Hamburg. Soundtrack gegen rechts: Fettes Brot, Jan Delay, Tocotronic und Kettcar haben die Songs dafür. Unsere Playlist für Sylt und anderswo.
Deutschland demonstrierte im Januar gegen Rechtsextremismus, und offensichtlich braucht es weiterhin eine klare Kante der Gesellschaft in Zeiten, in denen auf Stadtfesten oder in Sylter Sektschwemmen „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus“ auf die eigentlich unschuldige Melodie von Gigi D‘Agostinos Hit „L‘amour toujour“ gegrölt wird. Aber es gibt auch den Soundtrack dagegen, wie die Klassiker wie „Schrei nach Liebe“ von Die Ärzte oder „Fremd im eigenen Land“ von Advanced Chemistry.
Lieder gegen Fremdenhass, Stiefelknechte und Glatzen, rechte Anzugträger und Salonfaschisten wurden in den vergangenen Jahren zahlreich veröffentlicht, zum Beispiel von Kraftklub, Audio88&Yassin, Juse Ju, Jennifer Rostock, ZSK, Danger Dan, Grönemeyer und übrigens auch von den Böhsen Onkelz („Ihr seid blind vor Hass, dumm wie Brot, ihr habt verschissen, eure Führer sind tot“), und auch die Hansestadt hat ihre Hits gegen Nazis. Hier folgt eine Playliste stellvertretend für viele weitere kritische Lieder, die für ihre Zeit stehen und sich auch dem Diskurs stellen müssen. Denn inhaltlich gibt es in manchen dieser „Linksradikalen Schlager“ (der Dank für diesen Sammelbegriff geht an die Hamburger Punkband Swiss und die Andern) ganz schönen Zunder. Aber wie Danger Dan singt: „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.“
Slime: „Sie wollen wieder schießen (dürfen)“
Eine Hamburger Punk-Legende muss hier den Anfang machen. Punk ist nicht subtil, Punk ist schroff und direkt. Und direkt muss man die rechte Gefahr adressieren, es geht dieser Tage nun wirklich nicht mehr anders. Der Slime-Song „Sie wollen wieder schießen (dürfen)“ erschien 2017 als Reaktion auf NSU und Flüchtlingskrise. Sein Text geht so: „Sie wollen wieder schießen dürfen, sie wollen wieder Zäune ziehen. Seine Heimat muss man schützen, sie laden schon ihr Magazin. Sie wollen wieder schreien dürfen, die Jugend neu zum Hass erziehen. Sie wollen wieder Fackeln tragen in den Straßen von Hamburg und Berlin“. Beim dazugehörigen Videoclip wird man dann ratlos, wütend, traurig. Wirklich böse, zynische Bürger dieses Landes, die rein gar nichts verstanden haben, die mit hässlichen reichsdeutschen Flaggen munitioniert sind. Wie soll man auch nur ansatzweise Geduld für ihre Sorgen, so unbegründet sie sowieso sind, aufbringen können?
Fettes Brot: „Du driftest nach rechts“
Kommen wir zu etwas deutlich Fröhlicherem. Zumindest, was den Sound angeht. Hamburgs Sprechgesang-Spezialisten, wir verabschiedeten sie 2023 in den wohlverdienten Band-Ruhestand, legten vor vier Jahren mit „Du driftest nach rechts“ eine geradezu beschwingte Popnummer vor. Dieser Song ist aber auch einer, der besonders wehtut. Er thematisiert inhaltlich die Verdüsterung der Gemüter in unseren Umfeldern, gar unseren Liebesbeziehungen; den Abfall vom Toleranzglauben, die Aufgabe fremdenfreundlicher Einstellungen angesichts der großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die mit der Integration von vielen Geflüchteten einhergehen.
„Ich mag‘s nicht wie du bist, wenn der Frust dich frisst, du mit verkniffenem Gesicht deinen Hass rauslässt. Wenn du Wohnungslose und Journalisten disst, und von Geflüchteten als Touristen sprichst. Wenn du mich dann küsst, verspritzt du Gift, und innerlich zerfrisst es mich“, heißt es da. Leider ist das die Realität: Es sind die Menschen mitten unter uns, die sich gehen lassen. Frustprojektionen sind ein Nährstoff rechten Denkens.
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Disarstar: „Für dich“
„Wie du redest, so, als ob Fremde keine Menschen wär‘n, aber dichtest dir das und das dazu. Für dich ist schwarze Haut eine weiße Leinwand, ja, und du malst, was du willst, nämlich ein falsches Bild“: In „Für dich“ schwingt Straßenrapper Disarstar, der sozialistische Exot in der deutschen Hip-Hop-Szene, eine „Faust gegen Rassismus, gegen Chauvinismus“. Er selber war als Teenager aus schwierigen Verhältnissen kein Kind von Traurigkeit, fand aber aus der schiefen Bahn dank kritischer Selbstreflexion und geduldiger Unterstützung. Er weiß, dass es für gesellschaftliche Probleme keine einfachen, schnellen Lösungen gibt. Jenen, die diese versprechen, droht er allerdings: „Für dich is‘ kein Platz hier. Jetzt geht‘s raus auf die Straße.“
Neonschwarz: „2018“
„Die Eskalation“, „Einzelfall“, „NaziFreieZone“: Man muss fast schon suchen, um einen Track von Captain Gips, Johnny Mauser, Marie Curry und DJ Spion Y zu finden, der nicht den Aufstand probt. Aber das Neonschwarz-Lied „2018“ vom in jenem Jahr erschienenem Album „Clash“ sticht noch mal heraus, weil es so prophetisch war: „Kennst du den Spruch mit dem Schneeball, den man zertreten muss, bevor er immer größer und dann schließlich zur Lawine wird (...)? Genau das passiert gerade. Sie marschieren wieder, sie meinen es ernst.“ Grenzen des Sagbaren, die vor unseren Augen verrutschen, No-Gos, die gestern noch undenkbar waren: „Dein Kreuz bekommt Haken. Dein Kreuz bekommt Haken.“
Tocotronic: „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“
Die Lyrik Dirk von Lowtzows ist nie auf absolute Entschlüsselbarkeit ausgelegt. Der Mann ist also fast genial. Er hat früh erkannt, dass es vor allem um Slogans geht. Auf dem bislang jüngsten Werk seiner Band, dem 13. Tocotronic-Album „Nie wieder Krieg“, ist auch der Song „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“. Das ist der ganze Refrain, die ganze Message. Ein Romantitel Ödön von Horváths („Jugend ohne Gott“) gemixt mit der Opposition gegen die Rechten. Man kann da fantastisch darauf herumdenken; sind wir metaphysisch Unbehausten alle gefährdet, was antidemokratisches Denken angeht? Gut, dass auch die Jugend das weiß! Man kann aber auch einfach sagen, dass „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“ ein großartiger, eingängiger und plakativer Song ist, der aus jeder Lautsprecheranlage von jeder noch so kleinen Demo in noch so kleinen Städten rumpeln muss.
Kettcar: „München“
Der Neuzugang unter den donnernden antifaschistischen, weltoffenen Liedern für dieses Land, das diese bitter nötig hat. Die Indierockband Kettcar veröffentlichte „München“ als Vorboten ihres siebten, im April erscheinenden Albums „Gute Laune ungerecht verteilt“ am Tag der ersten großen Hamburger Demo gegen Rechtsextremismus. Das war einerseits Zufall, andererseits überrascht ein solcher Song bei dieser engagierten, gesellschaftskritischen und auch eminent politischen Band nicht. Ein Drei-Minuten-Brett und richtig guter Rocksong, auch das; aber vor allem der Bericht aus einem Land, in dem Alltagsrassismus, Diskriminierung und Ausländerhass an der Tagesordnung sind. „Wir beide im Kiosk, und die Frau hinterm Tresen sagte: Ich meine nicht dich, hier wird nicht geklaut. Kannst dei‘m Freund übersetzen: Ich hab‘ ihn im Blick!“ – so geht es los, und so etwas wäre auch die Alltagsversion der Regierungspolitik eines AfD-regierten Landes.
Udo Lindenberg: „Sie brauchen keinen Führer“
„Und viele sagen immer noch: So schlimm ist das doch wirklich nicht. Es ist doch hier weit und breit kein neues Drittes Reich in Sicht“, beobachtet der Panikrocker, wenn er sich auf seinen Streifzügen umhört, „in der U-Bahn kreisen Sprüche, und die Sprüche sind nicht neu. Vor 50 Jahren klang das ähnlich. Und war im Sinne der Partei.“ Dieses Lied widmet Udo Lindenberg allen, die keinen Führer brauchen, keine braune Uniform, die nicht in Reihe marschieren, aber wieder schreien in Fußballstadien und auf den Straßen. „Ja, früher waren‘s die Juden, und heute sind die Türken dran.“ Bei seinen Konzerten sagt Udo „leider müssen wir den Song immer noch singen“: „Sie brauchen keinen Führer“ schrieb er 1984.
Samy Deluxe: „I Can‘t Breathe“
Sagen wir es ganz offen: Die meisten in dieser Liste sind privilegierte weiße (männliche) Popstars, die wie auch die Autoren dieses Textes nicht persönlich von Rassismus betroffen sind. Samy Deluxe hingegen ist ... ein Hamburger. Geboren an der Elbe, aufgewachsen in Barmbek und Eppendorf. Aber als Sohn einer Deutschen und eines Sudanesen ein Wickeda MC of Color, „schwarz-weiß so wie Oreo-Kekse“. Seit jeher engagiert sich Samy auf und neben der Bühne und rappt mit „dreizehntausend Watt ausm Ghettoblaster“ gegen Rassismus, so wie in „Weck mich auf“ und „Privilegiert“ und als einer der „Brothers Keepers“ 2001 in „Adriano (Letzte Warnung)“. Besonders eindringlich reimt er 2020 in „I Can‘t Breathe“ über den durch Polizeigewalt in Minneapolis getöteten George Floyd: „Keiner scheint uns zuzuhören, wenn wir sagen: Ich und viele meiner Leute können nicht atmen.“
Die Goldenen Zitronen: „Das bisschen Totschlag“
Es gibt, und das verdeutlicht leider die Probleme in diesem Land (und auch anderswo), beinah unzählige Anti-rechts-Songs. Jede Generation hat, was das angeht, ihren Soundtrack. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an Konstantin Weckers „Willy“, einer Liedermacherballade, die von einem Mord durch Neonazis handelt. Aber was heißt „die Älteren“. „Willy“ wurde seit seiner ersten Version aus dem Jahr 1977 mehrere Male aktualisiert. Es gab ja immer traurige Anlässe. Ein Antifa-Oldie ist auch „Das bisschen Totschlag“ von Die Goldenen Zitronen. Veröffentlicht wurde er im Jahr 1994, der Punkrocksong brummt nur so vor Wut, was den Zorn auf den Staat angeht, möchte man ihn fast bremsen, es sind doch wir, die Wähler, die versagen: „Soso, betroffen und zornig, so plötzlich. Sie hatten nachgezählt, sie entschieden, 17 Tote seien jetzt genug. Ja, die Härte des Rechtsstaats, ganz genau, zumal es waren anständige Ausländer, steuerzahlende Möllner, fast wie du und ich. Nachbarn können das bezeugen, ‚Heil Hitler‘ wurde gesagt.“
Jan Delay: „Spass“
„Ist schon alles ziemlich trist, wenn man besorgter Bürger ist. Denn ob Champagner oder Ganja oder Traumstrand:
Fast alle schöne Dinge kommen aus dem Ausland“, weiß Jan Delay in „Spass“ auf seinem aktuellen Solo-Album „Earth, Wind & Feiern“ (2021). Schon in jungen Jahren mit den Absoluten Beginnern machte sich Delay immer laut gegen Schläger und Marschierer, Beginner-Kollege Denyo nicht weniger als Teil der „Brothers Keepers“, mit dem Solo-Track „Nazi, Nazi“ und als Gaststar bei „Spass“. Keiner schafft es, Gesellschaftskritik so tanzbar zu verpacken wie der Chefstyler: „Sie hatten alle noch nie Spaß. Und darum sind sie voller Hass. Sie wissen gar nicht, wie das geht, wie man liebt und wie man lebt.“