Hamburg. Halligalli in der Welt des Pop: „The Tortured Poets Department“ erscheint. Und die glamouröseste Frau der Gegenwart liefert ab. Oder?
Das tolle Eröffnungsstück „Fortnight“, das Taylor Swift mit dem Rapper und Sänger Post Malone singt, ist ein Trennungssong, das Goodbye an eine Affäre, der von seiner Schläfrigkeit her an Lana Del Rey erinnert. Der Ton auf „The Tortured Poets Department“ ist gesetzt, wie auf eigentlich allen Alben Taylor Swifts: Das Du und das Ich, einfach ist es nie. Teenager-Dramen, die nicht vergehen, wobei es ja das ist, was Swift zur ultimativen Manifestation des Pop macht: Augenblick, Gefühlsüberschwang, Jungsein. Als Lyrikerin ist Taylor Swift versiert genug, um ihren Texten auch mal eine zweite Ebene einzuziehen, und so ist das Titelstück auch ein Zwiegespräch der Künstlerin mit sich selbst: „I laughed in your face and said, You‘re not Dylan Thomas, I‘m not Patti Smith/This ain‘t the Chelsea Hotel, we‘rе modern idiots“/And who‘s gonna hold you? Like me“.
„The Tortured Poets Department“ also, das erste riesengroße Pop-Ereignis des Jahres (bei Beyoncé gibt es leichte Abstriche, aber nur, weil sie weniger Fans hat). Ach, machen wir es, im Rausch der Taylor-Mania, mal ganz grundsätzlich: Endlich ist das Erscheinen eines Popalbums überhaupt mal wieder ein Ereignis. Und endlich wieder war es die Verknappung und nicht die Teaser-Großzügigkeit vor Veröffentlichungstermin in Form von vorab in die Welt entlassenen Songs, die den Hype massiv anschob. Die Plattenfirma wäre auch schön blöd, hätte sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, ein Album mal ohne Appetizer herauszubringen. Über Taylor Swift wird immer gesprochen, die Aufregung um die Sängerin kennt keine Grenzen. Also, es gab vor Freitagfrüh, 6 Uhr mitteleuropäischer Zeit, keinen einzigen der neuen Songs zu hören .
Taylor Swift: Ist denn der große neue Hit auf dem Album?
Und wie ist es insgesamt nun so, nach zwei, drei Durchläufen? Eine eingängige Angelegenheit, zur Seite standen Swift wie vorher bereits Jack Antonoff, der auch Lana Del Rey produziert, und Aaron Dessner (Gitarrist bei The National). Ist denn der große Hit drauf? Hat Taylor Swift denn überhaupt schon den einen, weltumfassenden Signature Song gehabt? Aber ja: „Shake It Off“, „Bad Blood“, beide vom Hit-Album „1989“, würde man sicher in die Weltkulturgutkapsel packen und ins All schießen, um Aliens den ultimativen Eindruck vermitteln zu können, was Erdenbewohner hören, wenn sie gut drauf sein wollen. Es gibt jedoch kein neues „Shake It Off“ auf dem neuen Album. Aber trotzdem jede Menge neuer Treffer, die beim ersten Hören zünden.
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Swifties werden in Stücken wie „So Long, London“ und „The Smallest Man That Ever Lived“ nach Spuren von Swifts persönlichen Liebeshandlungen suchen und wohl manches finden. Als Bewältigungsalbum ist diese Platte ein abgeschlossenes Werk. Swifts Adressierung von Schmerz, Trennung, Wut macht aus Schwäche eine Stärke, aber Bitternis ist am Ende kein Gewinner-Konzept: „So I lеap from the gallows and I levitate down your street/Crash the party like a record scratch as I scream/„Who’s afraid of little old me?“
„The Tortued Poets Apartment“: Taylor Swift kann‘s auch mit gebrochenem Herzen
Jüngere Fans werden den Breakup-Song „Down Bad“ dem Scheusal widmen, das sie gerade verlassen hat, ältere werden bei „But Daddy I Love Him“ an Madonna denken. Dass „Tortured Poets“ ein Album werden würde, das die Countryvergangenheit Swifts allenfalls erahnen lässt, war eh klar. Was den Sound angeht, gibt es auf „The Tortured Poets Department“ keinerlei Wagnisse, wir hören glänzenden, smarten und swiften Gegenwartspop.
Die Kollaboration mit Florence + the Machine bei „Florida!!!“ ist der zweite herausstechende Song. Einer von Swifts Verflossenen, der Schauspieler Joe Alwyn, wird von den Swift-Ultras längst als Inspiration der Songs ausgemacht. Herzeleid, das einem weiblichen Superstar das Thema seiner Kunst gibt, hat zuetzt auch im Falle Adeles zu einem höchst erfolgreichen Song-Output geführt.
In „I Can Do With A Broken Heart“ singt Swift: „Cause I‘m a real tough kid/I can handle my shit/They said, Babe, you gotta fake it till you make it. And I did/Lights, camera, bitch, smile/Even when you wanna die/He said he‘d love me all his life/But that life was too short/Breaking down, I hit the floor/All the piеces of me shatterеd as the crowd was chanting. More/I was grinnin‘ like I‘m winnin.“
Taylor Swift ist eine der wertvollsten Pop-Marken der Geschichte, der Superstar der Gegenwart. Aber ob das neue Album den Verschwörungstheorien des Fantasten Donald Trump, der wegen der Marktmacht des Milliarden-Dollar-Genies Swift eine Beeinflussung des Präsidentschaftswahlkampfs behauptete, Vorschub leisten wird? Geheime Pro-Biden-Botschaften wurden zumindest vom Verfasser dieser Zeilen übersehen, sollte es sie denn geben.
Die Swifties sind jetzt dennoch im Jagdfieber, um jeden neuen Vers zu deuten. „The Alchemy“ werden sie als Swifts Ode an eine neue Liebe lesen. Swift macht sich in einen Spaß daraus, zur Exegese des eigenen Werks durch versteckte Botschaften in den Songtexten aufzurufen. Los ging die Schnitzeljagd lange vor der Veröffentlichung. Die Songtitel waren ja schon bekannt; und eine sprachwissenschaftliche Diskussion über die Grammatik des Albumtitels gab es auch bereits (der fehlende Apostroph).
Taylor Swift: Ab Mai ist sie auf Europa-Tour und im Juli in Hamburg
Spannend für die Fangemeinde wird nun auch die Frage sein, ob dieses Album die Setlist der seit einem Jahr laufenden „The Eras Tour“ stark verändern wird. 51 Konzerte wird Swift ab dem 9. Mai, dem Auftritt in Paris, in Europa spielen, am 23. und 24. Juli wird sie im Volksparkstadion auftreten. Wie jeder andere Song haben auch die neuen fraglos Live-Potenzial. Wer den Konzertfilm oder Swift schon einmal live gesehen hat, weiß, dass die Frau zwar eine Maschine ist, aber angesichts der Vielzahl an Songs im Oeuvre nicht jeden Fan-Wunsch erfüllen kann. Anzunehmen, dass Swift nicht besonders viele Klassiker ihrer bisherigen zehn Alben aus der Setlist kickt, um ganz neue Stücke zu performen. Aber der ein oder andere wird schon auftauchen.
Der schönste neue Song ist „Clara Bow“, eine It-Girl-Ballade, ach, nee, gar nicht: ein Genugtuungssong. Taylor Swift hat es geschafft, der allergrößte Star des Planeten zu werden. Das neue Album wird die wenigsten enttäuschen. Bleibt abzuwarten, ob es auf dem Peak ihrer Karriere erscheint. Oder der Hype sogar noch größer wird.