Hamburg. Ralf Neubauer (SPD) wurde gewählt. Was der Jurist für die zentralen Stadtteile plant – und warum sein Herz für Finkenwerder schlägt.

Wer mit Ralf Neubauer einen Spaziergang auf Finkenwerder macht, lernt viele nette Menschen kennen. Alle paar Meter ruft jemand „Moin, Ralf“ und hält einen kurzen Schnack mit dem SPD-Politiker. Der Bekanntheitsgrad, den der 39-Jährige in seinem Stadtteil hat, dürfte sich jetzt auf den gesamten Bezirk Mitte mit seinen rund 301.000 Einwohnern ausweiten. Denn Neubauer ist am Mittwoch von den Abgeordneten der Bezirksversammlung mit 33 Jastimmen (bei sechs Neinstimmen und neun Enthaltungen) für sechs Jahre zum neuen Bezirksamts­leiter gewählt worden. Der Rechtsanwalt tritt die Nachfolge von Falko Droßmann an, der für die SPD in den Bundestag eingezogen ist.

Wenige Tage vor der Wahl zum Bezirksamtsleiter hat das Abendblatt Neubauer zum exklusiven Ortstermin auf Finkenwerder getroffen. Nach dem Spaziergang holt Neubauer noch kurz Kaffee und Brötchen vom Bäcker nebenan und bittet in sein Abgeordnetenbüro am Steendiek in der Ortsmitte.

Ralf Neubauer zum Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte gewählt

Seit 2020 gehört der gebürtige Crailsheimer – die Stadt mit rund 35.000 Einwohnern liegt in der Nähe von Schwäbisch Hall – der Hamburgischen Bürgerschaft an. Dieses Mandat muss Neubauer als Bezirksamtsleiter aufgeben, auf ihn folgt Jörg Mehldau aus Wilhelmsburg. Erst Ende September, am Tag nach der Bundestagswahl, als klar war, dass Droßmann den Wahlkreis Hamburg-Mitte gewonnen hatte und nach Berlin geht, bestätigte Neubauer seine Ambitionen. Kurz danach nominierte ihn der SPD Kreisverband Hamburg-Mitte. Zuvor hatte bereits im Juni Tobias Piekatz, SPD-Fraktionschef in der Bezirksversammlung Mitte, seinen Hut in den Ring geworfen (wir berichteten).

Doch gleichzeitig als sich Neubauer als neuer Bezirksbürgermeister in Stellung brachte, gab Piekatz seinen Verzicht bekannt. Natürlich wurde zuvor monatelang hinter den Kulissen darüber gesprochen, wer dieses wichtige Amt bekleiden soll. Und es herrschte im Kreisverband, der in der Vergangenheit nicht immer durch Geschlossenheit aufgefallen war, offensichtlich Einigkeit bei der Personalie. „Ich bin von mehreren Seiten angesprochen worden, ob ich Interesse am Amt des Bezirksamtsleiters habe“, sagt Neubauer.

Neubauer wohnte mit Andy Grote zusammen in einer WG

Der Jurist hatte Lust. „Das ist ein unglaublich spannender Bezirk, der so viele Facetten hat. Zu uns gehört die Innenstadt, die pulsierenden Stadtteile St. Pauli und St. Georg und auch Quartiere mit sozialen Brennpunkten wie in Wilhelmsburg oder Billstedt“, sagt Ralf Neubauer. Seit 2004 lebt Neubauer im Bezirk Mitte. Zuvor hatte er in Bremen seinen Zivildienst absolviert und dort mit seinem Jurastudium begonnen, wechselte dann nach Hamburg.

Und dort zog der Baden-Württemberger, der mit 18 Jahren in die SPD eingetreten ist und sich lächelnd als „rotes Schaf in einer damals überwiegend schwarzen Familie“ bezeichnet, in eine Wohngemeinschaft auf dem Kiez. Sein Mitbewohner war der heutige Innensenator Andy Grote (SPD). Das Studentenleben inmitten des Amüsierviertels hat Neubauer genossen, aber 2009 wechselte er in deutlich ruhigere Gefilde. „Das war eher ein Zufall. Der Cousin eines Bekannten ist umgezogen, und dann habe ich dessen Wohnung auf Finkenwerder übernommen.“

An dem Stadtteil mit den rund 13.000 Einwohnern, in dem es noch Bauernhöfe und schmucke Häuser unter Reet gibt, schätzt Neubauer: „Das Dörfliche, man kennt sich hier, man hilft sich und achtet aufeinander.“ Inzwischen lebt er gemeinsam mit seiner Frau Nadine, deren 17-jährigem Sohn und dem gemeinsamen dreijährigen Sohn in einem Einfamilienhaus unweit vom Anleger, von wo die Einheimischen mit der Hadag-Fähre 62 in Richtung Landungsbrücken übersetzen.

Beim ersten Mal klappte es nicht mit der Bürgerschaft

Wer Ralf Neubauer länger kennt, weiß, dass er ehrgeizig ist und vor allem einen langen Atem hat. Das zeigt ein Blick auf seinem politischen Werdegang in der Hansestadt. Im Jahr 2005 wurde Neubauer als zugewählter Bürger Mitglied des Verkehrsausschusses der Bezirksversammlung Mitte. Von 2008 bis 2014 war Neubauer Abgeordneter der Bezirksversammlung Mitte, zudem von 2012 bis 2019 Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses.

„Das spannende an der Kommunalpolitik ist, dass man ganz nah an den Bürgern ist und auch direkt etwas bewirken kann.“ Neubauer nennt Beispiele. „Man erreicht, dass eine Buslinie häufiger fährt, dass neue Fahrradbügel aufgestellt werden oder dass ein neuer Kreisverkehr gebaut wird. Das ist nichts Weltbewegendes, aber für die Menschen vor Ort extrem wichtig.“

Bezirksamtsleiter des spannendsten Stadtteile

Bereits 2015 wurde Neubauer für die Bürgerschaftswahl im Wahlkreis Billstedt - Wilhelmsburg - Finkenwerder aufgestellt. Aber obwohl Neubauer mehr als 15.000 Stimmen auf sich verbuchen konnte, reichte Listenplatz 3 für einen Einzug ins Parlament nicht aus. „Aber ich habe damals nicht aufgegeben. Denn ich wollte ja weiter Politik machen, und 2020 bei den Bürgerschaftswahlen war ich dann in meinem Wahlkreis auf Listenplatz 1“, sagt Neubauer lächelnd.

Und er war nie weg, auch als er 2015 an der Bürgerschaft scheiterte und ihm das persönlich zu schaffen machte. 2017 wurde Neubauer zum Vorsitzenden des Regionalausschusses Finkenwerder, dem er seit 2008 angehört, gewählt. Seit 2010 ist der Wahlhamburger Vorsitzender des SPD-Distrikts Finkenwerder/Waltershof. Diese Präsenz auf Finkenwerder erklärt seine Popularität. Künftig steht Neubauer, der bislang als selbstständiger Rechtsanwalt gearbeitet hat, noch mehr im Fokus der Öffentlichkeit.

Denn Mitte ist auf jeden Fall der spannendste aller sieben Bezirke. Auch wegen der vielen Großveranstaltungen vom Schlagermove, über Marathon bis hin zum Dom und den Hamburg Cruise Days – gibt es viel Aufmerksamkeit und Diskussionen. Außerdem ist Neubauer jetzt gemessen an der Zahl der 1700 Mitarbeiter ein Konzernboss. Auch wenn sein Monatsgehalt – das bei um die 8700 Euro liegt – deutlich niedriger ausfällt. „Die Mitarbeiter möchte ich alle nach und nach kennenlernen. Mir ist es wichtig, dass wir ein großes Team sind und dass alle motiviert an die Arbeit gehen. Denn nur so funktioniert eine gut aufgestellte bürgernahe Verwaltung.“

Auch inhaltlich wird Neubauer Droßmanns Nachfolger

Seine Philosophie. „Wir müssen nah dran sein am Bürger. Das heißt nicht nur im Bezirksamt an der Caffamacherreihe, sondern auch an Standorten in den Stadtteilen. Das funktioniert ja bereits sehr gut mit unserem hauptamtlichen Regionalbeauftragten, aber vielleicht können wir diese Vor-Ort-Präsenz noch an der ein oder anderen Stelle ausbauen“, kündigt Neubauer im Abendblatt-Gespräch an.

Und Neubauer möchte etwas fortführen, was sich auch schon sein Vorgänger auf die Fahnen geschrieben hatte. „Wir müssen uns ganz genau anschauen, ob unsere soziale Infrastruktur für Kinder, Jugendliche, Familie und Senioren in den Stadtteilen noch den heutigen Anforderungen entspricht und wo wir Angebote verändern, verbessern, neu schaffen oder auch zusammenführen können“, sagt Neubauer und nennt als Vorbild für gebündelte Angebote das Haus der Familie auf St. Pauli.

Neubauer: „Wir brauchen ohne Frage mehr Wohnraum in der City“

Wer das Sagen in Mitte hat, der ist auch für die Innenstadt verantwortlich. „Die City ist buchstäblich zentraler Bestandteil unseres Bezirks, dementsprechend haben Bezirksamt und Bezirkspolitik da auch einen klaren Gestaltungsanspruch. Wir brauchen ohne Frage mehr Wohnraum in der City, damit die Innenstadt auch abends belebt ist. Auch müssen unsere öffentlichen Plätze attraktiver gestaltet werden, das Innenstadtkonzept ist da ein wesentlicher Baustein“, sagt Neubauer.

Und dann wäre da noch das Umfeld des Hauptbahnhofs, das vor allem wenn man Richtung Kirchenallee rausgeht, wenig einladend ist. „Es gibt bereits seit Jahren Bemühungen, den Hauptbahnhof aufzuwerten und umzugestalten. Das aktuell laufende städtebauliche Wettbewerbsverfahren gibt Grund zur Hoffnung, dass der Hauptbahnhof in Zukunft wieder eine würdigere Visitenkarte für die Stadt sein kann. Dieses Thema will ich mit Nachdruck begleiten.“

Trotz aller Termine: Ein Abend pro Woche gehört nur ihm und seiner Frau

Aber jetzt muss Neubauer erst mal in seinem Büro in der 10. Etage des Bezirksamts Mitte an der Caffamacher­reihe ankommen. Zuvor muss der Senat den Bezirksamtsleiter noch offiziell ernennen – das kann einige Wochen dauern. Bleibt zum Schluss die Frage, hat der neue „Mister Mitte“ eigentlich Hobbys? Neubauer schaut etwas überrascht. „Nein, ich bin voll ausgelastet. Die wenige Freizeit, die ich habe, gehört meiner Familie.“

Auch wenn sein Terminkalender als Bezirksamtsleiter künftig noch dichter sein wird. An einem Ritual möchte Neubauer auf jeden Fall festhalten: Dass ein Abend in der Woche nur seiner Frau Nadine und ihm gehört, für gemeinsame kulturelle Erlebnisse oder Restaurantbesuche.