Bergedorf. 1953 in Bergedorf: Eine Eisenbahnlinie wird eingestellt, ein Krankenhaus neu eröffnet – und Kaufhäuser kurbeln den Konsum an.
Acht Jahre sind 1953 seit Kriegsende verstrichen. Und während prägende Ereignisse wie der Tod des Diktators Josef Stalin, die Krönung Elizabeth II. in Großbritannien oder der Volksaufstand in der DDR die Welt der kommenden Jahrzehnte weiter formen, wähnen sich die Bergedorfer wohl in eher ruhigem Fahrwasser. Eine Hitzewelle, auch Nachrichten von Betrügern, Unfällen oder Festen füllen 1953 die Schlagzeilen der Bergedorfer Zeitung. Und doch: Jenseits der kleinen Nachrichten werden in jenem Jahr weit mehr Weichen für Bergedorf gestellt, als wohl so manchem Zeitgenossen bewusst ist. Aus Anlass des Jubiläums 150 Jahre bz blicken wir zurück.
So war 1953 das Jahr, in dem der Bergedorfer Bürgerverein seine Heimatsammlung der Freien Hansestadt Hamburg per Schenkungsvertrag überließ – und somit den Grundstein für das heutige Museum im Schloss legte. Auch wurde 1953 das Bethesda-Krankenhaus eingeweiht; das erste Bergedorfer Baby wurde schon drei Tage später, am 3. Oktober, dort geboren. Der Hamburger Osten mit Bergedorf erhielt 1953 auch die Telefonnummern mit 71 und 72 am Anfang, die teils bis heute geführt werden. Und der Eisenbahnbetrieb Bergedorf-Geesthacht wurde nach nur 46 Jahren eingestellt. Eine Debatte, die nun, genau 70 Jahre später, wieder brandaktuell ist: Die Bahnlinie soll womöglich reaktiviert werden.
Bergedorf 1953: Zwischen Aufbruch, Verlust und der Sehnsucht nach Schönheit
Die Bergedorfer Zeitung hatte in den 1950er-Jahren mehrfach über das drohende Aus der Strecke berichtet. Um dann aber doch davon überrascht zu werden: Nach Meldungen im Oktober, die Eisenbahnlinie werde bleiben, am 26. Oktober plötzlich die Nachricht von der Stilllegung der Bahnstrecke. Das werde „noch viel Kummer bereiten“, mutmaßte damals die Redaktion: „Schon jetzt melden sich Stimmen, die der Entrüstung Ausdruck geben“.
An der Stilllegung führe aber wohl „kein Weg mehr vorbei“, heißt es in dem Artikel. Denn Senat und Bürgerschaft hatten das Aus der defizitären Strecke längst beschlossen. Dessen ungeachtet habe der Betreiber Bergedorf-Geesthachter Eisenbahn (BGE) den Betrieb zunächst aufrechterhalten. „Sie ist sich bewusst, dass er für den Berufsverkehr unentbehrlich ist“, schreibt unsere Zeitung. Weil die BGE aber 35 Arbeiter und Angestellte entließ, die dann auf Wiedereinstellung klagten, wurde der Betrieb dann doch beendet.
1953 wird der Weg von der BGE zu den Verkehrsbetrieben VHH geebnet
Auch die Vierländer Eisenbahn wurde in jenem Jahr eingestellt: Hier sollten neue Buslinien bessere Erreichbarkeiten sichern. Die BGE blieb indes bestehen: Weil sie im September 1953 auch die Betriebsführung der Verkehrsbetriebe im Kreis Stormarn übernommen hatte, wurde aus der BGE im Jahr 1954 ein bis heute wohlbekanntes Unternehmen: die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein, kurz VHH.
Der Ärger über fehlende Bahnanbindungen, aber auch zu volle Busse und schlechte Fahrpläne sind 1953 lokale Aufregerthemen. Doch wie so oft in der Nachkriegszeit stehen dem Ärger auch Fortschritte gegenüber. So berichtet die bz am 1. August über die „schnellsten Busse“ Europas, die nun auf der Strecke von Bergedorf nach Zollenspieker im Einsatz sind. Und auch der Bau der „Entlastungsstraße“ B5 wurde begonnen und zumindest damals noch nicht allzu kritisch gesehen. Enorme 7,6 Millionen Mark soll sie kosten.
Reihenweise werben „Lichtspiele“ in Bergedorf um Zuschauer
Es ist ein ambivalentes Jahr: Rückkehr nach Flucht, Wohnungsnot und Wohnungsbau, Verlust und Aufbruch sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Welt da draußen mit Wettrüsten, Koreakrieg und tiefen Gräben zwischen Ost und West ist noch nicht viel ruhiger geworden. Und so ist vor allem die Sehnsucht nach Leichtigkeit allgegenwärtig. Sie lässt sich auch aus den Anzeigen lesen, die in diesem Jahr in der Bergedorfer Zeitung erschienen und die einen tiefen Einblick in die damalige Gesellschaft geben.
Reihenweise werben etwa „Lichtspiele“ in und um Bergedorf um Zuschauer. „Die Junggesellenfalle“ verspricht im August „Stürme der Heiterkeit“ im Filmeck. Die „Diebin von Bagdad“ entführt in der Filmbühne Wentorf in ferne Länder und „amüsiert mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack“, den großen Stars dieser Zeit. Lieben, lachen, träumen: Die Bergedorfer Zeitung ist auch voll von Kolumnen und Kurzgeschichten, die mal augenzwinkernd, mal weise unterhalten oder Ratschläge fürs Leben geben wollen.
Wenn der Mann das Restaurant satt hat: „Rezept für Junggesellen“
Da ist zum Beispiel das „Rezept für Junggesellen“. Der Mann dieser Zeit hat es wohl irgendwann satt, im Restaurant die Speisekarte „von rechts nach links zu lesen“ und immer dasselbe zähe Rindfleisch zu essen, mutmaßt Autor Maxim Polo. Da solle sich der Mann doch bitte ein Kochbuch besorgen und es bei Pfannkuchen aufschlagen.
Er möge sich die Zutaten besorgen, daran denken, „dass die besten Köche der Welt Männer sind“, sich eine Schürze umbinden und ein Ei in die Schüssel schlagen. Humorvoller Rat: „Dann entferne mit dem Rücken eines sauberen Messers das Eigelb von der Hose“. Und so geht das Desaster auf etlichen Zeilen weiter, bis die Pfanne brennt, die Küche qualmt – und der Mann doch wieder ins Restaurant geht.
Zahllose Kleidungsanzeigen füllen die Bergedorfer Zeitung
Ja: Kochen ist 1953 noch Frauensache, auch wenn das Wort „Gleichberechtigung“ sogar schon in der einen oder anderen Überschrift auftaucht. Doch es bleibt dabei: Die Frau soll dem Mann das Essen hinstellen und dabei auch noch möglichst hübsch aussehen. Zahllose Kleidungsanzeigen der Bergedorfer Kaufhäuser wie Hertie und Penndorf füllen das Blatt jener Zeit. Doch es ist in den 50er-Jahren nicht einfach, für farbenfrohe oder bedruckte Kleidung zu werben: Die Zeitung wird schwarz-weiß gedruckt, auch Fotos sind wohl zu teuer.
Und so werden stattdessen gezeichnete Damen gezeigt, die lächelnd-kokett ein „vornehm-gediegenes Rips-Popelinkleid“ tragen, das auch „für stärkere Figuren überaus vorteilhaft“ ist und das 39 Mark und 75 Pfennige kosten soll. Oder es wird der „hochelegante Georgette-Mantel in der für Vollschlanke kleidsamen Form“ beworben, für 136 Mark. Mit passendem Hütchen dazu.
Erkennbar teilt sich auch die Bergedorfer Gesellschaft bereits in jene, die Geld ausgeben können und jene mit weniger Geld. Kostspielige Pelze werden bei den Kleinanzeigen angeboten, gleichzeitig „Schuhe auf Teilzahlung“. Hertie wirbt im Sommerschlussverkauf für Stoffe, aus denen findige Frauen die Kleidung für ihre Liebsten oder die Gardinen fürs Heim nähen können: Kräuselkrepp für 98 Pfennig den Meter oder Oberhemden-Popeline für 1,48 Mark den Meter.
„Alle sollen besser leben“ wirbt Hertie zudem an einem anderen Tag und bietet Sammeltassen, Konfektschalen oder ein Kaffeeservice zum günstigen Preis an. Zur Freude der Hausfrau, die in der Anzeige lächelt.
Per Anzeige Einheirat in „erstklassiges Möbelgeschäft“ gesucht
Geworben wird in den Kleinanzeigen aber auch noch für allerhand mehr. Ferkel, Ziegen, Schafe und ein Arbeitspferd werden angeboten. Auch Pferdegeschirre, eine „wachsame“ Schäferhündin oder ein Kohlenherd sind zu kaufen. Unter der Rubrik „Gesundheitsdienste“ schalten Arztpraxen ungewöhnliche Annoncen: „Zurück“ ist Dr. Schiller Am Bahnhof, „Verreist“ die Masseurin Otti Melz vom Reetwerder. Schließlich sollen die Kunden nicht mühsam anreisen und vor verschlossenen Türen stehen. Telefon hatte damals eben nicht jeder – und die Erfindung von Google und Co. sollte bekanntlich noch dauern.
Pragmatismus prägt auch den Heiratsmarkt. Da sucht nicht nur der „leicht kriegsversehrte“ junge Mann ein „liebes Mädchen“ zwecks Heirat. Nein, es geht auch um die „Einheirat“ in ein „erstklassiges Möbelgeschäft“. Wer da wen heiraten soll, wird nicht ganz klar – doch Interessenten können sich ans „Eheanbahnungs-Institut“ von Dorothea Romba wenden. Insgesamt scheint es mit der Liebe 1953 ganz gut zu klappen, denn viele Paare geben per Anzeige höflichst ihre „Vermählung“ bekannt.
Hamburg-Block wirbt mit dem Thema Schule um Stimmen
Subtil sind sie noch nicht, die Annoncen jener Zeit. Das zeigt sich auch bei den größeren Themen des Jahres. Denn gleich zwei Wahlen standen 1953 auf dem Programm, die Bundestagswahl (die Konrad Adenauer (CDU) erneut für sich entschied) und die Hamburg-Wahl, die Kurt Sieveking (CDU) zum Bürgermeister der Hansestadt machte. Die Christdemokraten hatten sich für jene Wahl mit der DP und der FDP zum konservativen Hamburg-Block zusammengetan.
In der Bergedorfer Zeitung werben sie 1953 etwa mit dem Thema Schule um Stimmen. „Die Mängel und Schäden der SPD-Schulexperimente“ sollten beseitigt werden, mit „aller Energie“ wolle man sich für Neubauten einsetzen, damit die „Jungen und Mädel“ eine gute Bildung erhalten, so heißt es.
„Der Wahlkampf unserer Gegner ins Kriminelle abgeglitten“
Das gefiel wohl nicht allen, denn wenig später folgt eine Annonce mit der Überschrift „Machtlose Polizei!“ In mehreren Straßenzügen waren Plakate des Hamburg-Blocks verschwunden. „Durch solche planmäßigen Gesetzeswidrigkeiten ist der Wahlkampf unserer Gegner ins Kriminelle abgeglitten“, so der Anzeigentext. Und weiter: „Mag der Gegner in seiner Verzweiflung Recht und Gesetz mit Füßen treten, der Hamburg-Block wird nicht Gleiches mit Gleichem vergelten.“ Man halte sich an Gesetz und Anstand. Das bringt dem Block am Ende dann wirklich 48.000 Stimmen mehr.
Doch auch wenn manches arg gestrig anmutet: Viele Zeitungsthemen des Jahres 1953 sind erstaunlich aktuell. Ob es um den Erhalt oder die Reaktivierung einer Bahnlinie geht, um „mehr Zuständigkeiten“ für die Bezirke, um einen neuen Grundgesetzartikel für mehr Gleichberechtigung oder um Fahrplanärger: Manches hätte auch heute noch Nachrichtenwert.
Volksparkstadion wird im Jahr 1953 eröffnet
Das gilt auch für den Sport: Ganz genau werden 1953 in der Bergedorfer Zeitung nicht nur die Spiele der Bergedorfer „Elstern“ verfolgt. Es geht auch um Themen wie die Eröffnung des Volksparkstadions und natürlich um die Spiele der deutschen Nationalmannschaft. Die Leistung der Fußballer war damals wie heute ein Thema.
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Und so erfreute es am 23. November wohl auch so manchen Bergedorfer, was er im Sportteil der Bergedorfer Zeitung lesen konnte. Mit 5:1 hatte die deutsche Elf am Vortag über Norwegen triumphiert – wichtige Punkte, um sich für die Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz zu qualifizieren. Deutschland brauche für die Qualifikation nun nur noch einen Punkt, also ein Unentschieden, schreiben die Sportreporter, und titeln: „Weg frei für die Schweiz?“
Den Punkt holten die deutschen Fußballer. Und der Rest ist Geschichte: Deutschland reiste 1954 als Außenseiter zur Weltmeisterschaft in die Schweiz und schaffte es dennoch ins Finale. Im später als „Wunder von Bern“ bezeichneten Endspiel besiegten die Deutschen dann den Turnierfavoriten Ungarn äußerst knapp mit 3:2.
Deutschland: Fußballweltmeister! Die Euphorie in Deutschland kannte keine Grenzen – ein nationaler Mythos war geboren.