Der Hamburger Senat hat gestern den Finanzplan bis zu dem Jahr 2015 beschlossen. Die Opposition verlangt mehr Ehrgeiz beim Sparen.
Hamburg. Zur finanziellen Lage Hamburgs gibt es zwei grundsätzlich konträre Betrachtungsweisen. Die erste: Die Stadt hat etwa 25 Milliarden Euro Schulden, jeder Hamburger steht mit 14.000 Euro in der Kreide, das Finanzierungsdefizit des Haushalts beträgt allein dieses Jahr 1,4 Milliarden Euro und wird auch die kommenden Jahre beträchtlich sein. Die andere geht so: Hamburg nimmt allein dieses Jahr 670 Millionen Euro mehr an Steuern ein als erwartet, bis zur Mitte des Jahres hatte die Stadt noch keinen Cent neue Schulden gemacht, und ab 2013 soll der Betriebshaushalt (die Gegenüberstellung von laufenden Einnahmen und Ausgaben, ohne Investitionen) kräftige Überschüsse ausweisen. Beide Betrachtungen sind richtig - und dementsprechend umstritten ist die Frage, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind.
Gemäß seiner Aufgabe, das Geld zusammenzuhalten, nimmt Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) die Rolle des Mahners ein, und so versuchte er angesichts der "Finanzplanung 2011 bis 2015", die der Senat gestern beschlossen hat, die Erwartungen zu dämpfen. "Wir befürchten, dass dieser Trend so nicht anhalten wird", sagte er mit Blick auf das mit Spannung erwartete Zahlenwerk - denn das eröffnet der Hansestadt überraschend positive Perspektiven. So nähern sich die Ausgabe- und die Einnahmelinien schon 2015 stark an. Dann klafft im Haushalt "nur" noch ein Defizit von 170 Millionen Euro - 2010 waren es noch 1,7 Milliarden. Setzt sich die Entwicklung so fort, könnte Hamburg schon deutlich vor Inkrafttreten der gesetzlichen Schuldenbremse 2020 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
+++ CDU: Hamburg kann 2013 ohne neue Schulden auskommen +++
Entscheidend dafür ist jedoch die positive Einnahmeprognose, die auf der Mai-Steuerschätzung beruht - der traut Tschentscher nicht so recht. Er hätte die Finanzplanung lieber auf Basis der November-Schätzung gemacht, die mutmaßlich etwas pessimistischer ausfallen wird - doch der Haushaltsausschuss der Bürgerschaft wollte die Planung unbedingt vorliegen haben, bevor der Doppelhaushalt 2011/2012 verabschiedet wird. Und so hat der Senator etliche pessimistische Aussagen in die Planung hineindiktiert, etwa: "Der Senat kann sich eine Sichtweise, nach der die Schuldenbremse mit ,sportlichem Ehrgeiz' schon möglichst viele Jahre vor der vom Grundgesetz bestimmten Frist erfüllt werden soll, nicht zu eigen machen." Das eigene Ziel, die Ausgaben nie um mehr als ein Prozent steigen zu lassen, sei schon "harte Restriktion, die äußerste Sparsamkeit" verlange. Ein strukturell ausgeglichener Haushalt bis 2013 sei "nicht erreichbar".
Die ab jenem Jahr geltende "Hamburger Schuldenbremse" wird daher aufgehoben. Auch die Selbstverpflichtung, von den in der Finanzkrise aufgenommenen Milliardenschulden ab 2015 mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr zu tilgen, wird gestrichen. Tschentscher verhehlt gar nicht, dass der Ehrgeiz des Senats Grenzen hat. "Sparprogramme", so heißt es in seiner Planung, "laufen Gefahr, wichtige staatliche Leistungen zu beschädigen". Statt auf Teufel komm raus zu sparen, nutzt der Senat lieber Spielräume. So sollen die 400 Millionen Euro, mit denen in diesem Jahr einmalig ein Loch im HVF, dem Versorgungsfonds für städtische Pensionäre, gestopft wird, auch ab 2013 ausgegeben werden - obwohl es dann kein Loch mehr gibt.
Auch eine mögliche Entlastung um zwei- oder gar dreistellige Millionenbeträge durch den Bund, der den Ländern die "Grundsicherung im Alter" abnehmen will, würde Tschentscher als "strukturelle Mehreinnahme" verbuchen, die im Gegensatz zu "konjunkturell bedingten Mehreinnahmen" aus sprudelnden Steuern ausgegeben werden dürfte. Allerdings bräche der Senat dadurch seine selbst auferlegte Ein-Prozent-Regel. Wofür die SPD das Geld einsetzen würde, ist offen. Denkbar scheint, dass etwa die Abschaffung der Studiengebühren oder der versprochene Wegfall der Kitagebühren so finanziert werden - was aber ein Bruch mit dem Prinzip "Pay as you go" wäre, wonach jede neue Ausgabe an anderer Stelle zu Einsparungen führen muss.
Für die Opposition ist das ausgemacht: "Nachdem 'Pay as you go' nicht mehr gilt, wird auch noch die Ein-Prozent-Regel verwässert", kritisierte CDU-Finanzexperte Roland Heintze. Er will einen früheren Schuldenstopp: "Anstatt die Schulden so früh wie möglich auf null zu drücken, stellt sich Hamburg auf eine Ebene mit finanzschwachen Ländern und verweist auf den letztmöglichen Termin, den das Grundgesetz vorgibt. Das halten wir für falsch."
Die GAL-Haushaltsexpertin Anja Hajduk sprach von einer "Irreführung der Öffentlichkeit". Aus ihrer Sicht hätte der Senat die Haushalte von 2013 an um die Einmalausgabe für den HVF absenken müssen, schließlich falle diese nicht mehr an. So genehmige sich der Senat entgegen eigener Ankündigung einen "Schluck aus der Steuerpulle".