Bergedorfer Zeitung und Volksbank verleihen den Bürgerpreis Bergedorf. Die acht Kandidaten haben die Jury sehr beeindruckt.
Es war ein weckender Abend der Gegensätze: Wo sich einst der Bergedorfer Industrielle Hermann Friedrich Messtorf von seinem erfolgreichen Geschäft ausruhte, Gummischuhe nach Russland zu verkaufen, standen am Donnerstagabend zehn Menschen im Fokus, die sich ehrenamtlich für andere einsetzen. Im festlichen Spiegelsaal des Bergedorfer Rathauses, in der ehemaligen Messtorff‘schen Villa, konnten die Volksbank Bergedorf und die Bergedorfer Zeitung die 23. Verleihung des Bergedorfer Bürgerpreises feiern. „Sehen Sie bitte schon die Nominierung als Auszeichnung an“, sagte Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann: „Sie sind Sinn-Vorbilder und Inspiration für uns alle. Ihr Engagement ist der unverzichtbare Kitt der Gesellschaft.“
„Das Ehrenamt zu fördern gehört zu unserer DNA und ist ein urgenossenschaftlicher Gedanke“, betonte Bankvorstand Stefan Lohmeier. Für drei Sieger, die jeweils 2000 Euro erhalten, hatte sich die Jury entschieden, um jene zu belohnen, die „oft leise im Hintergrund helfen und leisten, was der Staat nicht immer leisten kann“, so Moderator André Herbst von der Bergedorfer Zeitung. Auch Jury-Vorstand Matthias Bohl, bis März noch Propst für den Kirchenkreis Hamburg-Ost, lobte: „Sie sind der Garant dafür, dass wir offen und wach bleiben für eine resiliente Gesellschaft, die sich dem Hass und der Ruppigkeit in den sozialen Medien widersetzt.“
Drei Preisträger im Namen aller Ehrenamtlichen
Als „politisch wachen und mitdenkenden Menschen“, zeichnete der Bohl Jendrik Mattar aus, der sich im Jugendvorstand des Clippo Boberg engagiert – ein „prägender Ort, um Demokratie einzuüben“, sagte der Geistliche. Der 19-Jährige hatte sich allerdings Corona eingefangen und musste seine Auszeichnung am Bildschirm verfolgen. Weil er aber bekanntlich gutes Essen schätzt (sein Preisgeld hilft dem neuen Jugendtreff zu einer modernen Küche), machte sich ein Team mit Schüsseln auf den Weg nach Boberg, um ihn am leckeren Catering teilhaben zu lassen.
Von Krankheiten kann auch Barbara Wiese berichten, die seit 18 Jahren bei den Grünen Damen in der Bethesda-Klinik arbeitet, wo sich aktuell 24 Menschen („wir brauchen mehr Männer“) mit Zeit und Geduld um die Patienten sorgen. Daher tun sich „auch in einem großen Krankenhaus, das auf Wirtschaftlichkeit achten muss, keine Lücken der Zuwendung auf“, sagte Matthias Bohl und sah in dankbare Augen, die ihren Tränenkanal in Gang setzten: „Ich bin wirklich überrascht und werde das Preisgeld für einen Ausflug einsetzen, denn im nächsten Jahr feiern wir unser 20-jähriges Bestehen“, kündigte die 67-Jährige an.
Die dritte Preisträgerin ist Jenna Fahala, die sich für die Akzeptanz schwarzer Menschen einsetzt – immerhin leben allein in Hamburg rund 50.000 Afrikaner, und sie sind nicht selten rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. „Sie haben eine große Stärke und können Menschen stark machen“, hörte die vierfache Mutter, die in Neuallermöhe ein Projekt für families of color gründete – und einen farbenfrohen Blumenstrauß überreicht bekam. Nicht zuletzt, weil sie auch als Stadtteilmutter arbeitet und „sich Menschen in Not zuwendet und ihnen ihr einziges Leben leichter macht“, so Propst Bohl, sei die Jury begeistert von ihrer Arbeit zur Bekämpfung von Vorurteilen.
Dass die 37-jährige ihr Preisgeld einsetzen möchte, um im Kongo einen Trinkwasserbrunnen zu bauen („als eine saubere Quelle aus Bergedorf“), versteht auch die ehrenamtliche Wildtierschützerin Heike Kneesebeck: „In Afrika kann man Wasser eigentlich nur aus der Flasche trinken, alles andere ist verdreckt“, weiß die Wentorferin, die mehrere Jahre in Namibia lebte.
„Für Dich habe ich auch Gutes gesehen“
Durst, Hunger, Krieg und Dürre erlebte die Mutter von Sintayehu Kasa, als ihr Sohn in Äthiopien zur Welt kam. Sein Name aber bedeutet „Für Dich habe ich auch Gutes gesehen.“ Dass der 33-Jährige 2015 nach Glinde flüchtete und sofort die neue Sprache lernte, als Pflegefachkraft arbeitet und schon seit 2016 in seiner Freizeit anderen Flüchtlingen hilft, sei „unglaublich in dieser kurzen Zeit“, meinte Laudatorin Traute Rohmann vom Bergedorfer Grundeigentümerverein – und vergaß nicht zu erwähnen, dass der Mann seit Jahren in der Ausländerbehörde dafür kämpft, dass auch seine beiden Kinder (14 und 16 Jahre alt) nach Deutschland kommen dürfen.
Zu seiner „Riesenleistung der Nächstenliebe“, zauberte Geigerin Ilona Raasch gefühlvoll den Song „Can You Feel the Love Tonight“ in der Spiegelsaal, den alle aus dem Musical „König der Löwen“ kennen. Eine andere Herzenssache ließ Laudator Horst Rödinger ausrichten, der ein großer Fan der Bergedorfer Musiktage ist, die den Bezirk seit 2002 „auf höchstem Niveau“ schmücken. Und weil das so ist, entschwand der geehrte Initiator Farhang Logmani alsbald ins Körberhaus, wo er zeitgleich zur Preisverleihung das Bundesjugendballett zu Gast hatte.
Lob für den „Genussboten von Reinbek“
Für Leichtigkeit und Frohsinn könnte auch Bernd Ziesemer beispielhaft stehen, der 27 Jahre lang dem Bergedorfer Ski-Club vorstand und dessen Mitglieder „zu Sport, Gesundheit und Glück verholfen hat“, ehrte die Jury den 80-Jährigen. Gar als „Genussbote für Reinbek“ wurde Thomas Hoeck bezeichnet, der den dortigen Filmring ins Leben rief und „uns für einen Moment den Alltag vergessen lässt“, sagte bz-Verlagsleiter Ulf Kowitz. Er bediente sich eines Steven-Spielberg-Zitats: „Kino kann Brücken bauen zwischen verschiedenen Kulturen und Menschen.“
Eine solche Brücke – zwischen Deutschland und Polen – verstärkt seit langer Zeit Gisela Harder aus Moorfleet. Die heute 88-Jährige gründete einen Verein mit 160 Deutschen, die während des Zweiten Weltkriegs nicht aus Polen geflohen sind, aber bis heute „noch immer nicht anerkannt sind“, erfuhr Laudatorin Marlis Clausen. Die Kauffrau weiß von ihren eigenen Eltern, die aus Stettin stammen, „dass es großartig ist, seine Wurzeln nicht zu verlieren“.
Was wird noch sein, was wird kommen? Das italienische Geigenstück „Que sera“ passt zum Blick in die Zukunft, dem sich der Verein SoLawi Vierlande widmet. Die solidarische Landwirtschaft fördert (bei derzeit großer Tomatenernte) die Bio-Diversität und will laut Eike Waldt „ein bisschen resilient sein, also nicht so abhängig von der großen Industrie“, erklärte der 34-Jährige seiner Laudatorin Britta Buhck: „Nicht nur konsumieren, sondern engagieren“, sei sein Ziel, wenn er sich in seiner Freizeit um die IT kümmert, also der Mann für die digitale Welt in Kirchwerder ist. Dass er zugleich auf depressiven Punkrock aus Amerika steht, lässt sich höchstens an seiner Frisur erahnen, die mal mit rosa, mal mit grüner Strähne daherkommt – und eher fröhlich wippt.
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Eine bunte Schar an Menschen, Kulturen und Schicksalen hatte sich also im Bergedorfer Rathaus eingefunden. Und sie alle eint ihre große Hilfsbereitschaft, ihre Leidenschaft und manchmal auch die Kraft zum Trotzdem. Der 23. Bürgerpreisverleihung war ein dankbarer Kniefall vor dem Ehrenamt, das Bergedorf so sehr bereichert.