Glinde. Bürgerpreiskandidat Sintayehu Kasa, Pflegefachkraft aus Äthiopien, hilft anderen Menschen aus christlicher Überzeugung – auch privat.

Wer könnte es besser als er: Sintayehu Kasa, 33 Jahre alt, hilft seit 2016 Geflüchteten, die in Glinde ankommen, in dem für sie fremden deutschen Alltag. Er begleitet sie bei Besuchen von Ämtern und Ärzten, übersetzt Behördenpost für sie, hilft ihnen, Formulare auszufüllen und erklärt ihnen, dass Schwarzfahren oder Schwarzarbeit in Deutschland verboten sind.

Mehr noch: Der Äthiopier, der selbst erst 2016 nach Deutschland geflüchtet ist, ist heute der Kassenwart der Flüchtlingshilfe Glinde und prüft sehr genau, wofür das Geld ausgegeben wird. „Wir im Vorstand treffen uns ein- bis zweimal im Monat“, erzählt er. „Dann stimmen wir uns darüber ab, wofür wir unser Geld ausgeben, wem wir helfen können.“ Außerdem spendet er Geld für Kinder eines äthiopischen Flüchtlingscamps. Das würde er gern noch ausbauen, er denkt über einen Spendenaufruf nach. Für sein ehrenamtliches Engagement ist Sintayehu Kasa jetzt für den Bürgerpreis der Volksbank Bergedorf und der Bergedorfer Zeitung nominiert.

Bürgerpreiskandidat Sintayehu Kasa: „Ich fühle mich als Deutscher“

Der 33-jährige Familienvater weiß genau, wie Geflüchtete sich fühlen, wenn sie in Deutschland ankommen: Überwältigt von der Fülle an Waren, von einem Fahrplan für den Öffentlichen Nahverkehr, asphaltierten Straßen, von Ärzten, die man nicht bar bezahlen muss, von einer Polizei, die den Menschen tatsächlich helfen und sie schützen will.

All diese Dinge, die wir für selbstverständlich nehmen, seien es in Afrika leider nicht. „Mehr Geld auf meinem Konto interessiert mich nicht, ich will nur diesen Kindern helfen“, sagt Sintayehu Kasa. Die Fotos der vielen Toten, die ihm aus Äthiopien geschickt worden seien, brächten ihn an den Rand der Verzweiflung. „Ich habe keinen Einfluss auf die Politik, deshalb interessiert sie mich nicht. Ich will nur, dass diese Kinder überleben und eine Chance auf eine bessere Zukunft haben“, stellt er klar.

Helfen ist für Sintayehu Kasa aus Äthiopien eine Berufung. Das Foto zeigt ihn 2017 während eines Praktikums mit einer Bewohnerin des Seniorenheims Togohof.
Helfen ist für Sintayehu Kasa aus Äthiopien eine Berufung. Das Foto zeigt ihn 2017 während eines Praktikums mit einer Bewohnerin des Seniorenheims Togohof. © Tamm / BGZ

Sein Vater sei Eritreer gewesen, verfolgt und deportiert worden. Schließlich sei er im Gefängnis gestorben. Wegen dieser Verwandtschaft war auch Sintayehu Kasa irgendwann in Äthiopien nicht mehr sicher. Mit einem Umweg über den Sudan und Libyen flüchtete er mit dem Boot nach Europa. 2015 kommt er in Glinde an. Über die gefährliche Flucht spricht er nicht gern. Ihren Sohn und ihre erste gemeinsame Tochter mussten sie in Äthiopien bei einer befreundeten Familie zurücklassen.

Sintayehu Kasa liebt sein neues Leben in Glinde

Mit seiner Frau Workagegn Aklilu und zwei kleinen Töchtern im Alter von einem und sieben Jahren lebt er heute im Glinder Stadtteil Wiesenfeld. Er liebt sein neues Leben. „Wir fühlen uns hier sehr wohl, wir haben eine gute Nachbarschaft und einen guten Vermieter“, lobt Sintayehu Kasa. „Die Baugenossenschaft Sachsenwald hat uns sehr unterstützt. Und in Glinde leben sehr liebe Menschen.“

Fragen nach seiner Herkunft stören ihn nicht, im Gegenteil: „Wer keine Fragen stellt, will auch keine Beziehung aufbauen“, sagt er. Sein Beruf als examinierte Pflegefachkraft sei oft schwer, aber er sei glücklich. Er hat zuerst 2019 die Ausbildung als Pflegeassistent absolviert und 2020 schließlich berufsbegleitend die Weiterbildung begonnen. Die konnte er sogar auf zwei Jahre verkürzen.

Als orthodoxer Christ ist seine Arbeit für ihn auch eine Berufung

Mit seinen Kolleginnen und mit seiner empathischen Arbeitgeberin vom Pflegeteam verstehe er sich bestens. „Sie hat sehr viel Verständnis für ihre Mitarbeitenden“, stellt der 33-Jährige fest. Er arbeite gern dort, vor allem aber auch wegen der Senioren, die er betreue. „Durch meinen Beruf lerne ich viele Menschen näher kennen“, sagt er. „Viele begleite ich bis zu ihren letzten Tagen, oft allein.

Das ist einerseits schwer für mich, weil ich selbstverständlich auch eine Beziehung zu ihnen aufbaue, andererseits aber auch sehr erfüllend. Denn diese Senioren sind auch allein und sie sind so dankbar.“ Denn viele Alte hätten entweder keine Angehörigen oder die Familienmitglieder lebten weit entfernt. Sintayehu Kasa ist orthodoxer Christ, seine Arbeit sei für ihn auch eine Berufung. Seine Nächstenliebe treibt ihn an. „Wir Menschen sind alle Geschwister – seit Adam und Eva“, ist er überzeugt.

Er lebt die christliche Nächstenliebe

„Ich verdiene zwar als examinierte Pflegefachkraft nicht viel, aber mehr als meine Familie und ich brauchen“, stellt Sintayehu Kasa zufrieden fest. „Ich brauche keinen Cent Hilfe, will ich auch nicht. Stattdessen will ich anderen helfen und gebe ab, so viel ich kann.“ Damit meint er das Geld, das er für Kinder im Flüchtlingscamp von Wallaggaa in Äthiopien spendet, sowie seine Zeit, die ihm neben seinem Schichtdienst und neben der Zeit für seine Familie noch bleibt.

Die Familie Kasa-Aklilu hat eine Wohnung mit zwei und zwei halben Zimmern gemietet. „Dieses Wohnzimmer hier ist so groß“, sagt der Äthiopier immer noch staunend. „In Afrika lebt eine ganze Familie in so einem Raum.“ Neben Gesundheit, um weiter arbeiten zu können, ist Sintayehu Kasas größter Wunsch ein deutscher Pass. „Ich fühle mich als Deutscher, unsere Töchter wachsen hier auf, ich arbeite hier und zahle hier meine Steuern“, erklärt der 33-Jährige. Durch seine Arbeit wisse er, wie die Deutschen fühlen und bringe anderen Geflüchteten ihr Denken nahe.

Sintayehu Kasas Traum ist ein deutscher Pass

Er ist ein anerkannter Flüchtling mit unbefristetem Aufenthaltsstatus – denn das ist ein Dilemma, das viele Geflüchtete kennen: Zum deutschen Pass fehlt ihm ein Dokument, das seine Identität nachweist. Das bleibt für ihn bisher unerreichbar. Das heißt aber auch: Er darf nicht reisen. Dabei würde Sintayehu Kasa so gern einmal im Jahr nach Äthiopien fliegen, um seine Kinder in die Arme schließen können. Die versuchte Familienzusammenführung habe leider nicht geklappt. Jetzt hofft Kasa auf eine Gesetzesänderung.

Er ist stolz darauf, für den Bürgerpreis nominiert worden zu sein. Sein Mentor Hans-Jürgen Neff war 2017 Träger dieses Preises. Die Auszeichnung bekam er für seine Arbeit als Sprecher des 2014 in Glinde initiierten Aktionsbündnisses für mehr Menschlichkeit und Toleranz (MuT). Neff hat sich auch für Sintayehu Kasa und seine Familie eingesetzt. Heute sind sie noch immer befreundet. Und so wie Hans-Jürgen Neff ihm geholfen hat, die Deutschen zu verstehen, will er heute anderen Geflüchteten helfen.