Moorfleet/Morąg. Die vitale Bürgerpreiskandidatin Gisela Harder (88) ist in ihrer Heimat im heutigen Polen sehr aktiv – aber nicht nur dort.
Wenn Gisela Harder in die Gemeinde Morąg (früher Mohrungen) in Polen reist, wird sie dort jedes Mal von vielen Menschen willkommen geheißen. Die Seniorin aus Moorfleet setzt sich seit Jahrzehnten für die deutsch-polnische Versöhnung ein, war Mitgründerin des Vereins Deutsche Minderheit, in dem Deutsche vereint sind, die während des Zweiten Weltkriegs nicht aus Polen geflohen, sondern geblieben sind. Heute zählt der Verein etwa 160 Mitglieder.
Gisela Harder, die dort, im ehemaligen Ostpreußen, 1935 geboren wurde, ist schon mehr als 30 Mal in ihre Heimat zurückgekehrt, um den Menschen dort zu helfen. Für dieses Engagement wurde sie für den mit 6000 Euro dotierten Bergedorfer Bürgerpreis nominiert, der von unserer Zeitung und der Volksbank Bergedorf am 21. September im Spiegelsaal des Bergedorfer Rathauses verliehen wird.
Bergedorfer Bürgerpreis: Einsatz für die deutsch-polnische Versöhnung
„Mein Mann und ich sind jedes Jahr in Mohrungen“, sagt Gisela Harder. Die 960-Kilometer-Distanz bewältigt das Paar in etwa zehn Stunden mit dem Auto. „Mein Mann fährt“, sagt die 88-Jährige. Gisela Harders Elternhaus steht noch. 1945, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, musste sie es gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrer Schwester verlassen und vor der anrückenden russischen Roten Armee nach Deutschland fliehen. „Mein Vater war im Krieg, kam dann bis 1948 in russische Gefangenschaft in Mariupol in der heutigen Ukraine“, sagt sie. Im Spätsommer will sie wieder in ihre ehemals ostpreußische Heimat reisen, „für eine bis eineinhalb Wochen“.
Der von ihr gegründete Verein setzt sich für ein gutes Zusammenleben von Polen und Deutschen – solchen, die in Morąg geblieben sind, und denen, die geflohen sind – ein. „Wir haben viele Freunde und gute Kontakte dort. Wir werden winkend begrüßt, man kennt uns“, sagt die Moorfleeterin, die regelmäßig auch den Bürgermeister von Morąg besucht.
Verein verteilt Geldspenden an die deutschstämmigen Bewohner der polnischen Stadt
In der Stadt, in der der Verein seinen Hauptsitz hat, würden viele deutschstämmige Bewohner noch ihre Muttersprache beherrschen, weiß Gisela Harder. Die rund 160 Vereinsmitglieder würden auch deutsches Brauchtum pflegen, etwa typische deutsche Gerichte kochen und Feste zelebrieren. Noch vor wenigen Jahrzehnten seien die deutschstämmigen Bewohner der Gemeinde „schlecht behandelt worden“, hätten beispielsweise keine oder nur schwer Arbeit gefunden.
Noch immer verteilt Gisela Harders Verein in Kooperation mit dem Verein Landsmannschaft Ostpreußen in Hamburg Geldspenden an die deutsche Minderheit in Morąg: „Dann bekommt jeder 40 Euro.“ Früher habe sie selbst das Geld verteilt, heute täten dies Vereinskameraden.
Nur wenige Jahre nach der Gründung des Vereins Deutsche Minderheit im Jahr 1992 startete Gisela Harder in Morąg ein weiteres Projekt, eine Pflegestation der Johanniter. „Ich war und bin Mitglied des Fördervereins der Hilfsorganisation.“ Die Station existierte 15 Jahre, bevor sie schloss und nach Afrika umzog, um Medikamente, Verbände und weitere Pflegemittel kostenlos an Bedürftige zu verteilen.
Ehrenbürger-Urkunde für die aktive Seniorin
Gisela Harder sollte 2022 in ihrer alten Heimat zur Ehrenbürgerin ernannt werden, konnte aber wegen einer Erkrankung die Urkunde nicht entgegennehmen. „Das hole ich schnellstmöglich nach.“ In dem kleinen Ort Zalewo (Saalfeld) in der Gemeinde Morąg, dessen Verwaltung die Urkunde verleiht, steht das Elternhaus der 88-Jährigen. „In Saalfeld gibt es auch einen kleinen Kulturverein, dem ich angehöre. Der Verein veröffentlicht regelmäßig ein Heft, für das ich Artikel über das Leben der Deutschen im früheren Ostpreußen schreibe.“
Oft buk sie „Thorner Katharinchen“, Kekse nach einem alten preußischen Rezept, berichtet die Seniorin: „Die haben wir dann im Ostpreußen-Museum in Lüneburg beim Weihnachtsbasar verkauft – jedes Jahr mehr als 1000 Stück.“ Der Erlös sei jeweils an die deutsche Minderheit in Morąg gespendet worden.
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In den Marschlanden ist Gisela Harder eher wegen eines anderen Ehrenamtes bekannt: Sie organisiert das „Frauenfrühstück“ der Kirchengemeinde Moorfleet-Allermöhe-Reitbrook. An jedem ersten Donnerstag im Monat treffen sich mehr als 20 Frauen im Fährhaus Tatenberg, um gemeinsam zu frühstücken, zu plaudern, zu singen und Referenten zuzuhören. Die Liste der früheren Gäste ist lang, reicht von einer Seelsorgerin über die Bezirksamtsleiterin bis zum Seniorenbeauftragten. „Die Organisation solcher Zusammentreffen macht mir Spaß. Ich arbeite gern Programme aus und bereite Themen vor.“
Manfred-Nikolaus Harder unterstützt die Aktivitäten seiner Frau
Der Zuspruch sei riesig, betont Gisela Harder. Derzeit gebe es einen Aufnahmestopp, „weil es sonst zu unübersichtlich wird“. Vor 20 Jahren übernahm sie die Leitung der damals frisch gegründeten Gruppe, die sich bis vor zwei Jahren im Pastorat in Moorfleet traf. Lange übernahm Gisela Harder sämtliche Arbeiten – auch Einkauf, Auf- und Abdecken, Dekoration des Tisches und den Abwasch. Ihr Mann, Manfred-Nikolaus Harder (83), habe sie viel unterstützt. „Während der Pandemie haben wir bei uns mit viel Abstand im Pferdestall gefrühstückt und auf der Weide gesungen.“ Mit den Frauen habe sie auch viele Feste auf der Diele ihres Wohnhauses gefeiert.
Lange organisierte die Moorfleeterin auch das Programm für die Ostpreußen-Gruppe, die sich an jedem vierten Freitag im Monat, 15 bis 17 Uhr, im Haus des Begleiters in Lohbrügge trifft. „Dort habe ich viel über alte Brauchtümer berichtet.“ Sie habe viele Bücher zu dem Thema und sich stets ausführliche Notizen gemacht, um dann eine Stunde lang referieren zu können. Doch auch ihre neue Heimat liegt Gisela Harder am Herzen. Deshalb initiierte sie die Aufstellung eines Steins vor der Moorfleeter Kirche zum Gedenken an die Opfer der Sturmflut 1962. Auch das touristische Hinweisschild „Kulturlandschaft Vier- und Marschlande“ an der Autobahn 25 gehe auf ihr Konto.