Hamburg. In „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ ordnen Branchenexperten aktuelle Themen ein. Heute: die Entwicklung auf dem Finanzmarkt.
Wer jetzt Geld anlegt, investiert immer öfter in Nachhaltigkeit. Es ist ein Trend, der auch für die Kreditinstitute in der Region zu einem wichtigen Thema wird. Bei der Hamburger Volksbank etwa fließe bereits jeder dritte Euro in den Fondsanlagen in nachhaltige Produkte, wie Vorstandssprecher Thorsten Rathje berichtet. „Gerade die jüngeren Kunden wollen das“, bestätigt sein Kollege Michael Simon, der Filialdirektor der Deutschen Bank in Bergedorf ist.
Udo Schlünsen, Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Herzogtum Lauenburg, sagt: „Nachhaltigkeit geht hier weit über das klassische Thema Ökologie hinaus. Auch Soziales und Unternehmensführung spielen eine Rolle.“ Und die Haspa setzt ebenfalls auf die „Geldanlage mit gutem Gewissen“, so deren Direktor für die Region Ost, Holger Knappe.
Inflation: Hamburger sind in der Krise am zuversichtlichsten
Rathje, Simon, Schlünsen und Knappe sind zur Premiere der neuen Serie „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ in die Redaktionsräume der Bergedorfer Zeitung/Lauenburgischen Landeszeitung gekommen. Bei dem 60-minütigen Gedankenaustausch morgens um elf wird sich das Gespräch an diesem Tag auch um Inflation und Energiekrise drehen, um verunsicherte Verbraucher und weit verbreitete Geldsorgen. Doch – auch das wird deutlich – die Hamburger blicken offenbar zuversichtlicher in die Zukunft als Menschen in anderen Regionen der Republik.
Im Vergleich aller Bundesländer liegt die Hansestadt deutlich an der Spitze, wenn es um die Einschätzung der Einwohner geht, dass sich ihre finanzielle Situation in den kommenden zwei Jahren verbessern werde. 40 Prozent denken so, nur jeder Vierte geht von einer Verschlechterung aus; bundesweit halten sich Optimisten und Pessimisten die Waage. So steht es in dem vor Kurzem veröffentlichten Vermögensbarometer des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, aus dem Holger Knappe zitiert. Und: Jüngere sind der Studie zufolge zufriedener mit ihrer finanziellen Situation als Ältere.
Kunden investieren in nachhaltige Geldanlagen
Nachhaltige Geldanlage ist also das Stichwort. Nach Einschätzung der Kreditexperten ist das weit mehr als ein Etikett mit schönem Namen oder das Ergebnis einer Entscheidung aus dem Bauch heraus. Ganz im Gegenteil. Michael Simon von der Deutschen Bank sagt: „Es geht um Investitionen in Unternehmen, die sozialer agieren, umweltbewusster handeln und damit weniger Skandale haben. Damit verbunden ist die Perspektive, dass diese Unternehmen sich besser entwickeln als das Unternehmen, das jedes Jahr Schlagzeilen produziert, wie es mit Mitarbeitern umgeht oder Abwässer irgendwohin abfließen lässt.“
Geringer Energieverbrauch, gutes Betriebsklima, transparente Lieferbeziehungen – auch nach Überzeugung des Kreissparkassen-Vorstands Schlünsen sind es die entscheidenden Faktoren. „Auf die lange Sicht sind das die erfolgreicheren Unternehmen. Erfolgreicher als die, die sagen: Ich mach’ mal eben das schnelle Geld.“
Banker empfehlen: langfristig investieren und geduldig sein
Alle vier Banker empfehlen, auch beim Vermögensaufbau jetzt keine kurzen Sprünge zu unternehmen. „Man muss langfristig investieren. Und geduldig sein“, sagt Michael Simon. Dringender Rat der Experten: den Einsatz breit zu streuen, um das Risiko eines möglichen Totalausfalls zu minimieren. Eine Strategie, die sich Udo Schlünsen auch einst bei der Wahl der Energielieferanten für Deutschland gewünscht hätte: „Wir haben aber auf einen Energielieferanten gesetzt. Das ist genauso schlecht, wie auf eine Aktie zu setzen“, sagt er. „Jetzt diversifizieren wir unseren Energiemarkt, und das ist das Gute: So wird man solche Krisensituationen wie jetzt künftig besser parieren können.“
Starker Rückgang bei den Immobilienverkäufen
Unterdessen erleben die Banker bei der klassischsten aller Altersvorsorgen gerade einen massiven Einbruch: Immobilien sind vergleichsweise wenig gefragt, weil die Interessenten sie sich entweder nicht mehr leisten können oder aber zumindest abwarten. „Wenn man für eine Immobile bis vor Kurzem 100, 150, 200 Nachfragen hatte, sind es jetzt vielleicht drei, vier, fünf Leute, die am Ende die Immobilie tatsächlich kaufen wollen“, berichtet Michael Simon. „Auch wir stellen fest, dass sich viele jetzt in die abwartende Haltung begeben“, sagt Haspa-Direktor Knappe. Auch wenn es ihn freue, dass in jüngster Zeit mehr Immobilien auf dem Markt verfügbar seien. „Endlich gibt es wieder Angebote, über die wir reden können.“
Nur: Die Käufer halten sich eben zurück. „Natürlich geht das, was sich vor einem dreiviertel Jahr noch gerechnet hat und jetzt 1000 oder 1500 Euro pro Monat teurer ist, nicht mehr so ohne Weiteres“, sagt Udo Schlünsen angesichts gestiegener Darlehenszinsen, bei denen mittlerweile bei zehnjähriger Laufzeit eine vier vorm Komma steht. Historisch betrachtet sei das zwar gar nicht so fürchterlich hoch, meint der Sparkassen-Vorstand. Für problematischer hält er, dass der Zinssatz innerhalb weniger Monate rasant gestiegen ist, „weil dadurch alle Marktindikatoren gar nicht nachziehen konnten“.
Eigenkapital wird beim Hauskauf wichtiger
Schnell gestiegene Zinsen bei gleichzeitig noch unverändert hohen Kaufpreisen – das funktioniert gerade nicht, und es wird nach Einschätzung der Finanzexperten auch nicht so bleiben. „Wir stellen fest, dass die Angebotspreise jetzt langsam zurücklaufen, die Preise gleichen sich an. Wir hatten in der Vergangenheit wegen der niedrigen Zinsen sicherlich auch Übertreibungen in den Preisen“, sagt Udo Schlünsen, der es, wie seine Kollegen auch, grundsätzlich weiterhin für sinnvoll hält, Immobilienkapital zu schaffen. Aber nicht um jeden Preis, wie Volksbank-Vorstand Thorsten Rathje ausführt: „Die Sache muss auch aufgehen“, sagt er. Eigenkapital zu haben sei bei höheren Zinsen wieder wichtiger. Außerdem achten die Banken darauf, dass Immobilienkäufer nicht zu knapp kalkulieren. Rathje: „Wir machen immer eine Kontrollrechnung. Was passiert, wenn ein Zinssatz, der bei zwei Prozent liegt, nach Ende der Laufzeit plötzlich bei fünf oder sechs Prozent liegt? Was geschieht, wenn ein Kind kommt und ein Elternteil deshalb nicht mehr in Vollzeit arbeitet? Ist da genug Puffer drin?
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Eine Empfehlung der Banker lautet daher, Geld in Bausparverträge zu stecken. „Bausparen ist eben nicht nur für den Kauf einer Immobilie wichtig, sondern danach kommt ja auch noch mal was: Renovierung, Anbau, Umbau und so weiter. Auch dafür konnte man und kann man auch in der Zukunft günstige Bauspardarlehen unglaublich gut einsetzen“, sagt Thorsten Rathje.
Wie lange wird die Inflation noch dauern?
Zum Alltag in den Bankfilialen gehört dieser Tage aber auch, dass Kunden kommen, die sich konkrete Sorgen machen, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können oder die Abschlagszahlungen für Energie. Die dann fragen: Wie lange geht das denn noch so weiter mit der Inflation? Thorsten Rathje von der Hamburger Volksbank setzt auf weitere massive Leitzinserhöhungen seitens der Europäischen Zentralbank. „Wenn die EZB jetzt massiv gegensteuert, besteht die Hoffnung, dass sich das alles in den kommenden Jahren wieder etwas relativiert.“ Positiv stimmt ihn, dass die sogenannte Kerninflation, bei der Energie und Nahrungsmittel ausgeklammert sind, auch jetzt nur halb so hoch sei wie die absolute Teuerungsrate.
Holger Knappe von der Haspa rechnet für die kommenden Monate ebenfalls noch mit deutlichen Zinsschritten, und die seien auch dringend nötig. Niedrige Zinsen in der derzeitigen Situation sind aus seiner Sicht „unfassbar dramatisch, weil wir ja möglicherweise gerade in eine Stagnation oder Rezession hineinlaufen. Wir machen uns Gedanken, wie man diese Wirtschaft denn dann unterstützen will mit Zinsschritten, die wieder nach unten gehen. Wenn ich nie nach oben gegangen bin, kann ich auch nicht runtergehen. Deshalb glaube ich auch, dass wir in den nächsten Monaten noch deutliche Zinsschritte sehen werden.“
Michael Simon von der Deutschen Bank sagt: „Wir rechnen damit, dass wir uns in den kommenden Jahren um die acht Prozent bewegen werden.“ Insofern sei die Anhebung des Leitzinses um 0,75 Punkte durch die EZB Ende Oktober „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Und Sparkassen-Vorstand Udo Schlünsen sagt: „Was die Inflationstendenz angeht, werden wir uns auf Sicht so auf fünf bis sechs Prozent einstellen müssen.“ Er rechne außerdem damit, dass die Zinsen noch ein wenig steigen werden, aber nicht langfristig: „Eine Rezession bei weiter steigenden Zinsen – das wird nicht passieren.“
„Punkt 11 – Stunde der Entscheider“: Das ist die Serie
Zu „Punkt 11 – Stunde der Entscheider“ kommen in loser Folge – aber immer um elf am Vormittag – Experten jeweils einer Branche in unsere Redaktionsräume in der Chrysanderstraße 1 in Hamburg-Bergedorf, um sich über wichtige Themen der Gegenwart auszutauschen. Für die nächsten beiden Folgen dieser neuen Serie begrüßen wir Menschen, die den Fremdenverkehr in unserer Region voranbringen, und Experten rund ums Thema Energie.