Hamburg. Die Sterne gibt es seit mehr als 30 Jahren. Bandchef Frank Spilker blickt in einer Doku zurück – durchaus auch im Zorn.

Ach, kann man da sagen, muss man sogar sagen, wenn man eine Schwäche für das hat, was seit den Neunzigern Indierock genannt wurde: Wie herrlich unspezifisch Frank Spilkers ja nie sonderlich ausdrucksstarke Singstimme immer noch über groovigen Gitarrenakkorden tönt und dabei immer noch meist sehr spezifisch vom Ich singt. Dieser Film über seine Band Die Sterne, von dem man gar nicht wusste, dass man auf ihn wartete, besteht zu einem Teil aus Konzertaufnahmen jüngeren Datums. Da sieht man Spilker, den nur Deppen einen Altrocker nennen würden, mit seiner vor einiger Zeit neuformierten Band auf der Bühne. Und man bekommt so’ne Lust – auf diesen ganzen übrigens tatsächlich auch alten Kram, den wir immer gerne als die „Hamburger Schule“ betrachtet haben.

Die Doku heißt, nach einem neueren Song der Band, „Du musst gar nix“. Gedreht hat sie der österreichische Theater-Dramaturg Peter Wallgram – mit minimalistischen Produktionsstandards, aber genau das macht den Reiz des Films und auch manchmal ihren Gegenstand aus. Es ist ein Blick hinter die Kulissen, ins Innenleben einer Band, die vor drei Jahrzehnten eine Szene prägte und von ihr geprägt wurde, und auf eine Zeit, als Hamburg mit Gitarrenmusik Epoche machte.

Die Sterne: In den Neunzigern zu Gast bei Stefan Raab

Mitte der Neunziger war Spilker als Aushängeschild des Hamburger Indierocks sogar bei Stefan Raab auf Viva zu Gast, auch Wallgram hat das historische Zeugnis (Spilker: „Kannst du mal sagen, dass es swingt?“ – Raab: „Nee, kann ich nicht.“ – Spilker: „Na gut.“) auf Youtube gefunden. Historizität ist das größte Thema der Doku, für die Wallgram viele Leute aus der Szene – Musiker, Labelbetreiber, Journalisten, nennen wir sie ruhig Zeitzeugen – vor die Kamera geholt hat. Also geht es auch um Nostalgie, aber so dosiert und mit der Gegenwart abgemischt, dass man sich nicht ständig wie beim Klassentreffen vorkommt.

Das von Kritikern und Fans einhellig gefeierte, bislang letzte Album „Hallo Euphoria“ erschien 2022 nach einer Neu-Aufstellung der Sterne-Mannschaft, zu der seit einiger Zeit mit Dyan Valdes auch eine Frau gehört. Über den Re-Start (Spilker: „Ich fühle mich getragen von der neuen Band, es wurden Türen aufgestoßen“) geht es mehrere Male, auch die neuen Mitmusiker kommen zu Wort. Status: Alles so toll gerade.

Rock City Hamburg: Es waren fast nur Männer-Bands

Was das angeht, führt die Besichtigung der Hamburger Zustände von früher zu gegenteiligen Urteilen. Toll war eben nicht alles, aber doch fast – Tocotronic-Bassist Jan Müller beschreibt die Hamburger Szene als „sehr ernst, sehr politisch, sehr männerdominiert“. Im Hinblick auf Geschlechterfairness stellt eine tief in der Szene verankerte Frau fest, wie „erschreckend“ das im Nachhinein sei, diese vielen Bands „nur mit Männern“.

Zu Wort kommen Leute wie Christoph Leich, der bis 2018 bei den Sternen Schlagzeug spielte, Carol von Rautenkranz, auf dessen L’Age D’Or-Label Die Sterne und Tocotronic erschienen, Bernd Begemann, wie Spilker und manch andere ein aus Ostwestfalen nach Hamburg Eingewanderter, Bernadette La Hengst, aber auch jene, die aus der Ferne nach Hamburg blickten. Hans Platzgumer, Musiker und Schriftsteller, sagt im österreichischem Idiom: „Das war für uns total erfrischend, dieser norddeutsche, hamburgerische Zugang, diese kleine Szene, die sich da auf St, Pauli, im Schanzenviertel gebildet hat.“

Das Album „Posen“ war das erste bei einem Majorlabel

Dass das alles, die befreundete Konkurrenz, auch mit Coolness-Codes und politischen Agendas einherging, dass es gleichermaßen Konformitätsdruck und Distinktionsmanöver gab, erzählt dieser vielstimmige Film mit Blick auf die Details. Zwischen Hamburger Berg und Pudel Club wurde getrunken und gelabert. „Habe ich von diesen Menschen eigentlich jemanden mal tagsüber gesehen?“, fragt sich Jan Müller einmal.

Verklärt wird hier nix. Österreicher („Uns Wiener waren die Hamburger zu schneidig in ihrer intellektuellen Scharfsinnigkeit“) wissen sich bei aller Bewunderung doch abzugrenzen von der „Geschmackspolizei in Hamburg“, die so gut wusste, was cool ist und was nicht. Und Spilker erinnert sich mit einem gewissen Zorn, glaubt man als Betrachter, an das Indie-Diktat, die eingeforderte Unabhängigkeit vom Kommerz und den Vorwurf des Verrats, den seine Band ereilte, als sie mit ihrem Album „Posen“ zu einem Majorlabel ging. „Wir haben die Macht des linken Spießertums zu spüren bekommen, das hallt bis heute nach“, sagt Spilker einmal.

Max Giesinger: Ohne die Sterne nicht denkbar?

Als Heldenfigur deutschsprachiger Popmusik taugt Spilker, der zeitlose Songs wie „Die Interessanten“ und „Universal Tellerwäscher“ geschrieben hat, immer noch – siehe auch die jüngsten Stücke von „Hallo Euphoria“. Der selbsterklärte Nicht-Geschichten-Erzähler, dessen Songtexte „eher aus Dada gebaut“ (Spilker) sind, berichtet, wie wenig ernst deutsche Texte Ende der 80er-Jahre genommen wurden.

Die Neue Deutsche Welle war da längst abgeebbt. Jetzt mussten es, gegen manche Widerstände, Bands wie die Sterne richten. Das ist die Erzählung dieses hervorragenden Musikfilms, der man gerne folgt. Die einmal geäußerte These, Max Giesinger sei ohne die Sterne nicht möglich gewesen, ist jedoch nicht allein aufgrund ihrer (intendierten) Zwiespältigkeit – Giesinger ist natürlich nur etwas für weniger geschmackssichere Hörer als Sterne-Fans – durchaus komisch. Es gab ja immer auch Lindenberg, Grönemeyer, Westernhagen. Welchen Traditionslinien man auch folgen will, klar ist: In Hamburg pulsierte das Herz der Gitarrenmusik, laut, wild, kräftig.

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