Hamburg. Die runderneuerten Altpunks geben ein vorweihnachtliches Konzert. Warum sie dabei der linken Szene vors Schienbein getreten haben.
Ein Gedankenspiel: Hätte der deutsche Mainstream sich nicht die Toten Hosen zur Lieblingspunkband gewählt, würden dann womöglich die Altpunks von Slime diese Lücke füllen können? Die 1979 in Hamburg gegründete Politband, mit Songs gegen Rechtsradikalismus, Polizeistaat und Selbstzufriedenheit? Womöglich: ja. Und das ist erstens ein Lob und zweitens … eher nicht so lobend. Wie der vorweihnachtliche Auftritt vergangenen Sonnabend in der Altonaer Fabrik zeigt.
Konzert in der Fabrik: Slime ist im Vergleich zu 2010 nicht wiederzuerkennen
Positiv also: Wenn man sich daran erinnert, wie Slime das Comeback 2010 beim Dockville-Festival in Wilhelmsburg spielte, als müde Altherrenband, die lustlos die alten Parolen ins desinteressierte Indiepublikum brüllte, der erlebt in der Fabrik eine ganz neue Band. Was nicht zuletzt an Tex Brasket liegt: Der ersetzt seit zwei Jahren Dirk „Dicken“ Jora als Sänger, und er bringt eine Relavanz in die wütenden Songs, die die übrige Band zeitweilig verloren hatte.
Brasket war längere Zeit obdachlos und schlug sich als Straßensänger in Berlin durch, der weiß, was er in neueren Stücken wie „Komm schon klar“ oder „Heute nicht“ singt: „Irgendwo da draußen hab ich ’n Teil von mir verloren / Ich hab so lange danach gesucht und wär dabei fast erfroren.“ Klingt kitschig, aber: Das, was die Bandmitglieder von Slime da mit Brasket machen, das ist echt.
Und die beiden Gitarristen Michael „Elf“ Meyer und Christian Mevs, Bassistin Nici und Schlagzeuger Alex Schwers spielen dazu schnelle, druckvolle, laute Rockmusik, immer mit dem Standbein im Punk, mit dem Spielbein in angrenzenden Genres. Manchmal klingt Metal durch, manchmal auch hymnenhafter Deutschrock. Das ist eine Gefahr, gerade bei den jüngeren Songs: Musikalisch könnten sich auch Frei.Wild-Fans da wiederfinden. Zumindest sofern sie nicht auf die Texte achten – die sind bei Slime immer noch stabil links, auch wenn die Harmonien und Arrangements die Verweigerungshaltung nicht mehr so konsequent durchziehen wie zu Anfangstagen.
Slime spielt in der Fabrik ihren Stiefel runter: Seitenhieb gegen linke Szene
Und vielleicht ist das der negative Aspekt dieses Konzerts: Slime sind mittlerweile ziemlich abgezockte Musiker, die genau wissen, was sie tun und die entsprechend auch in der Lage sind, ihren Rockstiefel runterzuspielen. Als Brasket einmal einen Einsatz verpasst und dabei von Mayer und Mevs scherzhaft zusammengestaucht wird, kontert er: „Ich bin hier das Nesthäkchen! Die beiden machen das seit über 40 Jahren!“ Was humorvoll gemeint ist, aber auch etwas sagt über professionelle Routine, die einer Band nicht unbedingt guttut.
Doch dann spielen sie eben auch wieder die alten Songs, „Schweineherbst“, „A.C.A.B“, „Störtebeker“, und auch wenn das Parolenhafte der Refrains ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt: Das ist schon toller Punk, geprägt von garstiger Unzufriedenheit mit den Umständen. Einer Unzufriedenheit, die vor der eigenen Tür nicht Halt macht: Als Zugabe gibt es „Linke Spießer“, mit dem Slime der Punkszene kräftig gegens Schienbein treten. Parolen sind okay, aber Selbstkritik gehört in diesem Punkverständnis auf jeden Fall auch dazu.
Konzert in der Fabrik: Konzert wegen grobem Ordner unterbrochen
Und nicht zuletzt: gegenseitige Rücksichtnahme. Einmal unterbricht Brasket das Konzert, er hat Unruhe im Publikum bemerkt, ein Ordner hat einen Zuschauer anscheinend hart angefasst.
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„Was war da los?“, fragt der Sänger, um klarzustellen: „Das sind unsere Gäste, die behandeln wir ordentlich!“ Später ist aber alles wieder gut: „Hamburg, es darf getanzt werden!“, wird die letzte Runde eingeleitet. „Die Security ist weg. Aber ihr benehmt euch trotzdem!“ Sicher doch.