Hamburg. Hamburg, das war dein glorreicher Underground: Rocko Schamoni taucht hinab in die Tiefen der frühen Neunziger, als er fast berühmt war.

An schlechten Tagen läuft der Held dieses Buchs verschämt und geduckt durch die Schanze und St. Pauli. Durch die Straßen, in denen er zu Hause ist. Warum das? Er fällt regelmäßig ins mentale Loch. Seine Gedanken verkreiseln sich dann in Minderwertigkeitskomplexen, Selbsthass, Gefühlen der Leere. Ganz schlimm steht es in diesem einen Fall, wir befinden uns am Beginn eines neuen Jahrzehnts, aber nicht um den Zugezogenen, der in seinem schleswig-holsteinischen Heimatstädtchen der Dorfpunk war und in Hamburg nun unter seinesgleichen ein wildes, freies Leben führen will. Als Musiker.

Nein, Rocko Schamoni – um niemand anderen als ihn geht es hier – steht an der Schwelle zum Ruhm. Polydor will ihn, den ästhetisch schief gewachsenen, bisher nur Eingeweihten bekannten Sänger, der eine Art ironische Schlagermusik aufführt, zu einem Star machen. Er soll das, was die Fun-Punk-Band Die Ärzte so richtig losgetreten haben, fortsetzen. Deshalb sind nun, anlässlich der Veröffentlichung des ersten Albums, die Subkultur- und Amüsierquartiere der Stadt plakatiert.

Wie kann einer, der aus der Gegengesellschaft kommt, da nicht den inneren Identitätsnotstand ausrufen. Rocko Schamoni möchte kein Verräter von Idealen sein.

Rocko Schamoni und sein neues Buch „Pudels Kern“: Beinah wäre er Popstar geworden

Betreibt er hier jetzt etwa den großen Ausverkauf? „Pudels Kern“, das neue Buch des Hamburger Autors, Musikers und Entertainers Rocko Schamoni, erzählt auch diese eine Geschichte, in der der Protagonist beinah ein Popstar geworden wäre. Tatsächlich, das war dann gut für sein Seelenheil, nur beinah. Tiefpunkte seines Fremdelns mit dem Mainstream waren eine Panikattacke beim Promo-Tag in Köln und ein verzweifeltes Betrunkensein bei der „Bravo“-Party in München.

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Als Pointe taugt dieses Scheitern Schamonis unbedingt. Aber man täusche sich nicht: Wie „Dorfpunks“, dem Buch seiner Kindheit und Jugend, ist „Pudels Kern“ ein nicht nur lustiger, sondern auch bekenntnishafter, ernster und sowieso aufrichtiger Text. Weil er autobiografisch ist und vielleicht gar nicht mal so viel verschweigt, jedenfalls die Verwendung von Klarnamen nicht scheut, ist „Pudels Kern“ vor allem auch ein glänzender Bericht aus der Szene, eine Chronik der späten 80er- und frühen 90er-Jahre, eine Feier des Undergrounds, und möglicherweise auch: das Hamburg-Buch des Jahres.

Die Toten Hosen und Rocko Schamoni: Der Suff der Jugend

Zumindest für alle, die sich für die Zeit interessieren, in der Hamburg noch ein wahrhaft aufregender Ort war, in der die Spinner, Träumer und Glückssucher jenseits bürgerlicher Konventionen unterwegs waren und dabei vor allem eines wollten: Musik machen. „Pudels Kern“ ist der Künstlerroman des großen Nichts- und Alleskönners Tobias Albrecht, der sich in Hamburg den Namen Rocko Schamoni gab, um zur Marke zu werden. Einen faustischen Pakt ist er dabei nur einmal eingegangen, er war im übrigen sehr jung, ein 19-Jähriger, der sich in seine Zwanziger hinübersang, -soff und -schnackte. Und mit dem Abstand von mehr als drei Jahrzehnten vielleicht für sein heutiges Ich als das auch anrührende Gegenteil eines Jungsiegfrieds erscheint. Denn unverwundbar war dieser Mann nie.

Rocko Schamoni, Musiker, Schriftsteller, Entertainer, in seiner Wohnung
Rocko Schamoni, Musiker, Schriftsteller, Entertainer, in seiner Wohnung © picture alliance/dpa | Axel Heimken

„Pudels Kern“ ist ein hinreißendes, ehrliches, immer wieder komisches Zeugnis über das harte Brot der frühen Jahre, in denen einer versuchte, mehr zu sein, als er eigentlich ist. Oder war es doch ganz anders? Wurde hier einer der, der er tatsächlich ist und immer war? Im Falle Schamonis: der ewige „Junge aus dem Wald“ (Selbstbezeichnung), der mittendrin und doch nur dabei ist, einer, der als Support-Act im Fahrwasser der Goldenen Zitronen mitschwimmt und doch vor allem ein talentierter Menschenzusammenbringer ist. Nachdem der Star-Traum geplatzt ist, steht er hinter der Bar auf St. Pauli und schenkt den Leuten mit Szene-Rang und Hamburg-Namen aus, die für den Augenblick am coolsten Nachtleben-Hotspot des Indie-Landes verweilen wollen. Abend für Abend.

Rocko Schamoni: Ein Clown, der den Support zu reellen Punkbands gab

Den Pudel Club (später: Golden Pudel Club) hat er da schon längst mit Schorsch Kamerun gegründet, jene Ikone der Nachtkultur und des alternativen Amüsements. Was seine Kunst angeht, ist der junge Kerl („Ich wollte der Liberace des Punks sein“), der den Punks des Landes tatsächlich deutsche Seicht-Musik vorsetzen will, vor allem Fan. Aber halt auch selbst Produzent, der den Knochenjob vor ignorantem Publikum macht. Ironie ist nicht jedermanns Sache, man versteht also nicht immer so recht, was er will. „Rocko Schamoni, der neue Stern am Bierhimmel, sang an diesem Abend wie der Sterbende Schwan unterm Lastwagen“, schreibt die „taz“ mal über einen Auftritt in Berlin.

Und so fühlt sich Schamoni vor allem als Pausenclown, der bei Konzerten auftritt, ehe die reellen Punkbands die Bühne entern. Man kann da, bei der späteren Humor-Größe Schamoni, durchaus Residuen einer immer noch zu schmeckenden Bitternis herauslesen: „Ich bin ein Witz, den so gut wie niemand versteht.“

Die Goldenen Zitronen 1990, in der Mitte hinten: Schorsch Kamerun
Die Goldenen Zitronen 1990, in der Mitte hinten: Schorsch Kamerun © imago/BRIGANI-ART | imago stock&people

Und eine späte Freude am jugendlichen Unsinn, an der selbstverordneten Freiheit, die mit dem Hedonismus und der Authentizität des Punkrock-Lifestyles einhergehen. Einmal verabreden sich Kamerun und Schamoni mit den Toten Hosen zum Düsseldorf-Hamburger Gipfeltreffen am Rhein – mitten in der Nacht. Es folgt, nach spontaner Auto-Anreise aus Hamburg, ein tagelanges Gelage mit Suff, Tollerei und einer verwüsteten Wohnung. Schamoni kehrt zerstört nach Hamburg zurück. So wie es ihm auch nach den Tourneen – „Pudels Kern“ ist romantisch und unromantisch zugleich, was deren Beschreibungen anlangt – geht, jenes dreckstarrenden, schlaflosen, mit Substanzen gepimpten Selbstverbrauchs.

Rocko Schamoni: Er traf die Ärzte, die Toten Hosen und den Schlagzeuger von Queen

Dass er auf der Sonnenseite seiner Existenz allerlei Freund- und Bekanntschaften einsammelte, versorgte den Autobiografen Schamoni mit einer enormen Anekdotenfülle. Der noch unbekannte Helge Schneider beim Wohnzimmerauftritt in Hamburg, die Einstürzenden Neubauten, Prince, Bela B., Roger Taylor von Queen: Manche beklatscht er, während sie auf der Bühne sind, andere lernt er backstage kennen, mit wieder anderen ist er befreundet. Immer bewundert er die Genies, lässt sich von ihnen eigenes Talent attestieren, zweifelt dennoch immer am eigenen Können. Nach den Hochs kommen die Tiefs. Manchmal ist er so deprimiert, dass er tagelang nicht sein Bett verlassen kann: Die Leiden des jungen Schamoni, der irgendwann nicht mehr weiß, ob Stabilität und Sicherheit nicht doch wichtiger als Freiheit sind.

Das Buchcover von Rocko Schamonis Roman „Pudels Kern“, Hanser-Verlag, 300 S., 26 Euro
Das Buchcover von Rocko Schamonis Roman „Pudels Kern“, Hanser-Verlag, 300 S., 26 Euro © Hanser | Hanser

Seinen psychischen Krisen, Schamoni spricht von einem grundsätzlichem „Minus in der Seele“, das ihn zum Unglücklichsein, dem Gefühl der allgemeinen Unzulänglichkeit verdammt, räumt er breiten Raum ein. Früh beginnt er mit einer Therapie. Wobei die erste Therapeutin nix ist, sie wird immer trauriger, als sie ihm zuhört, wenn er etwa von seinen wiederkehrenden Suizidgedanken spricht. Schamoni („Ich habe das Gefühl, selbst für die Therapie zu schlecht zu sein“) lodert vor Selbsthass, und man muss dann als Leser ob dieser Konsequenz dann doch lachen.

Rocko Schamoni: Von Kollegen geschätzt, vom Publikum ignoriert

Der sensible, unsichere Mensch Schamoni, der um seine Widersprüche weiß und sie doch ganz logisch findet (gehen nicht gerade die so forciert auf die Bühne, die nicht mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, die die Liebe des Publikums brauchen, weil sie zwar eitel sind, aber sich selbst zu wenig lieben?), bleibt ein „Musician‘s Musician“, von Kollegen geschätzt, vom Publikum weitgehend ignoriert. Seine Erziehung des Herzens geht über ein Brechen dieses vonstatten, als sich die langjährige On-und-off-Gefährtin mit einem Bekannten vom Acker macht. Was bleibt, sind die Nächte auf dem Hamburger Berg. Wer dabei gewesen ist, erinnert sich an Orte wie das Tempelhof, das Sparr und das Camelot. Und natürlich das Subito, die Souterrain-Kneipe am Schulterblatt.

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Am Ende dieser Lebensepisode des Ankommens in Hamburg, der Stadt, in der Schamoni immer noch lebt, sind fünf Jahre vergangen. Er ist frei jetzt. Keine feste Beziehung. Die Ambition, ein Star zu werden, ist verschwunden. Er fängt auf der HfbK an und will bildender Künstler werden. Ein neues Kapitel. Zu dem auch Jaques Palminger und Heinz Strunk gehören, mit denen er später Studio Braun gründen wird, Hamburgs legendäre Dreier-Humor-Brigade.

„Der Pudel ist ein multidimensionales Wesen: oberflächlich ist er süß, putzig, fein, dressiert, spießig. Im Kern aber räudig, verlaust, bissig, brennend teuflisch. Genau wie ich“, schreibt Schamoni, der als literarischer Meister der Selbstinszenierung den Stoff seines Lebens veredelt. Da wird noch mehr kommen.

Rocko Schamoni stellt „Pudels Kern“ am 30. Mai in der Fabrik vor.