Hamburg. Der tragische Humorist aus Hamburg (oder etwa doch nicht?) wird 60 Jahre alt. Zwei Strunk-Kenner der Abendblatt-Redaktion gratulieren.
Wenn man Heinz Strunk liest, biegen sich die inneren Balken vor Lachen. Heinz Strunk macht Bauchmuskelkater. Manchmal schluckt man auch eher bei der Lektüre. Eigentlich sollte man weinen bei all dem Elend. Nur der gelernte Musiker und preisgekrönte Autor kann das: Komik und Tragik so vermählen, dass dabei dieser irre Depri-Sound mit krassem Lach-Faktor herauskommt. Die Abendblatt-Redakteure Thomas Andre und Tino Lange sind seit langem profunde Kenner der Materie Strunk. Zum 60. Geburtstag des Meisters führten sie ein würdigendes Gratulationsgespräch.
Tino Lange: Heinz Strunk? Ist das nicht der gepflegte, attraktive ältere Herr mit Schnurrbart und einem auffälligen Hang zu Jazz und Lyrik? Ach nee, das ist Jacques Palminger. Aber der ist auch bei Studio Braun, oder?
Thomas Andre: Das weißt du ganz genau, lieber Tino. Und ich sage dir eins: Strunk hört zwar keinen Jazz, kleidet sich aber noch besser als der ebenfalls soignierte Palminger. Der heißt übrigens im Personalausweis Heinrich Ebber. Wie heißt Strunk bürgerlich? Wenn du jetzt auf Wikipedia nachschaust, hast du dich disqualifiziert.
Tino Lange: Fritz Honka? Ach nee, so hieß der Frauenmörder in Strunks kiezhistorischem Roman „Der Goldene Handschuh“. Warst Du mal im Handschuh, also nicht zu seiner Lesung, sondern im Regelbetrieb? Oder kennst Du die Kneipe nur aus dem Wikipedia-Eintrag? Dort heißt Strunk übrigens bürgerlich Mathias Halfpape, aber man soll nicht alles glauben, was da steht.
Thomas Andre: Zum Handschuh gleich mehr, erst mal: Weißt du, was neuerdings erst, wie mir scheint, im Internet steht? Dass Strunk in Bevensen geboren ist. Bevensen, nicht Hamburg! Ich muss das Thema Strunk noch einmal ganz neu denken. Habe ihm jetzt auch mal gemailt. Erwarte Aufklärung. Strunk wird jetzt 60, und deswegen unterhalten wir uns hier über ihn, den Meister der Tristesse. Zur Tristesse passt Bevensen übrigens besser als Hamburg, sage ich jetzt großstädtisch arrogant. Es stimmt mich übrigens nachdenklich, dass der Mann jetzt schon so alt sein soll.
Tino Lange: Also, Bevensen hat neben Heinzer sehr viele bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht, hauptsächlich Historiker, Waffen-SS-Veteranen, CDU-Politiker und ranghohe Offiziere der Bundeswehr. Strunks Vater, den Heinz erst als Teenager kennenlernte, passte da gut rein. Und Hamburg oder Bevensen ist kein großer Unterschied, wenn man im winzigen Stadtteil Langenbek aufwächst. Zur Orientierung: Das liegt eingeklemmt zwischen Marmstorf, Sinstorf, Wilstorf und Rönneburg. Schützenfest- und Tanzkapellen-Hamburg.
Thomas Andre: Der fantastische Heinz Strunk hat mir gerade zurückgemailt: Er sei in der Lüneburger Heide tatsächlich nur entbunden worden, sonst alles Original Hamburg. Zum runden Geburtstag winden wir ihm verbal den Dichterlorbeer ums hamburgische Haupt: Wenige haben uns so zum Lachen gebracht, und das wohlgemerkt mit hochtouriger Depressionsliteratur. Du erinnerst Dich, im todtraurigen Honka-Buch, und da sind wir wieder im „Handschuh“, in dem wir beide tatsächlich auch schon gemeinsam waren, es war ein erschütternd grauer Abend, im Honka-Buch ist einmal die Rede von Männern, die gerne mal „ihren Aal wässern“. So was liest man wirklich nur bei Strunk.
Tino Lange: Sein größtes Talent ist es, den jeweiligen Handlungszeitraum, seien es der Kiez der 70er-Jahre oder die Gegenwart, authentisch zum Leben zu erwecken: Die Gerüche, die Geschmäcker, die Atmosphäre, die Sprache, die Mode, alles lebt in den Vorstellungen der Lesenden auf. Du bist wirklich drin in „Fleisch ist mein Gemüse“, wenn die Tanzkapelle Tiffanys Westernhagens „Sexy“ auf das Parkett knallt oder Honka sich den nächsten Fako (Fanta-Korn) reinkippt. Das macht das zweifelhafte Lesevergnügen zu einer nicht selten schmerzlichen körperlichen Erfahrung: Gänsehaut, Schauder, Ekel, Lachkrampf. Ich bin schon sehr gespannt auf sein nächstes Buch „Ein Sommer in Niendorf“, das im Juni erscheint.
Thomas Andre: Der „Heinzer vom Schützenfest“ ist dieser stets vortrefflich gekleidete Herr aus dem Schanzenviertel nie gewesen. Von der Hochkultur – auf der er zwar halbwegs parkettsicher ist, was immer das in diesem Zusammenhang bedeutet – ist er längst mehr als akzeptiert und mit Preisen bedacht worden. Was für eine zweite Karriere! Schreiben hat ihn erfolgreich gemacht. Und weil er einfach Bock drauf hat, macht er nebenbei noch total spinnerte, großartige Alben à la „Aufstand der dünnen Hipsterärmchen“. Ich trinke keinen Kaffee, schade eigentlich. Du kennst den Koffein-Wahnsinn von „Braunes Gold“: „Starte den Tag und denk dran: es wird ein guter Tag. Mit heißen Flirts und erfolgreichen Abschlüssen. Doch das Beste ist... Latte machiato – Cafe con leche – Großer Brauner – Turkish Coffee – Caffee Latte – Eiskaffee – Flavored Coffee – schönen starken Mokka“. Und dazu Strunk an der Querflöte. Hast du eigentlich Strunk wie ich mit Studio Braun kennen gelernt?
Tino Lange: Studio Braun fand ich immer maximal unlustig, vor allem die Telefonstreiche. Ich hatte immer Mitleid mit den armen Schweinen am anderen Ende der Leitung. Das hat so eine Oliver-Pocher-mäßige Aufdringlichkeit, die gepaart mit der Mischung aus Schelmentum, Punk-Gleichgültigkeit, Intellektuellen-Anspruch und sexueller Anziehungskraft von Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger absolut unangenehm war. In Zeiten der Sprachnachrichten hat sich das zum Glück erledigt. Das Beste, was Studio Braun hervorgebracht hat, ist Fraktus. Die Geschichte des deutschen Technos musste neu geschrieben werden!
Thomas Andre: Fraktus hat Spaß gemacht, Studio Braun aber auch, sei nicht so streng. Mit Lars Jessen, dem „Fraktus – Das letzte Kapitel der Musikgeschichte“-Regisseur, arbeitet Strunk gerne zusammen, siehe auch „Heute wird gelebt“, der Verfilmung des Sexfrust-Romans „Jürgen“. Strunk versteht es ja meisterhaft, triste Lebenswelten zu inszenieren; er würde dabei immer sagen, dass er sich selbst irre trist findet. Trotz des Erfolgs, der sich längst eingestellt hat. Du weißt, dass seine Texte auf eine Weise auch richtig ernsthaft sind, dann nämlich, wenn sie das Elend des immerzu frustrierten Mannes beschreiben. Trotzdem lachen sich auf seinen Lesungen immer alle kaputt, das ist, was Strunk einmalig macht. Warum lachen wir über seine jämmerlichen Lebenswelten, warum funktioniert das ironische Strunk-Prinzip auch nach Jahrzehnten immer noch so gut?
Tino Lange: Ich glaube, es funktioniert als Erleichterung. Egal, wie schlecht es Dir in deinem Leben als Mann, als Liebender, Berufstätiger oder als Künstler und Musiker geht: In den Welten von Heinz Strunk geht es immer jemandem noch schlechter. Das ist für die Lesenden oder Zuhörenden eine Erleichterung und Selbstversicherung, das Lachen ist dann Erlösung.
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Thomas Andre: So wird es wohl sein. Der heilige Heinz kennt am Ende doch keinen heiligen Ernst, denn das Lachen ist auch seine sehr persönliche Erlösung. Auch wenn er mir mal gesagt hat, dass er beim Schreiben eher selten lacht. Im Pointen-Setzen ist er aber Profi. Man weiß beim Lesen, zum Beispiel seines sehr brutalen Liebesromans „Es ist immer so schön mit dir“ etwa, genau, welche Stellen sich vorzüglich für Lesungen eignen. Ich finde es sehr überraschend und unwahrscheinlich und aber total verdient, dass Strunk im Schauspielhaus und in der Elbphilharmonie angekommen ist. Der Mann ist eine Hamburger Marke, Kulturelite!
Tino Lange: Heinz Strunk hat gezeigt: Du kannst es auch als Querflötist vor Zehntausenden auf die Konzertbühne im Volksparkstadion schaffen. Und sei es als Gaststar bei Scooter, egal. Heinz macht überall eine gute schlechte Figur. Konzert, Theater, Lesung. Fußballstadion, Schützenfest, Kiezkneipe. Egal, wo du hingehst, die dunkelsten Ecken der Stadt, der mieseste Bums, das geheimste Geheimnis: Heinz Strunk war schon da. Und fühlte sich wohl.
Thomas Andre: Strunk selbst bezeichnet sein Tun selbstbewusst als High-End-Humor. Wir lassen das absolut so stehen und gratulieren zum runden Geburtstag. Prost, Heinz!
Tino Lange: Gut! Schuss! Gut! Schuss!