Bergedorf. Trauerspiel zum Start der Nullerjahre 2000-2005: Penndorf-Pleite und Glunz-Aus, Körbers Chefetage flüchtet, und die „Kogge“ geht unter.

Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab, nicht nur wegen der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York: Kaum sind die sogenannten Nullerjahre des neuen Jahrhunderts angebrochen, verliert Bergedorf immer mehr große Namen seiner Vergangenheit. Das Textilkaufhaus Penndorf schlittert in die Pleite, auch Glunz schließt seinen legendären Stammsitz, das Kaufhaus am Mohnhof. Zudem geht das 60er-Jahre-Kneipenschiff „Kogge“ im Serrahn unter, und die Chefetagen des Körber-Konzerns zieht nach Hamburg: erst der Vorstand, dann die Stiftung. Selbst die Kult-Kneipe Schniedewind muss schließen, Inhaber Carsten Schniedewind geht deshalb sogar in die Privatinsolvenz.

Kein leichter Start für den neuen Bezirksamtsleiter Christoph Krupp, der am 8. Februar 2001 mit erst 41 Jahren als Rathauschef Nachfolger von Christine Steinert wird. Nach 19 Jahren im Amt tritt auch sie als Relikt der Vergangenheit ab, hatten ihr die Bergedorfer doch beim ersten Hamburger Bürgerentscheid Anfang Mai 2000 die Rote Karte gezeigt: Steinert wollte mit dem Konzern Hochtief ein riesiges Bauprojekt auf dem damals noch ebenerdigen ZOB realisieren. Knapp 60 Prozent der Bergedorfer lehnten ab, und Hamburgs Senat akzeptiert das Votum. Christine Steinert verdirbt es aber die Lust auf eine weitere Amtszeit. Es wäre ihre vierte gewesen.

150 Jahre bz: Bergedorf kämpft gegen den Untergang – und vieles versinkt

Wie schlimm es um Bergedorf in der ersten Hälfte der Nullerjahre steht, macht Krupp in seiner ersten Neujahrsansprache Anfang 2002 im Spiegelsaal des Rathauses deutlich: „Der Einzelhandel stagniert, gleichzeitig empfangen wir unsere Gäste mit einem ZOB, der aussieht wie ein vergessener Hinterhof“, zitiert die Bergedorfer Zeitung ihn am 7. Januar. Und Krupp gibt gleich einen Vorgeschmack auf die zehn Jahre seiner nun folgenden Amtszeit, in der er sich den Ruf als Visionär und Macher erarbeiten wird: „Als Bezirksamtsleiter versuche ich, die Belange Bergedorfs von ungewöhnlichen Seiten zu betrachten – immer unter der Maxime: ‚Warum können wir das nicht besser machen?‘“

Sachsentor
Tatkräftig engagiert bei allen Themen, die Bergedorf voranbringen: Bezirksamtsleiter Christoph Krupp (r.) um 2005 mit Friedrich Schüttfort und Bergedorf-Wappen in der Fußgängerzone Sachsentor. © bgz | Thomas Heyen

Neben der City bringt er dabei auch gleich sein Lieblingsprojekt der kommenden Jahre ins Spiel: den Schleusengraben, an dessen Ufer sich damals eine Industriebrache an die andere reiht. „Sein Ufer eignet sich hervorragend zur zentrumsnahen Ansiedlung von modernem Gewerbe“, sagt Krupp. „Ein großes Potenzial für Bergedorfs Zukunft.“ Doch bis dahin soll es noch über zehn Jahre dauern. In der ersten Hälfte der Nullerjahre muss sich Krupp vor allem als Krisenmanager beweisen.

„Penndorf in der Krise“ – die Pleite des Bergedorfer Textilkaufhauses

Los geht es neben dem geerbten Stillstand der ZOB-Entwicklung, der durch den Bürgerentscheid für Jahre festgeschrieben ist, am 5. Juni 2002 mit einem Paukenschlag: „Penndorf in der Krise“ titelt die Bergedorfer Zeitung an diesem Tag. Im 151. Jahr der Firmengeschichte des Textilkaufhauses am Sachsentor muss Hendrik Penndorf, Geschäftsführer in vierter Generation, bestätigen, dass ein Schuldenberg in Millionenhöhe angehäuft wurde.

Sachsentor
Trauerspiel: Blick auf die letzten Tage von Penndorf am Sachsentor 2002. Der Abverkauf hat im Spätsommer begonnen. Hinten wehen die „Reduziert“-Banner. © bgz | Ulf-Peter Busse

Es ist der Anfang vom Ende des Traditionshauses mit seinen 120 Mitarbeitern. Schnell stellt sich heraus, dass Penndorfs Stammsitz in Bergedorf zwar profitabel ist, die 90er-Jahre-Abenteuer des Familienunternehmens mit den 2002 längst geschlossenen Filialen an der Mönckebergstraße (heute P&C) sowie im Elbe-Einkaufszentrum (heute Ansons) aber so tiefrote Zahlen hinterlassen haben, dass Penndorf nicht mehr zu retten ist. Es dauert nur wenige Monate, bis im Februar 2003 endgültig alle Lichter ausgehen.

Auch das Glunz-Kaufhaus schließt – Eigentümer planen Neubau als Einkaufszentrum

Der östliche Teil der im Frühjahr 2002 gerade erst neu gepflasterten Fußgängerzone Sachsentor rutscht in eine tiefe Krise, denn jetzt kündigt mit den Gebrüdern Glunz auch das andere große Bergedorfer Traditionsunternehmen die Schließung seines Kaufhauses am benachbarten Mohnhof an. Weil nach den Worten der Eigentümerfamilie auch dort schon seit Jahren rote Zahlen geschrieben werden, wird es am 9. Juni 2004 geschlossen. Man liebäugelt allerdings damit, hier mit Unterstützung des Otto-Konzerns und seines Shopping-Mall-Betreibers ECE ein großes Einkaufszentrum zu errichten. Quasi als Gegengewicht zum City-Center Bergedorf, kurz CCB, auf der anderen Seite des Sachsentors.

Mohnhof
Ausverkauf auch im Glunz-Kaufhaus am Mohnhof: „Wir schließen den Einzelhandel am 9. Juni 2004“, kündigt das große Plakat über dem Haupteingang an. © bgz | Ulf-Peter Busse

Doch auch dort herrscht Krisenstimmung, gilt es ohne eine Erweiterung auf den ZOB doch als deutlich zu klein und kaum zukunftsfähig. Die Ansprüche der Kunden an den Shoppingspaß sind 30 Jahre nach der Eröffnung des CCB 1973 eben deutlich höher geworden. Aber haben die Bergedorfer genug Kaufkraft für gleich zwei Einkaufszentren?

Christoph Krupp kämpft für Neubau auf Bergedorfs altem ZOB, doch bis dahin sollen noch Jahre vergehen

Christoph Krupp greift ein, verhindert die Glunz-Pläne und macht sich stark für die Erweiterung des CCB, einschließlich des längst überfälligen ZOB-Neubaus sowie sogar eines neuen Bahnhofs. Der Bezirksamtsleiter holt alle seit dem Bürgerentscheid von 2000 zerstrittenen Akteure an den „Runden Tisch Bahnhofsvorplatz“. Doch das Gremium braucht unzählige Sitzungen, selbst um winzige Fortschritte zu erzielten. Die Menschen werden ungeduldig: „Bergedorf ohne Penndorf und Glunz – Alle warten auf den ZOB“, schreibt die bz am Ende des dritten Jahres von Krupps Amtszeit. „2003 wurde als Aufbruch ins 21. Jahrhundert geplant. Aber leider noch nicht realisiert.“

ZOB
Unattraktiv und für die Fahrgäste eigentlich sogar lebensgefährlich: Bergedorfs ehemaliger ZOB vor dem alten Bahnhof (hinten). Beim Wechsel zwischen Bus und Bahn mussten die Passagiere über die diversen Fahrbahnen laufen. © bgz | Dähling

Ausgerechnet jetzt bekommt der Macher auch noch im Bergedorfer Rathaus politischen Gegenwind, muss sogar um seinen Posten fürchten: Bei den Wahlen vom 29. Februar 2004 hat die CDU nicht nur in der Hamburgischen Bürgerschaft, sondern auch in der Bergedorfer Bezirksversammlung die absolute Mehrheit gewonnen. Sie will den Sozialdemokraten Krupp aus dem Amt vertreiben. Doch Krupp bleibt als einziger Hamburger Bezirksamtsleiter mit rotem Parteibuch im Amt – dank massiver Unterstützung fast aller gesellschaftlichen Gruppen Bergedorfs, einschließlich der Wirtschaft.

Wirtschaft zeigt CDU Rote Karte: SPD-Bezirksamtsleiter Krupp bleibt im Amt

Insbesondere die Unternehmer machen sich für den hemdsärmeligen Visionär stark, dem sie als Einzigem zutrauten, das angeschlagene Bergedorf aus der schwierigen ersten Hälfte der Nullerjahre in eine neue Zukunft zu führen. Zudem hat die CDU 2004 zwar schon seit drei Jahren mit Ole von Beust den Hamburger Bürgermeister gestellt, doch brauchte sie dafür neben der FDP die Unterstützung der neuen, auch in der Bürgerschaft nun großen Rechtsaußen-Partei von „Richter gnadenlos“ Ronald Barnabas Schill.

Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Innensenator Ronald Schill (r., Schill-Partei) ziehen am 29. Oktober2002 auf einer Pressekonferenz im Rathaus der Hansestadt eine positive Bilanz der einjährigen Regierungszeit.
Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Innensenator Ronald Schill (r., Schill-Partei) ziehen am 29. Oktober2002 auf einer Pressekonferenz im Rathaus der Hansestadt eine positive Bilanz der einjährigen Regierungszeit. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Kay Nietfeld

Diese Steigbügelhalter des Hamburger Machtwechsels hatten auch in der Bezirksversammlung bis 2004 schon für etliche Skandale gesorgt. Erst stemmte sich der sogenannte Bürgerblock aus CDU und Schill-Partei hier 2001 gegen die Erweiterung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, dann 2002 gegen einen muslimischen Friedhof, und im Februar 2003 machte Bergedorf sogar deutschlandweit Negativ-Schlagzeigen: CDU und Schill legten ihr Veto gegen das Verlegen von „Stolpersteinen“ ein, dem Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das auf dem Bürgersteig vor den einstigen Wohnhäusern der Opfer des Nazi-Terrors an die Hitler-Diktatur erinnert wird.

Skandal durch Schill-Partei: Bergedorfs Bürgerblock stoppt Stolpersteine für Nazi-Opfer

„Ich hätte nicht geglaubt, dass Bergedorf so provinziell ist“, reagiert Demnig am 1. März in der Bergedorfer Zeitung. Da hatte ein wochenlanges Tauziehen zu einem merkwürdigen Kompromiss geführt: Jetzt sollen Stolpersteine auf Bergedorfs öffentlichen Wegen nur verlegt werden dürfen, wenn die Eigentümer der benachbarten Häuser zustimmen. „Damit ist das Projekt so gut wie tot“, verweist der Künstler auf „mindestens 90 Prozent Ablehnung“. Doch Demingt betont, alle 22 Bergdorfer Messingplatten mit den Namen der Ermordeten dennoch zu verlegen.

Künstler Guter Demnig beim Verlegen von Stolpersteinen im Harders Kamp in Lohbrügge.
Künstler Guter Demnig beim Verlegen von Stolpersteinen im Harders Kamp in Lohbrügge. © BGZ / Ulf-Peter Busse

Am Ende kassiert das Bezirksamt den Kompromiss, weil er rechtlich nicht haltbar sei. Der Skandal wird zum Bumerang für das Bündnis CDU/Schill. Doch diese erste Regierungsbeteiligung einer Rechtsaußen-Partei in Hamburg, die Ole von Beust im Frühjahr 2004 platzen ließ, hinterllässt Spuren. Plötzlich sind Themen öffentlich diskutierbar, ja sogar mehrheitsfähig, die sich gegen geltendes Recht wenden. Ein Teil der Bürger, auch in Bergedorf, scheint damit kein Problem zu haben.

Kanzler Schröder stolpert über Hartz IV – doch in Bergedorf gibt es erste Lichtblicke nach langer Krise

Bundesweit soll am Ende der ersten Hälfte der Nullerjahre die rot-grüne Regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer scheitern. Am 22. November 2005 stellt Schröder die Vertrauensfrage und scheitert. Grund sind erhebliche Turbulenzen um Hartz IV, also die Neuordnung der sozialen Absicherung der Deutschen gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Die Angst vor Verarmung durch teils drastisch gekürzte Zahlungen sorgte für einen Aufschrei, der von den Grünen bis hinein in linke Kreise der SPD reichte. Auch hier zeigen sich jetzt Risse in der deutschen Gesellschaft.

Bethesda Krankenhaus
Umzug unter Begleitung diverser Presse- und Kamera-Teams: Alle Patienten des einstigen AK Bergedorf müssen am 21. August 2004 vom Gojenbergsweg über einen halben Kilometer ins Bethesda Klinikum am Glindersweg gebracht werden. © bgz | Ulrike Steinbach

Bergedorf legt in diesen unruhigen Zeiten bereits erste Grundlagen für seinen Aufschwung in der zweiten Hälfte der Nullerjahre. So wird die medizinische Versorgung des Bezirks endlich auf zukunftsfähige Beine gestellt: Am 21. August 2004 zieht ein ganzes Krankenhaus um: „500 Helfer von DRK und Feuerwehr, zudem Möbelpacker, Schwestern, Pfleger und Ärzte sorgen dafür, dass 180 Patienten ohne Komplikationen vom Allgemeinen Krankenhaus Bergedorf am Gojenbergsweg in das deutlich erweiterte Bethesda Krankenhaus am Glindersweg gebracht werden. Unter den Transportierten befinden sich sogar 16 Menschen von der Intensivstation“, berichtet die Bergedorfer Zeitung mit vielen Fotos vom Umzug auf mehreren Seiten.

Bergedorf zu provinziell: Körber-Vorstand und Stiftung ziehen in Hamburger City

Zudem wird am 17. August 2005 das hochmoderne neue, wenn auch deutlich verkleinerte Bille-Bad nach langer Bauzeit eröffnet. Und schon am 24. November 2003 hatte sich Bergedorfs Wirtschaft neu formiert: Die zeitweise geradezu verfeindeten Verbände „Wirtschaftliche Vereinigung“ und die Einzelhändler-Vertretung „City Partner“ fusionierten zum WSB, der seinem Namen „Wirtschaft und Stadtmarketing für die Region Bergedorf“ seither mit eindringlicher Stimme auf allen Ebenen Gehör verschafft.

Doch zunächst dominieren in Bergedorf bis zur Mitte der Nullerjahre noch die Hiobsbotschaften. Die schier endlosen Verhandlungen um die Bebauung des ZOB samt Bahnhof und dringend nötiger Erweiterung des CCB werden auch 2004/05 noch torpediert von den Einkaufszentrumsplänen auf dem Glunz-Areal am Mohnhof. Zudem ist der Leitungsebene des Körber-Konzerns das Bergedorfer Hauni-Areal zu provinziell. Trotz heftiger Proteste der Belegschaft und Vermittlungsversuchen aus der Politik wird Ernst gemacht: „Die Führungsetage des Konzerns kehrt Bergedorf den Rücken“, schreibt die bz im Rückblick auf das Jahre 2004. „Nachdem die Körber-Stiftung schon seit Jahren nach einem Sitz im Hamburger Zentrum sucht – und 2005 wohl in die Hafen-City zieht – geht jetzt auch der Vorstand des Konzerns. Die Herren und ihre engsten Mitarbeiter wechseln kommendes Jahr in die City-Süd in Hammerbrook.“

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Als eindrucksvolles Symbol für den Zustand Bergedorfs in der ersten Hälfte der Nullerjahre gilt indes die „Kogge“, die seit ihrem Bau 1967 als Restaurant- und Kneipenschiff fest vertäut an der Serrahnstraße im Bergedorfer Hafen lag: Das heruntergekommene gelb-braune Unikat hat am Mittag des 1. Februar 2004 plötzlich Schlagseite und sinkt auf den kaum zwei Meter tiefen Grund des Serrahn. Trotz von Feuerwehr, Tauchern und Bergungsexperten ist das marode Schiff nicht mehr zu retten.

Das Abwracken hat begonnen: Ein Bagger macht im März 2004 Kleinholz aus den Aufbauten der „Kogge“ im Bergedorfer Hafen, dem Serrahn.
Das Abwracken hat begonnen: Ein Bagger macht im März 2004 Kleinholz aus den Aufbauten der „Kogge“ im Bergedorfer Hafen, dem Serrahn. © Kultur. & Geschichtskontor | Kultur. & Geschichtskontor

„Am 8. März treffen die Abwracker ein, machen die hölzernen Aufbauten zu Sperrmüll“, blickt die bz in ihrer Silvesterausgabe 2004 auf das von Hunderten Schaulustigen beobachtete Drama zurück. Selbst die stählerne Schute, auf der die Aufbauten standen, steckt so tief im Schlamm, dass sie vor Ort „Stück für Stück auseinandergeflext werden musste“. Das Bezirksamt übernimmt für die finanziell klammen Eigentümer einen Teil der 70.000 Euro teuren Abwrackkosten – obwohl es auch Bergedorf damals kaum besser geht.