist für mich heute noch sehr spürbar. Unsere Bassistin Peta Devlin hat dazu neulich gesagt: Es ist auch kein Wunder, es gab für uns als Band kaum Vorbilder, wie man solche Interviews führt, die Männer in der Hamburger Schule steckten schon in der Post-Männlichkeit, sie konnten weich sein, lustig oder intellektuell und mussten nicht so auf dicke Hose machen. Wir haben uns viel mehr abgearbeitet an den weiblichen Rollenklischees. Im Großen und Ganzen bin ich sehr froh, dass unsere Musik wieder veröffentlicht wurde, denn es ist ein großer und wichtiger Teil meines Lebens, ohne den ich nicht die wäre, die ich jetzt bin.
Wie finden Sie aktuell die Musik, die aus Hamburg kommt? Nehmen Sie die wahr?
Ja, ich spiele immer viel Musik aus Hamburg in meiner monatlichen Radiosendung auf Radio Eins, und neben den alten Protagonisten Die Sterne, die Goldenen Zitronen, Knarf Rellöm, Rocko Schamoni, gibt es natürlich auch junge tolle Musikerinnen wie die Rapperinnen Finna oder Haiyti.
Bernadette La Hengst: Schwieriges Thema Altersvorsorge
Sie sind Mutter einer Tochter und haben beruflich immer in unsicheren Verhältnissen gelebt, Platten gemacht, für das Theater gearbeitet. Das prekäre Dasein haben Sie auch künstlerisch verarbeitet. Wie steht es denn derzeit um Ihre Altersvorsorge?
Oh, schwierige Frage. Ich hab es versäumt, irgendetwas zurückzulegen, insofern geht es mir wie den meisten Künstlerinnen und Künstlern, ich erwarte keine Erbschaft, sondern eher Altersarmut. Und leider ändert die digitale Veröffentlichung der Braut-Alben daran gar nichts, denn von den Streaming-Erträgen ist nicht mehr als „ein ½ Cappuccino“ zu erwarten, wie die tolle junge Frauenband Kapa Tult aus Leipzig singt. Allerdings habe ich nicht vor, in Rente zu gehen, ich denke, dass ich die nächsten 15 Jahre weiterhin Musik machen werde, auf Tour bin und Theaterstücke inszeniere. Auch für das Älterwerden von Musikerinnen gibt es wenig Vorbilder außer im Mainstream. Dann muss ich jenseits von dem halt selbst eins werden.
Blumfeld sind auf Reunion-Tour gegangen, Tocotronic gibt es immer noch. Wurde je über eine Bühnenrückkehr von Die Braut haut ins Auge nachgedacht?
Nein, es wird leider keine Reunion-Tour geben, allerdings werden Peta Devlin und ich bei ein paar Konzerten ein paar Braut-Songs als Duo spielen, um auf unser Best-of-Braut-Album hinzuweisen, das am 4.10. bei Trikont rauskommt.
Die Dokumentation „Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik“ ist ab 28. Mai in der ARD-Mediathek zu sehen. Am 7. Juni wird der Film im Knust gezeigt, es treten dann auch unter anderen Bernadette La Hengst und Frank Spilker auf. Am 26.9. spielen Bernadette La Hengst und Knarf Rellöm mit Peta Devlin im Hafenklang.