Bergedorf. In „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ ordnen Branchenexperten aktuelle Themen ein. Heute: Gastronomie zwischen Krise und Aufbruch.

Ein Hauptgericht für 50 Euro. Kein Hummer, keine Austern, sondern solide Kost: Wenn Gastronomen über die Zukunft ihres Gewerbes sprechen, dann servieren sie mitunter auch dieses Szenario. Es ist eine Prognose, die weniger als Drohung erscheint denn als das Ergebnis einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung. Große Teile der Branche sehen sich offenbar mit einer Preisspirale konfrontiert, deren oberes Ende sie noch längst nicht für erreicht halten. Und die sie dazu zwingt, steigende Kosten an die Gäste weiterzugeben. Oder aber ganz neue Wege zu gehen, um Kosten zu senken.

„Es ist absehbar, dass die Preise in der Gastro noch weiter nach oben gehen werden“, sagt etwa Arne Meyer. Der 52-Jährige, der die Wein- und Friesenstuben in Ochsenwerder und die Marschländer Elblounge in Spadenland betreibt, zählt auf: Drohende Mehrwertsteuererhöhung, steigender Mindestlohn, immer mehr bürokratischer Aufwand – „das ist immens. Wenn wir das weitergeben würden, müsste ein Hauptgericht um die 40 oder 50 Euro kosten, damit wir wirtschaftlich gut dabei rauskommen.“

Serie „Punkt 11“: Hauptgericht für 50 Euro – wer geht dann noch ins Restaurant?

Aber 50 Euro für ein Hauptgericht – wer geht dann noch ins Restaurant? Darum geht es bei „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“, dem 60-minütigen Gedankenaustausch unter Experten morgens um elf in den Redaktionsräumen der Bergedorfer Zeitung/Lauenburgischen Landeszeitung. Außer Meyer sitzen Kathrin Mallonn am Tisch, Betreiberin der Fürst Bismarck Mühle in Aumühle und der Alten Deichkate am Billwerder Billdeich, und Torben Puttfarcken, der in der Bergedorfer Innenstadt Café, Bistro und Weinbar namens Koffeinschmiede aus der Taufe gehoben hat und nun auch als Gesicht der bz-Lounge bekannt geworden ist. Als offizieller Vertreter für die ganze Branche ist Axel Strehl zur Runde gestoßen, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Schleswig-Holstein.

Schleswig-Holsteins Dehoga-Präsident Axel Strehl, Inhaber eines Restaurants in Ahrensburg.
Schleswig-Holsteins Dehoga-Präsident Axel Strehl, Inhaber eines Restaurants in Ahrensburg. © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Hinter ihnen liegen herausfordernde Jahre. „Ständig kam irgendwas und krempelte das Geschäft komplett um. Man wünschte sich mal ein bisschen Ruhe und dass man sein Ding machen konnte. Aber eigentlich war man nur... geschüttelt“, sagt Torben Puttfarcken, der seinen Betrieb an der Bergedorfer Schlossstraße erst 2018 eröffnet und seitdem jede Krise mitgenommen hat. „Man guckt nur noch zur Tür und fragt sich: Was kommt jetzt Globales rein?“, sagt Axel Strehl. Arne Meyer pflichtet ihm bei: „Ich kenne viele Kollegen, die kaputt sind. Erschöpft. Die sagen: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.“

Hauptgericht für 50 Euro? Gastronomen befürchten Steuererhöhung

Und doch lieben sie ihren Job auch. „Dieses Zusammenkommen, mal reden, sich mal hinsetzen und einen Espresso trinken – wie uns das gefehlt hat in der Corona-Zeit und wie wichtig das ist! Auch beim After Work sieht man ja, wie die Leute miteinander sprechen und glücklich sind“, sagt Torben Puttfarcken. Und Arne Meyer sagt über seinen Beruf: „Das ist Leidenschaft. Ich mache das, weil ich den Gästen gern etwas Tolles präsentieren möchte. In keinem anderen Beruf bekomme ich so schnell eine Resonanz, ein Feedback von den Gästen.“

Trotzdem: Die Probleme reißen nicht ab, die Rahmenbedingungen werden nicht leichter. Ein Thema, das den Gastronomen zurzeit besonders auf den Nägeln brennt, ist die drohende Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie von derzeit sieben auf 19 Prozent. Der reduzierte Satz war 2020 von der damaligen Bundesregierung eingeführt worden, um die Folgen von Corona-Pandemie und Inflation für Restaurantbetreiber abzufedern; die Regelung gilt aber nur noch bis Ende dieses Jahres. Eine Verlängerung erscheint derzeit unwahrscheinlich. Jüngst ist die CDU-Fraktion im Bundestag mit einem Antrag des Hamburger Abgeordneten Christoph Ploß gescheitert, es dauerhaft bei sieben Prozent zu belassen.

Mehrwertsteuer: „Sieben Prozent wären ein gutes Fundament“

Gastronomen werden sich gezwungen sehen, auch die Steuererhöhung – gut elf Prozent – an ihre Gäste weiterzugeben, sagt Arne Meyer. „Dann werden viele Mitbürger sagen: Das ist uns zu teurer, dann gehen wir nicht mehr essen oder gehen weniger essen.“ In der Folge würden etliche Restaurants schließen, so seine Einschätzung. Kollegin Kathrin Mallonn pflichtet ihm bei: „Wir können die Preise nicht ohne Ende anheben. Es gibt eine Preiselastizität, die am Ende ist. Das zeigt sich schon jetzt ganz deutlich.“ Ein Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent wäre aus ihrer Sicht „ein gutes Fundament“.

Schon jetzt erkennen die Gastronomen, dass viele Gäste aufs Geld achten. „Trinkgeld ist ein ganz schwierige Thema geworden“, sagt Kathrin Mallon. Und das unabhängig von der Höhe des Umsatzes. Sie berichtet von Gästen, die 15.000 Euro für eine Veranstaltung bezahlen – und nicht einen Cent Trinkgeld geben. „Das ist Gang und Gäbe“.

Hauptgericht für 50 Euro? Gelerntes Personal will gut bezahlt werden

Als einen großen Preistreiber identifizieren die Gastronomen die Gehaltsstruktur in der Branche. „Wir müssen ja berücksichtigen, dass wir noch mal etwa 30 Prozent auf den Mindestlohn draufzahlen“, sagt Arne Meyer. Denn insbesondere Aushilfen in der Gastronomie sind sogenannte geringfügig Beschäftigte, die ihren Lohn „brutto für netto“ bekommen, für die Arbeitgeber aber Pauschalabgaben an Renten- und Krankenversicherung entrichten müssen. In der Praxis wird es noch teurer, denn: „Nicht mal ein Spüler fängt mehr für zwölf Euro an“, sagt Arne Meyer. „15 Euro sind gesetzt“, sagt seine Kollegin Kathrin Mallonn, „520-Euro-Kräfte müssen dann nur zweimal im Monat arbeiten kommen, dann haben sie ihre 520 Euro voll.“

Arne Meyer (v. l.) im Gespräch mit Torben Puttfarcken und Axel Strehl.
Arne Meyer (v. l.) im Gespräch mit Torben Puttfarcken und Axel Strehl. © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Eigentlich müsste die Bezahlung noch viel besser sein, meint der Dehoga-Präsident Axel Strehl. Der Inhaber eines Restaurants in Ahrensburg fragt: „Was machen denn unsere gelernten Servicekräfte, was machen denn unsere Köche anders als Handwerker?“ Sein Vergleich mit dem Handwerk, wo nicht in Arbeitsstunden, sondern in Arbeitswerten à zehn Minuten abgerechnet wird, geht so: „Wenn der Wasserhahn tropft, dann kommen Sie beim Installateur auf einen Nettostundenlohn von beispielsweise 84 Euro plus 19 Prozent Umsatzsteuer. Den bekommt zwar nicht der Mitarbeiter, sondern die Firma. Aber wenn wir dieses Verständnis durchbekämen, dass die Bevölkerung sagt: Auch Mitarbeiter in der Gastronomie haben ein Anrecht auf gute Bezahlung, dann wären wir tatsächlich bei 40 bis 50 Euro für ein Essen. Und dann könnten wir genau damit auf den Markt gehen.“ Die Gastronomie müsse um Akzeptanz für ihre Preise werben.

Je besser die Qualität, desto größer die Akzeptanz für hohe Preise

Akzeptanz, die desto leichter entstehe, je besser die Lebensmittel seien. Heimische Lebensmittel, zu denen sich idealerweise noch eine Geschichte erzählen lässt. „Für Frischlingsgulasch – das junge Wildschwein erlegt vom Bruder des Hauses – mariniert in Dunkelbier, das der Sohn des Hauses gebraut hat, konnte ich einen richtig guten Preis nehmen, der auch akzeptiert wurde“, sagt Axel Strehl. „Wenn die Leute merken, das ist nicht das Ding von der Stange, sondern das ist was wirklich Besonderes, dann ist auch eine andere Akzeptanz für das Preisniveau da.“

Vorausgesetzt natürlich, so ein Angebot trifft auf die richtige Klientel. „Wenn jemand mittags nur schnelll das Bedürfnis verspürt, satt zu werden, sieht das anders aus“, sagt Strehl. „Billig“ sehen die bei „Punkt 11“ vertretenen Gastronomen generell eher kritisch. „Diese Dumpingangebote – Mittagstisch für unter zehn Euro – haben viel kaputt gemacht“, sagt Arne Meyer. Und der Dehoga-Chef pflichtet ihm bei: „Das Problem ist ja, dass einige meinen, dass sie mit ,billig‘ auf dem Markt sein müssen, und damit den anderen das Geschäft kaputt machen. Es gibt eigentlich nur drei Möglichkeiten, billig zu sein: Die Mitarbeiter werden nicht anständig bezahlt. Die Lebensmittel taugen nichts. Oder der Laden dient eigentlich nur dazu, Geld in den Markt zu bringen. Das gibt‘s auch.“

Restaurants bleiben immer öfter tageweise geschlossen

Unterdessen bleiben immer mehr Restaurants an einigen Tagen in der Woche geschlossen, weil es die Personallage nicht anders zulässt und weil die Gastronomen lieber auf das planbare Veranstaltungsgeschäft setzen statt aufzuschließen und sich überraschen zu lassen, ob zufällig jemand kommt, um à la carte zu essen. Zwar hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nach den Worten von Dehoga-Präsident Strehl jedenfalls bei den Festangestellten etwas entspannt. „Im Sommer 2022 hatte wir in Schleswig-Holstein mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Gastgewerbe als im Vor-Corona-Jahr 2019. Keine Unmengen, aber mehr“, sagt er.

Aber Corona habe die Menschen verändert. „Wenn sie früher in die Saison gingen an die Ostsee oder in die Berge, dann waren sie ein paar Monate dort, um zu arbeiten. Sechs Tage die Woche. Und dann haben sie das Geld mit nach Hause gebracht.“ Die Bereitschaft, so etwas zu tun, sei heute gar nicht mehr gegeben. „Die wollen alle geregelte Arbeitszeiten. Alles läuft work-life-balance-gerechter. Und deshalb bleiben Betriebe auch mal öfter geschlossen.“

Bisher in der Serie „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ erschienen:

„Das wird der Weg sein“, sagt auch Torben Puttfarcken: ein festes Team, auf das die Arbeits- und Öffnungszeiten abgestimmt sind – um den Preis, dass möglicherweise an weniger Tagen in der Woche geöffnet ist. Der 34 Jahre alte gelernte Bäcker und Systemgastronom ist gerade testweise von einer Sechs- auf eine Fünf-Tage-Woche umgestiegen. Montags ist jetzt geschlossen. „Ich habe das durchgerechnet. Es müsste funktionieren“, sagt Puttfarcken, für den die weitaus wichtigere Frage ist, was seine Gäste davon halten. „Wirtschaftlich muss es nicht das Schlechteste sein, kürzer zu öffnen“, sagt Axel Strehl. „Wenn ich die Zeiten sondiere, in denen ich nur da bin, um da zu sein, und die dann wegnehme, dann ist das effektiver.“

Personalmangel: Kollege Roboter übernimmt

Und Effektivität wie Effizienz werden immer wichtiger angesichts angespannter Personallage und steigender Preise. Arne Meyer setzt Roboter ein, die im Service unterstützen. „Robotik wird uns begleiten, und zwar immer mehr“, ist er überzeugt, „Roboter werden die Arbeit machen, auf die Menschen keine Lust haben.“ Er beschäftigt sie zum Beispiel als Tellerschlepper. „Wenn ich meine Mitarbeiter dadurch entlasten kann, dann ist das der richtige Weg“, sagt er. Sein Beispiel: ein Tisch mit zehn Gästen, 30 Meter von der Küche entfernt. „Eine Servicekraft müsste vier- bis fünfmal hin und her gehen. Wenn ich aber einen Roboter dafür einsetzen kann, der von der Küchencrew bestückt wird und automatisch zum Tisch kommt, dann muss die Servicekraft nur noch servieren. Und das ganze Essen steht mit einem Mal auf dem Tisch.“

„Punkt 11“ in der Redaktion an der Chrysanderstraße mit (v. l.) bz-Redaktionsleiter und Gastgeber Alexander Sulanke, Arne Meyer, Torben Puttfarcken, Axel Strehl, Kathrin Mallonn, bz-Marketingmanagerin Elke Ammerschubert, bz-Mediaberaterin Claudia Mohr und bz-Verlagsleiter Ulf Kowitz.
„Punkt 11“ in der Redaktion an der Chrysanderstraße mit (v. l.) bz-Redaktionsleiter und Gastgeber Alexander Sulanke, Arne Meyer, Torben Puttfarcken, Axel Strehl, Kathrin Mallonn, bz-Marketingmanagerin Elke Ammerschubert, bz-Mediaberaterin Claudia Mohr und bz-Verlagsleiter Ulf Kowitz. © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

In der Elblounge fährt der Roboter sogar bis auf die Terrasse. Nächster Schritt: Gäste, die es wollen, können per QR-Code bestellen. Stolz ist Arne Meyer auch auf seine neue Cocktailanlage: „Gigantisch. Ich kann nur sagen: So schnell habe ich einen perfekten Cocktail noch nie gemixt.“ Vereinfachen, Tätigkeiten durch Technik ersetzen, aber immer noch den Menschen als Servicepartner haben – so sieht er die Zukunft.

Hauptgericht für 50 Euro? Entweder mehr Geld nehmen oder Einsparpotenzial finden

„Entweder muss man alles so teuer machen, dass es sich wieder rechnet, oder man muss irgendwo Einsparpotenzial finden“, sagt Kathrin Mallonn. Ein Stichwort ist Selbstbedienung. In der Deichkate hat Mallonn den Service schon an die Gäste delegiert: „Die Leute müssen ans Fenster kommen, dort bestellen und sich die Getränke abholen. Das Essen wird an den Tisch gebracht“, sagt sie. „Die Leute akzeptieren es.“ Auch bei der Wein- und Friesenstube gibt es nun Selfservice für Ausflügler, die Lust auf ein Getränk haben: Kühlschrank, EC-Lesegerät, Geldeinwurf, fertig.

Ein Hauptgericht für 50 Euro? „Man sieht, wie vielfältig die Gastronomie ist“, sagt Dehoga-Präsident Axel Strehl. „Und wenn der Gast die Wahl hat, dann wird er entscheiden: Welches Konzept gefällt mir am besten?“

„Punkt 11 – Stunde der Entscheider“: Das ist die Serie

Zu „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ kommen in loser Folge – aber immer um elf am Vormittag – Experten jeweils einer Branche in unsere Redaktionsräume in der Chrysanderstraße 1 in Hamburg-Bergedorf, um sich über wichtige Themen der Gegenwart auszutauschen.

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