Bergedorf. Sanierung mit dem Abrissbagger: 1955 plant das Bezirksamt die autogerechte Stadt. Hunderte Bürger und Betriebe werden umgesiedelt.
Der Schock sitzt tief bei den Bergedorfern, als sie im Januar 1955 die Pläne von Oberbaurat Werner Schlepper sehen. In einer Ausstellung am Schulenbrooksweg hinter dem Rathaus stellt ihnen der Leiter von Bauamt und Stadtplanung die längst beschlossenen Pläne für eine neue Straße vor, die mitten durch die Bergedorfer Altstadt geschlagen wird. Schlepper will so die akuten Verkehrsprobleme auf der Landstraße Hamburg-Berlin lösen, die durch das enge Sachsentor führt – und gleich auch noch die Altstadt selbst „sanieren“.
Es sind die Pläne zum Bau der heutigen Bergedorfer Straße (B5), für die zwischen Vierlandenstraße und Mohnhof mehr als 100 Häuser mit 230 Wohnungen, 400 Mietparteien und 58 Gewerbebetriebe verschwinden müssen. Die sogenannte Durchbruchstraße schafft Platz für die Ideale des Neuen Bauens nach dem Zweiten Weltkrieg, das Bergedorf zum Feldversuch für den Bau einer Hamburger „Trabantenstadt“ auserkoren hat.
Für den Bau der B5 wird eine Schneise durch Bergedorfs Altstadt geschlagen
Dem soll hier ein lebendiges Viertel mit über 1000 Bewohnern in überwiegend einfachen, teils über 150 Jahre alten Häusern geopfert werden. Die Stadt der Zukunft entledigt sich nach den Vorstellungen von Bergedorfs Oberbaurat Schlepper und dem damaligen Hamburger Oberbaudirektor Werner Hebebrand weitgehend ihrer historischen Bausubstanz, die als Symbol überkommener totalitärer Herrschaftsstrukturen gesehen wurde.
Die Nachkriegsmoderne wollte eine durchgrünte Stadtlandschaft mit breiten Verkehrswegen schaffen, wie sie in den 1960er-Jahren etwa im Großwohnprojekt Lohbrügge-Nord entstand. Sie verstand das als Sinnbild für die neue, freiheitlich-demokratische Gesellschaft mit ihren selbstbestimmten, dank Auto-Boom jetzt motorisierten Bürgern. Die räumliche Grundlage für das Neue Bauen hatten die immensen Zerstörungen durch die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs geschaffen.
Der Blick von Oberbaurat Schlepper geht weit über die Durchbruchstraße hinaus
Dass Bergedorf bis 1945 fast keinen Schaden genommen hatte, störte den umtriebigen Werner Schlepper nicht. Vielmehr ging sein Blick weit über die Durchbruchstraße hinaus: „Seit Anfang der 50er-Jahre war mit dem Bau der Straße auch immer der Anspruch verbunden gewesen, die Bergedorfer Innenstadt neu gestalten zu wollen“, schreiben Dr. Christel Oldenburg und Wolfgang Meisel im Schlossheft 4 des Bergedorf-Museums, „Eine Schneise durch Bergedorf“.
Größer konnten die Ängste der Bergedorfer um ihre vertraute Heimat also kaum sein, wie auch unsere Zeitung am 10. Januar 1955 titelt: „Bergedorfer Altstadt – ja oder nein?“, steht über dem Artikel zur Durchbruchstraßen-Ausstellung am Rathaus. Sie zeigt die Ergebnisse des Architekten-Wettbewerbs des Bezirksamts aus der zweiten Jahreshälfte 1954, bei dem fünf der sechs Teilnehmer die Zerstörung der Vorstadt samt anschließendem Neubau sichtbar machen.
Es gibt bereits Pläne für eine Umgehungsstraße – doch die werden verworfen
Nur der Hamburger Architekt und Städteplaner Werner Kallmorgen legte einen Plan vor, der die Innenstadt verschont. Er wollte den gerade stillgelegten Bahndamm der Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn und den Brookdeich nutzen, um eine echte Umgehungsstraße zu bauen. Nur für die unumgängliche Anbindung an den Mohnhof sollten Häuser fallen. Doch Kallmorgen kam auf den letzten Platz.
„Der preisgekrönte Entwurf des Architekten Fritz Trautwein lichtet die alten Straßen schon bedenklich.“ Und auch bei den anderen vier Plänen „wird den Bergedorfern mit vollem Recht bänglich zumute werden“, schreibt unsere Zeitung, um dann zu ergänzen: „Gerade deswegen aber ist es gut, den Wettbewerb jetzt öffentlich zur Diskussion zu stellen.“
1955 ist es für einen Stopp zu spät: Pläne für Umgehungsstraße schon beschlossen
Doch jede Hoffnung auf einen Stopp der Durchbruchstraße, die Bergedorfs Zentrum bis heute nachhaltig prägt und buchstäblich zerschneidet, ist vergebens. Das bestätigt Werner Schlepper schon Anfang Februar 1955 bei einer der ersten von zahlreichen kritischen Diskussionsveranstaltungen zum Thema Durchbruchstraße: „Oberbaurat Schlepper gab ohne Zögern zu“, berichtet die Bergedorfer Zeitung von der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft selbstständig Schaffender der SPD, „dass der Architektenwettbewerb zwei Jahre zu spät gestartet worden ist, und dass er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine Kritik an einer bereits beschlossenen Konzeption sein konnte.“
Tatsächlich hatte die Bezirksversammlung schon im April 1952 für die Streckenführung mitten durch die historische Bergedorfer Vorstadt votiert. Und sie blieb bei ihrer Linie: Am 14. Juni 1956 sollte sie die endgültigen Durchführungspläne sogar einstimmig beschließen.
Frühe Grundlagen: Bau der Umgehungsstraße drohte schon seit 1912
Auch wenn diese Entwicklung aus heutiger Sicht unvorstellbar erscheint, so verwundert es rückblickend doch, dass es nicht lange vor dem Architektenwettbewerb und seiner Präsentation schon einen breiten Widerstand gegen die Durchbruchstraße in Bergedorf gegeben hat. Denn die Grundlagen stammten bereits aus dem Jahr 1912 und wurden 1929 in Form der Vierlandenstraße als erster von ausdrücklich zwei geplanten Durchbruchstraßen bereits zu einer Hälfte realisiert. Seither gab es auch eine Veränderungs- und Sanierungssperre für alle Häuser auf der späteren Trasse der Bergedorfer Straße..
Aus den späten 20er-Jahren stammt sogar schon die Kreuzung der Vierlandenstraße mit der Bergedorfer Straße samt ihrer bis heute erhaltenen Wohnhäuser. Sie standen ein Vierteljahrhundert am Rand einer nur mit wenigen Metern Pflaster und Fußwegen angedeuteten künftigen Hauptstraße.
In Lohbrügge wird die B5 längst gebaut, die Bergedorfer nehmen das nicht ernst
Und mehr noch: Seit Mai 1953 wurde in Lohbrügge bereits an der heutigen B5/Bergedorfer Straße gebaut. Aber offenbar hatte im Bergedorfer Zentrum niemand mehr damit gerechnet, dass die Durchbruchstraße Jahrzehnte nach ihrer Planung auch hier wirklich noch gebaut würde. Doch da hatte man sich gründlich getäuscht, wie der Blick nach Lohbrügge zeigte.
Der erste von drei Bauabschnitten dieser sogenannten Entlastungsstraße ist dort nämlich schon feierlich eingeweiht worden – am 3. Dezember 1954. Er führte von Boberg kommend bis zum Weidenbaumsweg und nutzte bereits die bis heute existierende Unterführung der Bahnlinie Hamburg-Berlin. Damit waren bereits Dreiviertel des 3,5 Kilometer langen Projekts fertiggestellt, das von der Weberade bis zum Mohnhof in der Hand des Bezirksamts lag.
Chaos vor dem Bahnhof, als die Bergedorfer Straße am Weidenbaumsweg endet
Die rund 15.000 Fahrzeuge pro Tag je Richtung sorgten jetzt zwar nicht mehr in Lohbrügge, dafür aber im Bergedorfer Zentrum für unendliche Staus. Schließlich musste sich die Blechlawine am Bahnhof vorbei zur Alten Holstenstraße und weiter durch das Sachsentor Richtung Geesthacht und Wentorf zwängen. Dass der Linienbusverkehr zum Bergedorfer Bahnhof bereits erheblich war, aber nur der heutige Taxistand an der Straße Am Bahnhof als Haltestelle zur Verfügung stand, machte das Chaos perfekt.
Deshalb wurde 1954 bereits fieberhaft am zweiten Bauabschnitt der Bergedorfer Straße gearbeitet – den 500 Metern von der Bahnunterführung bis zur Vierlandenstraße. Doch hier zogen sich die Verhandlungen mit der Stuhlrohrfabrik Sieverts immer weiter hin. Ihr Areal reichte damals bis zum Bahnhof und war somit nicht nur für den Weiterbau der Bergedorfer Straße entscheidend, sondern auch dafür, dass endlich ein großflächiger ZOB vor dem Bahnhof gebaut werden konnte.
1955/56 wird Bergedorfs Hafenviertel dem Straßenbau geopfert
Erst im Dezember 1955 lenkt die Fabrikantenfamilie Sieverts ein und verkauft die erforderlichen Teile ihrer Flächen: „Bergedorf bekommt den Bahnhofsvorplatz“, jubelt unsere Zeitung am 8. Dezember und beziffert den Kaufpreis auf 2,3 statt der geforderten 2,8 Millionen Mark. Der Verhandlungspoker verzögerte den Bau des 500 Meter kurzen Straßenabschnitts um mehr als ein Jahr, während das Projekt ZOB sogar bis zum Ende der 60er-Jahre in den Schubladen blieb.
Doch mit dem zweiten Bauabschnitt der Bergedorfer Straße fraßen sich die Abrissbagger nun durch den ersten Teil des alten Bergedorfs: Das gesamte Hafenviertel südlich der neuen Trasse fiel der Spitzhacke zum Opfer. Rund um das heutige Körberhaus wurde alles dem Erdboden gleich gemacht. Wesentliche Kritik daran gab es keine: „Städtebaulich kein Verlust“, schreibt die Bergedorfer Zeitung am 26. Januar 1955 zu einem Foto mit Blick auf die Häuserkulisse am alten Hafen, dem sogenannten Schiffwasser.
Bezirksamt gibt sich überrascht über Kritik am Abriss der Bergedofer Vorstadt
Entsprechend überrascht zeigt sich das Bezirksamt, als ihm bei den Plänen der Durchbruchstraße und den Kaufversuchen der betroffenen Grundstücke auf diesem dritten und letzten, nur 400 Meter kurzen Bauabschnitt heftige Kritik entgegenschlug. Oberbaurat Schlepper äußert sich 1960 rückblickend in der Bergedorfer Zeitung verbittert: Es seien „böse, streitbare und harte Worte“ gefallen, wobei der zunächst „massive Widerstand“ der Betroffenen im Sinne der „Gesamtaufgabe dieser Straße“ immer wieder habe erörtert und geklärt werden müssen.
Besonders scharfen Gegenwind gab es von der Kreishandwerkerschaft, die viele Mitgliedsbetriebe im Bereich der geplanten Durchbruchstraße hatte. Sie beschloss im Januar 1955 „die Gründung eines Zweckverbandes vorzubereiten, der den Behörden in geeigneter Form die Stirn bieten kann“, berichtet unsere Zeitung am 13. Januar. „Auf keinen Fall habe man die Absicht, mit den Händen im Schoß auf den Tag zu warten, an dem der Schutt vor der Tür liege und der Staat erkläre, dass man hier nun einmal nicht mehr bleiben könne.“
Bezirksamt muss in diversen Versammlungen Rede und Antwort stehen
Das Bezirksamt zeigt sich erstaunt über den Protest und verspricht, wie auch bei diversen anderen Versammlungen gegenüber Bewohnern, Grundeigentümern und Geschäftsleuten: „Wer vom Durchbruch direkt betroffen werde, heißt es aus dem Rathaus, sei informiert und habe die Angebote in den Händen. Unklar sei lediglich noch, wer von der großen ,Sanierung‘ der Altstadt betroffen werde.“
Knapp vier Wochen später deutet Oberbaurat Schlepper bei einem SPD-Infoabend an, dass sich der Bezirk vorstellen könne, am Brink neben dem Mohnhof für einige Jahre ein provisorisches Geschäftszentrum zu errichten. Wie und ob das realisiert werden kann, lässt er aber offen. Das befeuert die allgemeine Unruhe.
Bergedorfer Zeitung zieht alarmierendes Fazit der Stimmungslage
Die Bergedorfer Zeitung zieht am 8. Februar 1955 ein alarmierendes Fazit der Stimmungslage der Betroffenen: „Die Frage der Bauplätze für die geschädigten Grundeigentümer, die Kündigungsfrist, die Überbrückung des geschäftlichen Ausfalls, die neue städtebauliche Ordnung, die vor allem die ,Lärmbetriebe‘ angeht, und im Hintergrund immer wieder die finanziellen Sorgen zeigten in oft massiver Form, dass das Problem so generell, wie es hier zur Diskussion gestellt worden war, überhaupt nicht gelöst werden kann.“
Cäsar Meister, später Geschäftsführer der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille, ergänzte beim SPD-Abend den über allen Durchbruchstraßen-Abrissplänen schwebenden riesigen Wohnungsmangel der Nachkriegsjahre: „Trotz der verhältnismäßig günstig verlaufenen Bautätigkeit des Jahres 1954 hat das in Bergedorf nur eine Minderung der aktuellen Notlage, nicht aber eine Entlastung des Wohnungsproblems insgesamt gebracht.“
2400 Familien sind 1954 in Bergedorf als wohnungssuchend gemeldet
Allein schon die rund 400 Familien aus dem Abbruchviertel überstiegen die Zahl der jährlichen Wohnungsneubauten, die 1954 laut Bericht des Bezirksamtes bei nur 277 lagen. Der tatsächliche Wohnungsmangel lag dagegen beim Sechsfachen: Das Wohnungsamt im Rathaus verzeichnete 1955 in Bergedorf ohne die Vier- und Marschlande sogar 2400 Familien mit 6500 Personen als „wohnungssuchend“.
Gleichzeitig schlug den rigorosen Stadtplanern um Werner Schlepper das Bergedorfer Traditionsbewusstsein entgegen: Bitterböse Leserbriefe und tränenreiche Beschreibungen von bevorstehenden Abrissen mit Überschriften wie „Fast 60 Jahre warst Du unser Haus“ vom 4. August 1955 finden sich immer wieder in unserer Zeitung.
„In Bergedorf spielt kleines Bürgertum eine ausschlaggebende Rolle“
Das prägt Schleppers Bild der Bergedorfer: „Mehr als in einem anderen Stadtteil Hamburgs spielt in Bergedorf Tradition, Konservatismus, Beharrlichkeit und kleines Bürgertum eine ausschlaggebende Rolle“, zitieren wir ihn im September 1960, gut zwei Jahre nach der Freigabe der Straße am 11. April 1958. Ganz ohne Freier rollte da ab 15.45 Uhr der Verkehr, nachdem die eigentlichen Baumaßnahmen samt der umfangreichen Abbrucharbeiten für dieses rund 400 Meter kurze letzte Teilstück nur ein Jahr gedauert hatten.
Gegenwind bekam die Zerstörung der Altstadt natürlich auch aus Bergedorfs Museum, das im Juni 1955 im Schloss eröffnet wurde. Der Hamburger Senat stellte dem neuen Heimatmuseum das Bergedorfer Wahrzeichen zur Verfügung, um hier der umfangreichen Sammlung des Bergedorfer Bürgervereins zur Geschichte der einstigen Stadt den passenden Rahmen zu geben.
1955 wird das Schloss Sitz des Bergedorfer Museums
Schon zur Eröffnung wurde gegen das Bauamt und seine Pläne geschossen: Bergedorfs Bürger seien mehr als bloße Einwohner, schreibt unsere Zeitung am 20. Juni 1955 über die Reden: „So sei die im Zuge der Erneuerung von Bergedorfs Altstadtviertel aufgeworfene Idee, aus dieser Stadt eine ,Trabantenstadt Hamburgs‘ zu machen, ein Schuss ins Herz gewesen.“
Sorgen um den rasant wachsenden Straßenverkehr machten sich auch die Eltern, nutzten die Kinder doch traditionell die Straßen zum Spielen. Das Bezirksamt reagierte und baute 1955 die bis heute erhaltene Rollschuhbahn am Rand des Schlossparks. Ein Magnet, der dank der ersten Trendsportart sofort bis zu 250 vor allem junge Besucher anlockte.
Neue Rollschuhbahn begeistert im Schlosspark – Villengebietsbewohner klagen
Doch die Planer hatten die Rechnung ohne die Nachbarn im Villengebiet gemacht. Sie beschwerten sich über Lärm: „Mancher Arzt und andere Geistesarbeiter hat sich gerade hier angesiedelt, weil er wusste, die Nachbarschaft des Schlossgartens würde ihm Ruhe garantieren“, schreibt unsere Zeitung am 12. November 1955. Viele dieser Persönlichkeiten fürchteten demnach sogar eine Wertminderung ihrer Immobilien.
Bezirksamtsleiter Albert Schaumann beeindruckt das nicht. Er lässt die ohnehin festgelegte Öffnungszeit von 10 bis 17 Uhr täglich nur besser überwachen. Ansonsten würden sich die Anwohner mit der Zeit schon an den Geräuschpegel gewöhnen, sagt er am 2. Dezember in der Bezirksversammlung.
Heimatvertriebene weihen Mahnmal auf Bergedorfer Friedhof ein
Tatsächlich hat Bergedorfs Verwaltung wichtigere Probleme zu lösen. Dazu gehört auch zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg die Integration der vielen Tausend Heimatvertriebenen, die Bergdorfs Einwohnerzahl verdoppelt haben. Sie weihen am 7. August 1955 das bis heute auf dem Friedhof stehende riesige Ehrenmal ein, das eigentlich die Inschrift „Führe uns heim“ tragen sollte.
Das Bezirksamt intervenierte, um keinen gefährlichen Revanchismus aufkommen zu lassen, der in der jungen Bundesrepublik leicht zu antidemokratischen Tendenzen mit internationalen Folgen hätte führen können. Schließlich waren die Titelseiten auch der Bergedorfer Zeitung voll von den Atom-Drohungen des Kalten Krieges, während viele Wehrmachtssoldaten erst jetzt aus russischer Gefangenschaft zurückkehrten.
Hunderte Teilnehmer beim Fackelzug vom Friedhof zum Rathaus
Für Bergedorfs Gedenkstätte einigte man sich auf die Anti-Kriegs-Formulierung „Die Toten mahnen uns“, blickte aber dennoch mit Sorge auf den Fackelzug, der Hunderte Teilnehmer der Einweihung in den Rathauspark ziehen ließ. Doch alles blieb friedlich, auch weil hier wie selbstverständlich mit den Bergedorfern gemeinsam gefeiert wurde. Die Integration gelang, weil sich Vertriebene wie viele der anderen Deutschen als Opfer des Krieges fühlten, schreibt das Kultur- & Geschichtskontor in seinem Buch „Wo soll ich denn jetzt hin?“ über die Heimatvertriebenen in Bergedorf.
Deutlich weniger erfolgreich waren dagegen Bergedorfs Stadtplaner. Sie opferten zwar die alte Vorstadt für den Bau der Durchbruchstraße. Doch ihre Idee, sie zur „neuen Mitte Bergedorfs“ und so zur Keimzelle der modernen Stadt zu machen, scheiterte auf ganzer Linie.
„Neue Mitte“ mit Marktplatz an der Bergedorfer Straße
Das gilt besonders für den zentralen neuen Marktplatz als Kern der städtischen Entwicklung. Seine Grundzüge sind noch immer zu erkennen: Es handelt sich um den heutigen Parkplatz zwischen Iduna-Hochhaus und dem Restaurant November. Er sollte sich ursprünglich bis zum Sachsentor durchziehen, wofür auch dort fast alle Gebäude zwischen Betty Barclay und H & M im ehemaligen Penndorf-Haus abgerissen werden sollten.
Auch wurden die gegenüber geplanten Wohnblocks mit viel offenem Grün zur Straße nie umgesetzt, ebenso wie der Bau eines Kulturzentrums mit großem Saal auf dem späteren Areal des Glunz-Kaufhauses. „Immerhin kann man den Planern der 50er-Jahre eine gewisse Courage nicht absprechen, den großen Wurf und den Sprung in die Moderne zu wagen“, schreibt Christel Oldenburg in „Eine Schneise durch Bergedorf“. Dass er mit einer Bauchlandung endete, sei sicher nicht ihre Absicht gewesen.
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Tatsächlich hat die Umsetzung einfach zu lange gedauert und ist so zum Opfer des Paradigmenwechsels in der Stadtplanung geworden. Denn die 50er-Jahre-Idee von der gegliederten und aufgelockerten Stadt wurde in den 60ern zu den Akten gelegt. Jetzt galt die Maxime „Urbanität durch Verdichtung“, was zwar den weiteren großflächigen Abriss verhinderte, Bergedorf aber eine Verkehrsschneise bescherte, die die Stadt bis heute teilt.
Das Kultur- & Geschichtskontor formuliert es in seinem Buch „Die Zerstörung von Alt-Bergedorf“ als deutliche Kritik an Bergedorfs Politik und Verwaltung: „Die Durchbruchstraße zeigt, wie eine schlechte Planung, einmal in Gang gekommen, über Jahrzehnte fortgeführt wird und auch durch schlüssige Alternativen nicht gestoppt werden kann. Ist erstmal ein Anfang gemacht, werden Sachzwänge produziert, die später als Argument für ein Festhalten am Geplanten dienen.“