Bergedorf. In „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ ordnen Branchenexperten aktuelle Themen ein. Heute: Bestattungskultur im Wandel.
Wenn Carsten Helberg über den Friedhof von morgen spricht, dann malt er ein Bild von einer großen virtuellen Welt mitten im irdischen Hier und Jetzt. Von Grabsteinen, die auf einer digitalen Landkarte mit dem Internet verknüpft sind. Von Spaziergängern, die ganz viel über die Menschen erfahren, die unter den Grabsteinen ihre letzte Ruhe gefunden haben. Von den Verstorbenen, die über ihr Ableben hinaus von sich erzählen. Und von einer Bestattungskultur, die sich verändere. Wird der Friedhof bald zum Facebook der Toten?
„Eher zu einem modernen Museum“, sagt Helberg, der Geschäftsführer der Hamburger Friedhöfe ist und in dieser Funktion auch die Geschicke auf dem größten Parkfriedhof der Welt in Hamburg-Ohlsdorf lenkt. Seine Vision von Informationen über „die dürren Worte auf dem Grabstein“ hinaus klingt nach einer spannenden Symbiose aus digitalisierten, für die Ewigkeit konservierten Kartons voller Erinnerungen und dem Vergänglichen, für das Grabfelder eigentlich geschaffen sind – und das sich nicht digitalisieren lässt.
Wird der Friedhof bald zum Facebook der Toten?
Noch ist das halb-virtuelle Friedhofs-Museum ein gefördertes Forschungsprojekt in Planung. Sicher ist hingegen: Die Friedhöfe müssen sich neu erfinden, die Bestatter müssen es auch tun. Denn immer weniger Menschen entscheiden sich für eine klassische Beisetzung. Schlichter und günstiger, das ist der ganz große Trend. Besonders ausgefallen und aufwendig ein entgegengesetzter. Zeit für eine Bestandsaufnahme und einen Blick in die Zukunft.
Genau darum soll es gehen bei „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“, dem Informationsaustausch morgens um elf in den Redaktionsräumen der Bergedorfer Zeitung an der Chrysanderstraße 1. Außer dem Friedhofschef aus Hamburg sind die Bestatter Marco Kleinert (Ollrogge-Kleinert) aus Bergedorf sowie Jan Papke (Richardt & Co) und Alexander Harder aus Reinbek zu Gast.
Bestattungskultur ist seit Jahren im Wandel
Das Friedhofswesen unterliege schon seit Jahren einem enormen Wandel, sagt Carsten Helberg. Da sei der anhaltende Trend zu Urnenbestattungen (80 Prozent in Hamburg), weshalb der Platzbedarf auf den Friedhöfen immer geringer werde – was hier und da auch zu sichtbarem „Leerstand“ führt. Und, für ihn entscheidend: Die persönliche Einstellung der Menschen zum Grab an sich habe sich verändert. „Ich komme aus Niedersachsen vom Dorf. Meine Oma ist samstags auf dem Fahrrad mit Gießkanne und Harke zum Friedhof gefahren. So etwas Rituelles, dass es sich einfach so gehört, das wollen viele heute nicht mehr, das gibt es nicht mehr“, sagt er. Insbesondere nicht im großstädtischen Umfeld.
Bestatter Jan Papke unterstreicht das. „Die Bindung in der Familie ist nicht mehr in dem Maße gegeben wie früher“, sagt er. „Junge Leute ziehen weg. Wenn jemand im Ausland lebt oder in Süddeutschland, wird er kein großes Interesse haben, hier ein Familiengrab zu unterhalten.“ Und für viele Menschen aus dem bürgerlichen Milieu seien die Kosten ein ganz großer Faktor geworden, so Papke. „Es wird immer mehr nach dem Preis gefragt“, weiß auch Helberg; bei den Hamburger Friedhöfen beginne die Preisspanne für die Überlassung eines Grabes für 25 Jahre bei 1500 Euro – „nach oben sind keine Grenzen gesetzt“, sagt Helberg, der 3000 Euro für ein durchschnittliches Familiengrab für realistisch hält.
Bestatter finden Hamburger Gebührenordnung moderat, die in Reinbek nicht
Während die Bestatter bei „Punkt 11“ die Hamburger Gebührenordnung (gilt auch für Bergedorf, wenngleich der Friedhof an der August-Bebel-Straße nicht in die Zuständigkeit der Hamburger Friedhöfe fällt, sondern in die des Bezirks) als „moderat“ bezeichnen, berichten sie von hohen Kosten auf anderen, vorwiegend kirchlichen Friedhöfen, beispielsweise in Reinbek. Jan Papke: „Trauernde sitzen mit der Preisliste in der Hand weinend vor einem und sagen: Das können wir uns einfach nicht erlauben.“
Auch Marco Kleinert sieht da „ein großes Problem“: „Wenn ich im Wald eine Grabstelle für 25 Jahre kaufen kann für 600 oder 700 Euro, und dann kommt die Beisetzung dazu mit 350 Euro, dann liege ich so bei 1000 bis 1100 Euro. Wenn der Friedhof ein Grab anbietet, das 4500 Euro kosten soll, dann müssen viele Familien überlegen. Die gehen dann in den Wald. Dadurch wird eben auch von offizieller Seite aus ein Trend erzeugt.“
Mehr noch: Es entsteht ein Teufelskreis. Denn die „Preissprünge“ insbesondere auf einigen kirchlichen Friedhöfen resultieren laut Carsten Helberg daraus, dass die zurückgehende Zahl der Bestattungen nicht mehr kostendeckend ist. Heißt: Je weniger Menschen auf diesen Friedhöfen bestattet werden, desto schneller und höher steigen die Preise. Und je höhe die Preise steigen, desto weniger Menschen werden dort beigesetzt.
Eine weitere kostengünstige Alternative ist nach Worten Helbergs die Seebestattung, deren Anteil an den Einäscherungen in der Hansestadt inzwischen bei zwölf Prozent liege.
Manche Kunden haben auch höhere Ansprüche als früher
Aber es gibt eben auch die Kunden, die anspruchsvoller sind als früher und sich das auch etwas kosten lassen. „Wir haben innerhalb von vier Wochen zwei Beerdigungen in Ohlsdorf organisiert, bei denen am Morgen die Trauerfeier am Sarg war, dann die Einäscherung und am Nachmittag die Urnenbeisetzung“, berichtet Marco Kleinert, „so etwas wäre früher undenkbar gewesen.“ Es koste natürlich mehr, als wenn bis zur Einäscherung sechs Wochen vergehen, weil ein Bestatter ein besonders preisgünstiges Krematorium in einer anderen Region Deutschlands ausgesucht hat.
Friedhofschef Helberg berichtet zudem von ideenreichen und fantasievollen Trauerfeiern, bei denen beispielsweise ganze Strandlandschaften oder Motorräder auf dem Friedhof arrangiert werden. Auch bei der Gestaltung der Gräber erlege Ohlsdorf in vielen Bereichen der Anlage im Rahmen des Möglichen keine Vorschriften auf – wobei zu berücksichtigen sei, dass der Friedhof ein Gartendenkmal ist. Helberg: „Der Verkauf unserer teuersten Grablagen boomt tatsächlich.“
Friedhof als Facebook von morgen: Bestatter haben unterschiedliche Auffassungen
Und vielleicht führen sie bald eben auch in eine digitale Parallelwelt voller Zusatzinformationen. Wobei die Bestatter das Projekt Helbergs unterschiedlich bewerten. Marco Kleinert wirkt tendenziell eher skeptisch. „Die ersten Gedenkportale sind ja schon mit Entstehung des Internets aufgekommen, die gab es schon Ende der 90er-Jahre“, sagt er. „Viele haben sich daran versucht. Wir haben auch die Möglichkeit, das unseren Kunden anzubieten.“ Aber er stehe da gar nicht so hinter. Kleinert: „Ich finde das echt schwierig, dem Kunden zu sagen: Na, wollen wir den Verstorbenen nicht noch mal bei uns auf so einer Internetseite wiederauferstehen lassen, um als Bestatter noch mal viele Zugriffszahlen über die Website zu generieren.“ Man müsse lange darüber nachdenken, ob das ethisch und moralisch vertretbar sei.
Kollege Alexander Harder steht dem Thema aufgeschlossener gegenüber. „Wenn wir über digitalen Nachlass sprechen, geht es aus meiner Sicht immer viel zu sehr ums Löschen“, sagt er. Deshalb spricht er lieber von „digitalem Erbe“. Und sagt über seinen eigenen Tod: „Wenn es Facebook dann noch gibt, würde ich mich freuen, wenn dort eines Tages mein Lebenslauf zum Beispiel über 40 oder 50 Jahre nachzuvollziehen ist. Und wenn in diesem Fundus an Leben, das man ja selbst gefüllt hat, Kinder oder Enkelkinder rumstöbern können, ist das Ahnenforschung 4.0.“
So wurde Quereinsteiger Alexander Harder zum Bestatter
Harder, der mit seinen Kunden am liebsten per WhatsApp kommuniziert („So macht man das heute“), ist ein eher unkonventioneller Bestatter, ein typischer Quereinsteiger in die Branche, „Bestatter in erster Generation“, wie er schmunzelnd sagt. „Seit 13 Jahren. Ich habe früher in einem Werbemittelunternehmen im Büro gearbeitet, dann alles hingeschmissen, weil mir das zu doof war.“ Eine Bekannte hatte sich damals bei Stuttgart als Bestatterin selbstständig gemacht und ihn gefragt, ob das nicht auch was für ihn wäre. „Dann habe ich bei ihr zwei Wochen mitgearbeitet und gesagt: Okay, kann ich auch!“
Viele Quereinsteiger kämen aus der Versicherungsbranche, aus dem medizinischen Bereich oder hätten in der Pflege gearbeitet und seien dann Bestatter geworden. Harder: „Also, wir haben da ganz gute Quereinsteiger, die einen Input mitgebracht haben, das eine oder andere auch mal von einer anderen Seite zu betrachten.“
„Offiziell seit 1877 steuerzahlend gemeldet“
Es ist der krasse Gegenentwurf zu jemandem wie Jan Papke, der über sich sagt: „„Wir sind jetzt offiziell seit 1877 in der Branche steuerzahlend gemeldet, inoffiziell seit 1800. Ich bin die fünfte Generation und habe die sechste schon mitwirkend im Haus.“ Und die siebte sei bereits auf der Welt.
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Es liegt auf der Hand, dass Bestatter mit einer langen Tradition die Quereinsteiger grundsätzlich eher kritisch sehen. Die Sorge vor schwarzen Schafen scheint groß. Und auch nicht ganz unberechtigt. Friedhofschef Carsten Helberg sagt: „Wir haben es mit 200 Bestattern zu tun in Ohlsdorf, und es gibt leider Halunken dabei. Ganoven. Die gibt es.“ Es sei selten, „aber den Schaden, den sie anrichten, gar nicht mal für den Ruf ihrer Branche, sondern für die Familie, das kann man sich gar nicht vorstellen. Die Leute sind völlig fertig, wenn bei der Bestattung ein Termin nicht eingehalten wird, wenn zur Trauerfeier die Urne nicht da ist, wenn Dinge versprochen werden, die dann doch nicht gehalten werden.“
Traditionsbetriebe wünschen sich die Meisterpflicht
Bestatter sei aus Sicht der Traditionsbetriebe nicht gleich Bestatter, sagt auch Marco Kleinert. „Der Großteil der Bestatter in Deutschland würde es gern sehen, dass wir in eine Meisterpflicht kommen, damit wir uns auch abgrenzen können. Es ist ja nicht so wie beim Immobilienmakler: Jeder kann sich einen Gewerbeschein holen und dann loslegen. Es gibt zwar Fälle, in denen läuft das ganz gut, es gibt aber auch Fälle, in denen geht das fürchterlich schief.“
Es sei zwar nicht so, dass jemand, der von außen komme, das nicht auch ganz gut bedienen könne, „aber wir möchten schon, dass es eine Grundvoraussetzung gibt, damit die Qualifikation gegeben ist.“ Der Beruf des Bestatters sei unglaublich umfangreich. Kleinert zählt auf: „Da ist die Beratung. Ich muss Sachkenntnis über die Gesetze haben. Ich muss in einigen Bundesländern einen Bagger bedienen können, um die Gräber selbst auszuheben. Ich muss den Verstorbenen herrichten können. Ich muss Trauerberatung können, ich muss Trauerpsychologie können, als Meister muss ich auch Marketing beherrschen.“ Der Beruf sei vielfältiger geworden. Allein den digitalen Nachlass zu regeln, erfordere spezielle Kenntnisse. Und die Nachfrage sei da.
Kollege Papke, auch ein Verfechter der Meisterpflicht, erklärt, woran ein seriöser Bestatter zu erkennen sei: „Es gibt gewisse Kriterien. Eines: Ist er organisiert im Verband? Ein zweites: Ist es ein zertifiziertes Unternehmen? Damit kann man sicher sein, dass diese Firma Räumlichkeiten, Equipment und Personal hat, das entsprechend ausgebildet ist.“
„Punkt 11 – Stunde der Entscheider“: Das ist die Serie
Zu „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ kommen in loser Folge – aber immer um elf am Vormittag – Experten jeweils einer Branche in unsere Redaktionsräume in der Chrysanderstraße 1 in Hamburg-Bergedorf, um sich über wichtige Themen der Gegenwart auszutauschen. Für die nächste Folge dieser Serie begrüßen wir Vertreter der örtlichen Sportvereine.
Bisher in der Serie „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ erschienen: