Hamburg. Sein neues Album „All Ein“ spielte er allein ein, und Corona traf ihn hart: Der Hamburger Allrounder macht sich derzeit Gedanken.

Es kommt vor, dass Rocko Schamoni einen improvisierten Klugsatz aus dem Ärmel schüttelt. Vielleicht hat er ihn sich auch vorher schon mal so halbwegs überlegt, jedenfalls klingt er gut: „Das ist wie ein ikonoklastischer Sturm, der die eigene Kunst verbrennt und zu etwas anderem verändert.“

Tipptoppformulierung, man meint eine leicht amüsierte Zufriedenheit bei Schamoni zu erkennen, als er ihn spricht. Als er das sprachlich überhöht, was er zuletzt nicht hatte, die Zusammenarbeit mit anderen Musikern. Das ist der Sturm, den er meint: Die Inspiration, die von anderen ausgeht. Die Überraschungen, die ihm die bereiten, die Instrumente besser spielen als er. Das Kollektiverlebnis.

Wir treffen den universellen Künstler, den Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Regisseur, Humoristen (und Clubbetreiber) Rocko Schamoni ein paar Tage nach der Veröffentlichung seines neuen Albums „All Ein“ im Park. Planten un Blomen als eine Art Zwischenstopp, denn Schamoni ist gerade auf Tour. Im September, der Coronafeuerpause, um es mal so zu sagen, wo wir es vorhin vom Verbrennen hatten.

Rocko Schamoni: Gaga-Dialog mit Romy Schneider

Im Winter, sagt Schamoni, braucht ihm erst mal keiner mehr mit Gedanken an eine Tour zu kommen. 28 Shows hat der 56-Jährige in den Corona-Jahren absagen müssen. Corona durchzieht das Gespräch; kaum eine Künstlerexistenz, die nicht von der pandemischen Störung der Abläufe betroffen gewesen wäre.

Dass Schamoni zum Beispiel sein Album allein („All Ein“!) in seiner Wohnung an der Ostsee eingespielt hat, war den Umständen geschuldet. Der Lockdown, das sei an dieser Stelle gesagt, hat ein vorzügliches Album zutage gefördert. Ein Synthiepopalbum, das enorm fröhlich ist; nicht nur, weil Schamoni, der bekennende Fan, mit den Tonspuren aus alten Filmen einen absoluten Gaga-Dialog mit Romy Schneider arrangiert hat.

Am besten ist aber das erste Stück „Liebe ist das Licht der Erde“, bei dem Schamoni seiner Vorliebe für die Soundscapes Ennio Morricones voll auslebt, „die spitzen Vokale im Hintergrund, der Frauenchor, das wollte ich immer machen“, erzählt Schamoni. Er hat es jetzt gemacht, und es klingt richtig gut. So was kann vielleicht nur dort entstehen, in diesem Pathos, mit dieser Ahnung von Ewigkeit und Horizont, wenn man in seiner Wohnung an der Ostsee sitzt mit Blick in Richtung Fehmarn. Schamoni sagt, er habe, als es los ging mit der neuen Platte, in seinem Rechner geschaut, was an Sounds, Samples und Beats da sei. „Ich habe aufgeräumt“, erklärt Schamoni.

Mit Studio Braun eroberte Rocko Schamoni das Schauspielhaus

Wie das so ist bei kreativen Geistern: Sie sind auch originell, wenn sie sich und ihr Material mal sortieren. Schamoni ist ein Vielseitigkeitsmann, das beweisen allein seine Romane („Dorfpunks“, „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“) und deren Themen. Er hat zuletzt auch über eins seiner Vorbilder, den Satiriker Heino Jaeger, einen Roman geschrieben. Schamonis frühe Humorabenteuer mit Studio Braun sind legendär, der spätere Schritt im Dreierbund mit Jaques Palminger und Heinz Strunk mit Inszenierungen ans Schauspielhaus, in die Hochkultur bemerkenswert. „Mir ist klar, dass uns viele unterschätzt haben, aber das ist weitaus besser als überschätzt zu werden“, sagt Schamoni.

Es gibt das eine Stück auf dem neuen Album, das dessen Signale am besten in nuce zusammenfasst. „Ich und mein Schatten“ handelt von Schamonis Depressionen, ist aber musikalisch kein Runterzieher. Er habe lange genug in den eigenen Abgrund, in sich selbst geschaut und unter der Oberfläche einen Raum mit Dingen gefunden, die er nicht gekannt habe – Dunkles, aber auch Helles, teilt der Künstler mit. Und dann sagt Rocko Schamoni: „Unter der Haube der Depression findet man nicht nur Depression.“

Was ungemein tröstlich klingt. Schamoni hat seine Erfahrungen mit mentalen Schieflagen gemacht. Früher sollte er mal „als Nachfolger der Ärzte“ auf gebaut werden, erzählt er, „und da bekam ich Panikattacken, es war das einzige Mal, dass ich eine Tablette nahm, seitdem nie wieder“.

Schamoni hat zweieinhalb Therapien gemacht

Zweieinhalb Therapien habe er gemacht; und vielleicht ist Schamoni deshalb abgeklärt, über sich aufgeklärt, wenn man das so nennen will. Er sei selbstbewusst, könne auf jede Bühne gehen, egal wie groß sie sei, „aber mir mangelt es an Selbstwertgefühl, was dann immer mit großen Selbstzweifeln verbunden ist“. Er glaubt zu wissen, dass das vielen Künstlerinnen und Künstlern so geht. Sie brauchen immer die Zuwendung des Publikums als eine Art Liebesersatz, und dieses Loch, erklärt Schamoni, „ist niemals zu füllen“.

Wie findet man da heraus, Rocko Schamoni? „Liebe von anderen wird nie reichen, man muss sie in sich selbst finden“, sagt der Mann dazu, der eigentlich Tobias Albrecht heißt.

Im Zimmer hängt ein großformatiges Bild seiner Eltern

Dieser Mann muss insgesamt mit all dem zurechtkommen, mit dem alle zurechtkommen müssen. Und verwandelt diese Zustände und Erfahrungen, die im Kern das sind, was das Menschsein ausmacht, in die höchste Version menschlicher Schaffenskraft: in Kunst. In „Musik für Jugendliche“, dem Album von 2019, geht es um den Tod seines Vaters.

Und jetzt, im neuen Song „Das bin nicht ich“, klopft das Alter an die Tür: „Das war nicht immer so/Ich sah mal anders aus/Vom Scheitel bis zum Po/Das Fett am Ellenbogen/Die welke Haut am Kinn“. Man war doch gerade noch jung, wer schaut einem da nur aus dem Spiegel entgegen. An vielen Tage fahre er mit seinem Rennrad 20 Kilometer durch die Stadt, „ich kenne eigentlich jede Straße“. Schamoni hat Angst, im Alter nicht mehr so beweglich zu sein.

Er hat sich ein großformatiges Bild seiner Eltern ins Zimmer gehängt. Mit 14 hätte er sie am liebsten, das ist der Wunsch vermutlich aller Teenager, auf den Mond geschossen. Heute weiß er, dass er Glück gehabt hat mit ihnen. Rocko Schamonis Tochter ist 26, „ich habe trotzdem versucht, vieles anders, es so gut zu machen, wie man es eben kann“.

Strunk urlaubte in Rocko Schamonis Ferienwohnung

Ein Gespräch, in dem man erfahren will, wer einer ist, muss zwangsläufig bei denen landen, die wichtig waren für das eigene Werden; beruflich waren das bei Schamoni einige. Aber besonders ist die Verbindung, gerade im Hinblick auf die Dauer ihrer Zusammenarbeit, mit Jaques Palminger und Heinz Strunk. „Für uns war immer klar, dass wir doppelbödigen Humor machen mit Tiefe, dass das mehr ist als nur Vor-sich-Herumalbern“, sagt Schamoni. Mit den Kollegen ist er auch befreundet.

Was Strunk („Ein Sommer in Niendorf“) angeht, den Erfolgreichsten aus dem Trio, verhält es sich so, dass „man mal zwei Tage hintereinander telefoniert und dann wieder zwei Monate nicht“. Gerade war Strunk vier Wochen auf Sommerfrische an der Ostsee, hat Schamoni besucht und sich in dessen Ferienwohnung eingemietet. Vielleicht, weil einem das berühmte, auch ein wenig triste „Bei Geld hört die Freundschaft auf“ im Kopf herumspukt, stellt man einfach mal die Frage, ob Schamoni den Bestsellerautor um Geld bitten würde, wenn es bei ihm mal ganz eng wäre. „So weit wird es vermutlich nie kommen, aber ich würde es tun“, antwortet Schamoni da, „und sowieso sagt dieser Punkt mehr über Heinz Strunk als über mich aus – er würde mir sicher etwas leihen, ich könnte auf ihn setzen, wenn ich in Not wäre“.

Rocko Schamoni warnte zuletzt vor einem Artensterben in der Kultur

So weit hergeholt ist die Situation mit pekuniären Schieflagen in der Künstlerszene derzeit nicht. Pandemisch bedingte Lockdowns und zwischenzeitlich wegfallende Auftrittsmöglichkeiten haben die Voraussetzungen grundlegend geändert. Die Leute gehen heute weniger raus als vor Corona. „Ich verstehe vom gesundheitlichen Standpunkt aus betrachtet, dass das so ist“, sagt Schamoni. Er hat vor Monaten einen dramatischen Appell an Konzertgänger gerichtet und war da nicht der einzige,. Schamoni warnte vor einem „Artensterben in der Kultur“. Zum Beispiel wegen des mittlerweile herrschenden Personalmangels auf Veranstalterseite. „Leute, die eben noch Lichttraversen in Konzertlocations aufgebaut haben, warten jetzt Windräder“, berichtet Schamoni.

Sein Report von der Live-Front spiegelt den Frust wider, den viele verspüren. Jammern will er nicht, und er meint auch noch nicht einmal sich. Er finde es schade für die Jüngeren, denen Tour-Erlebnisse künftig fehlen könnten, „bei mir selbst wäre der Abschiedsschmerz gar nicht so groß, ich war lange genug on the road“.

Eine Whatsapp von einer Konzertbesucherin an Rocko Schamoni

Was er machen würde, wäre er nicht mehr fahrender Künstler: Als Mann mit „stark ausgeprägten sozialen Fähigkeiten“ (Selbstbeschreibung) könnte er, nur mal als Beispiel, aufgrund seiner guten Vernetzung mit Künstlern eine Art Kulturattaché in einer Stadt oder einem Land werden. Auch denkbar wäre es, in seiner alten Heimat an der Ostsee eine Art „Dorfkrug“ aufzumachen und als Kulturzentrum zu etablieren.

Und so muss man sich den unerschrockenen, facettenreichen Künstler Rocko Schamoni derzeit nicht unbedingt als unglücklichen, aber durchaus nachdenklichen Mann vorstellen. Irgendwann sucht er eine Whatsappnachricht auf seinem Handy, von einer Besucherin seines Düsseldorfer Konzerts gerade. Sie schrieb ihm, wie wichtig Künstler wie er seien, die Menschen abends von ihrem Alltag erlösten. „Und das stimmt ja, wie Künstler haben auch eine soziale Funktion, wir geben unserem Publikum etwas, das es sonst so nirgends bekommt“, sagt Schamoni.

„Die große Rocko-Schamoni-Schau 22“ Sbd., 1.10., 19.30, Schauspielhaus. Schamoni spielt Lieder seines neuen Albums und liest Texte aus seiner Rolling-Stone-Kolumne „Dummheit als Weg“