Hamburg. Alle zwei Wochen an dieser Stelle: Unsere Volontärinnen und Volontäre stellen sich vor, schildern ihre ersten Erfahrungen in Hamburg und beim Abendblatt. Heute: Anika Würz.

Ich habe mein Leben lang an der Elbe gewohnt. Bis vor wenigen Jahren jedoch an einem Fleckchen Deutschlands, an dem die Hamburger „Fischköppe“ heißen und die gängige Begrüßung „Hallo“ - und zwar in der Lutherstadt Wittenberg. Heute, nach drei Jahren in der Hansestadt, geht mir auch das „Moin“ recht stilecht über die Lippen. Ich kenne nun das Wort Mäzenatentum, trage stets einen Schirm mit mir herum, koche ein durchaus passables Labskaus und urlaubte schon auf Sylt. Womöglich verbreite ich mittlerweile ein zartes Nordlicht.

Liebesgrüße an die Schönheit der Stadt Hamburg

Das ist wenig verwunderlich. Als Abendblatt-Volontärin genieße ich schließlich eine Hamburg-Intensivkur. Ich bin täglich mit Entscheidern, Macherinnen und der Stadtgesellschaft im Austausch, darf hinter die verschlossenen Türen des „Tors zur Welt“ blicken und für unsere Leserinnen und Leser ankündigen, ausprobieren, bemängeln und staunen.

Über die Schönheit dieser Stadt zum Beispiel. Wenn ich morgens am Jungfernstieg aussteige, über die Reesendammbrücke und den Rathausmarkt zur Redaktion flaniere, dann überkommt mich manchen Tags das Gefühl, als hätte mir jemand den roten Teppich ausgerollt. Die Alsterfontäne erzeugt sprudelnd kleine Regenbögen. Historische Fassaden übertrumpfen sich gegenseitig in ihrem Detailreichtum. Oben auf dem Fahnenmast vorm Rathaus funkelt ein goldenes Schiffchen in der Sonne. Augenblick verweile doch.

Hamburg: reiche Stadt mit hohem Armutsrisiko

Eitel Hamburg – zumindest mancherorts. Denn, auch das lässt sich hier schnell feststellen, Hamburg ist mehr als das mondäne Eppendorf, das hippe Eimsbüttel, die trendy Schanze oder das noble Blankenese. Hier fahren längst nicht alle Defender oder Lastenrad, sondern viele Menschen bettelnd U-Bahn. Bahnhofsvorplatz statt Himmelbett, Doppelkorn statt Großes Gewächs. In einer Stadt, die – trotz aller hanseatischer Bescheidenheit – so offensichtlich so steinreich ist, liegt das Armutsrisiko laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband bei 19,5 Prozent. Höher ist es nur in Bremen und Nordrhein-Westfalen.

Der Wohnraum ist knapp und teuer, das Aus- und Essengehen sowieso und viele Stadtgebiete, die laut Sozial-Monitoring einen niedrigen Status haben, sind nur schlecht an das gewienerte, pulsierende Zentrum der tausend Möglichkeiten angebunden. Armes reiches Hamburg: Aus meiner Sicht ist die Kluft zwischen „,Forbes‘-gelistet“ und „am Existenzminimum“ für unsere Stadt weitaus peinlicher als jedes Dauer-Zweitliga-Dasein und Elbtower-Fiasko.

Könnte Hamburg tatsächlich die „schönste Stadt der Welt“ sein?

Apropos Bauprojekte. Ob U5, Reventlowstraße oder der berühmt-berüchtigte Verbindungsbahnentlastungstunnel: Wie reflexhaft gibt es Gegenwind, egal, was gerade geplant, gemacht, beschlossen wird. Selbstverständlich ist kritische Reflexion selten verkehrt. Es kann fatal sein, die städtischen Filetgrundstücke in falsche Hände zu geben. Andererseits, auch das hat sich in Hamburg bewiesen, mag sich auch das langwierigste und teuerste Projekt auszahlen. Oder will heute noch jemand die Elbphilharmonie missen?

Baustelle hin, Baustelle her – Stadtentwicklung kommt nicht ohne Begleiterscheinungen aus. Zumal sich der Aufwand lohnt. Denn erinnere ich mich an die Orte, an denen ich zuvor gelebt habe (Betonwüsten-Großstädte, marode Fassaden, Bundesstraßen ohne Radwege), dann entsteht die vage Idee, dass Hamburg tatsächlich die „schönste Stadt der Welt“ sein könnte. Ein anderer Ort, so grün, gut ausgebaut, reich an Kultur und Historie – kurzum: derart lebenswert – fällt mir auf die Schnelle jedenfalls nicht ein. Und eigentlich auch nach längerer Überlegung nicht.

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Eitel Hamburg: Liebesgrüße an die Schönheit unter den Städten

Das allererste Mal Fuß auf Hamburgischen Boden setzte ich übrigens vor ungefähr 15 Jahren. Eine Urlaubsreise mit meinen Eltern war der Anlass und damals gab’s das volle Programm: „Der König der Löwen“, Fischbrötchen, Hafenrundfahrt. Wenn die Reise heute zur Sprache kommt, wird jedoch vor allem eine Anekdote wieder und wieder hervorgekramt. Die geht so: Mama, Papa und ich laufen eines Morgens am Heiligengeistfeld entlang. Abseits des Gehwegs stehen die Fahrgeschäfte noch still und die Fressbuden sind verbarrikadiert. Kommt ein Mann daher und fragt uns: „Wissen Sie zufällig, wann der Dom heute öffnet?“ Daraufhin mein Vater: „Keine Ahnung, wir sind nicht kirchlich.“

Was ich damit sagen will: Hamburg kann man nur lieben. Verstehen muss man es nicht immer.