Hamburg. „Coolhaze“ von Kollektiv Studio Braun am Schauspielhaus – zu erwarten ist eine subversive Arbeit zwischen Kleist und Action-Kino.

Das Hamburger Trio Studio Braun hat einst mit Telefonstreichen begonnen. Seit Jahren bettet es seinen subversiven Humor in erfolgreiche Theaterinszenierungen ein. Mit eineinhalb Jahren Verspätung kommt nun die eigens von Heinz Strunk, Rocko Scha­moni und Jacques Palminger erarbeitete Version von Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ mit dem Titel „Cool­haze“ am 4. Dezember im Deutschen Schauspielhaus Hamburg zur Premiere.

Jacques Palminger erzählt über Kleist-Sprache, Kostüme der 1970er-Jahre und seine Lust an psychedelischen Rollen.

Die ursprünglich für März 2020 angesetzte Premiere von „Coolhaze“ musste wegen des ersten Lockdowns abgesagt werden. Nun kommt sie endlich heraus. Erleichtert?

Jacques Palminger: Pünktlich zu unserer Premiere gehen die Coronazahlen wieder durch die Decke. Wir lassen uns davon aber nicht entmutigen. Geboostert und getestet gehen wir zu den Proben und sind uns sicher, dass wir es auch dieses Mal mindestens bis zur Generalprobe schaffen werden!

Ihre Inszenierungen garantieren ja stets ausverkaufte Abende an diesem großen Haus. Macht Erfolg eigentlich übermütig?

Palminger: Überhaupt nicht. Er regt eher dazu an, genauer zu werden und die Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Bei uns ist es so, dass wir eine Freude daran finden, innerhalb des gesetzten Rahmens den Braun-Humor einzuarbeiten. Das ist unglaublich anstrengend, aber auch wahnsinnig erfüllend.

Sie haben über die Jahre nun etliche eigene und fremde Stoffe herausgebracht. Ist es schwerer einen Fremdtext zu inszenieren als etwa Rocko Schamonis „Dorfpunks“ oder Heinz Strunks „Der Goldene Handschuh“?

Palminger: Die Aufgabe ist erst einmal die gleiche. Wenn ein Text zugrunde liegt, ist der Vorteil, dass man von Anfang an konkret daran arbeiten kann, eine dramatisch-theatrale Übersetzung zu finden. Bei „Coolhaze“ ist es wundervoll, dass wir uns schon in der Fassung an der Kleist-Sprache abarbeiten können und über die Beschäftigung damit zu Kleist-Fans geworden sind.

Wie viel Kleist steckt in „Coolhaze“ im Schauspielhaus?

Warum haben Sie sich nun ausgerechnet Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ vorgenommen?

Palminger: Das ist dem Zufall geschuldet. Ich bin ein großer Fan von Charles Bronson. Den wollte ich mit seinem holzschnittartigen Spiel gerne ins psychedelische Volkstheater von Studio Braun überführen. Und da kam die Idee von Rocko, das mit „Kohlhaas“ zu verschneiden. Bei uns wird Charly Hübner über Charles Bronson zu Michael Kohlhaas. Das ist das Wunschprofil dieser Produktion.

Sie erzählen ja „Coolhaze“ im Kontext einer Filmproduktion, in der manches entgleist. Wie viel Kleist steckt da noch drin?

Palminger: Wir haben auf der Film-Ebene in unserer Studio-Braun-Prägung die Figur des Michael Kohlhaas übertragen auf den Motorradhändler Michael Coolhaze. Aus den zwei Pferden, die der Rosshändler überführen will, werden zwei Motorräder, die er von New York nach New Jersey bringen will. Wir haben versucht, dabei so viel Kleist-Text wie möglich einzuarbeiten. Auf der Set-Ebene haben wir es mit einem despotischen Regisseur zu tun, der die Darsteller und die Crew demütigt. Auf diese Weise haben wir auf der Film-Ebene die Geschichte „Einer gegen alle“ und auf der Set-Ebene „Alle gegen einen“.

Kohlhaas wird ja selbst zum Täter aus Verzweiflung. Ist Coolhaze ein aufgeklärter Rebell in absolutistischen Zeiten oder ein Wutbürger, der über das Ziel hinausschießt?

Palminger: Coolhaze ist wie Kohlhaas oder wie Charles Bronson in „Ein Mann sieht Rot“ ein rechtschaffener Mann, dem sein Rechtsgefühl um die Ohren fliegt. Er kämpft um sein Recht und zettelt eine Revolution an. Es ist unglaublich, wie schnell die Menschen bereit sind, einen Privatkrieg anzuzetteln. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Man braucht ja nur mal ein Motorrad anzufassen, schon wird man vom Besitzer verprügelt. Das hat viel mit Raumbehauptung und auch mit Spießigkeit zu tun. Wie Martin Luther zu Kohlhaas sagt: „Du hast kein Recht zu richten.“

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  • Spielt der historische Kontext des Kleist-Textes überhaupt noch eine Rolle, wenn Sie die Novelle als größenwahnsinniges Filmprojekt zwischen Fantasy und Avantgarde erzählen?

    Palminger: Wir siedeln die Geschichte im New York der 1970er-Jahre an. Es macht uns einfach Spaß, in dieser Bronson-Welt zu sein und auch die Kostüme der Zeit zu tragen. Der Kleist-Kontext taucht in der Kleist-Sprache auf. Man kann sich mit der Figur identifizieren, besonders Männer tun das gerne. Dieses beleidigte Zurückschlagen, das ganze Action-Kino basiert darauf. Zu Kohlhaas’ Zeiten gab es die Fehde. Heute gibt es zum Glück ein Regelwerk.

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    Sie stehen ja alle drei wie immer auch selbst auf der Bühne. Worin besteht der Reiz, in der eigenen Inszenierung mitzumischen?

    Palminger: Wir genießen es, mit diesem tollen Ensemble zu spielen. Vorher setzen wir uns zusammen und helfen uns gegenseitig, Rollen zu finden. Ich suche mir gerne psychedelische, kleinere Rollen aus. Andere haben mehr Lust aufs Spiel. Das geht ganz nach Wunsch und Können. Rocko Schamoni spielt Shaggy, den Buddy von Coolhaze, Heinz Strunk die Mutter von Coolhaze und ich eine Raupe. Es gibt natürlich auch viel Musik. Wir haben eine 14-köpfige Jazz-Bigband im Orchestergraben, die Musik im Stil der 1970er-Jahre Action-Filme performen wird. Wir reiten mit den Besten!

    Studio Braun besteht ja aus drei starken, künstlerisch eigenständigen Individuen. Laufen die Proben da eigentlich immer harmonisch ab?

    Palminger: Früher haben wir uns auf der Bühne öffentlich gestritten, bis die Dramaturgin sagte, das sorge für schlechte Stimmung. Mittlerweile rangeln wir noch ein bisschen, sind aber auch altersmilde geworden. Wir entschuldigen uns, wenn wir es übertrieben haben. Das ist wie in einer langen Ehe, einer gereiften Dreiecksbeziehung. Es gibt niemanden, über den ich mich mehr aufregen kann, als die beiden anderen. Es gibt aber auch niemanden, mit dem ich lieber hinterher in der Garderobe sitze.

    „Coolhaze“ Premiere Sa, 4.12., 20 Uhr, wieder am 9. und 31.12., Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Restkarten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de