Hamburg. Kritik wird schnell persönlich: Von einer Bezirksamtsleiterin, die jede Contenance verliert – und von einer Gesellschaft, die aufwacht.

Die Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) weiß, was Hass ist. Wie nur wenige Parlamentarier war sie schon früh dem ausgesetzt, was verniedlichend Shitstorm genannt wird. Nach einer Rede in der Bürgerschaft im Flüchtlingsherbst 2015 prasselten übelste Beleidigungen und Gewaltfantasien in den sogenannten „sozialen“ Netzwerken auf sie ein, sie bekam Morddrohungen, wurde auf der Straße beschimpft. Es war die Hölle. Auslöser war ihre Rede in der Bürgerschaft: „Ich bin der Auffassung, dass wir in 20, 30 Jahren gar keine ethnischen Mehrheiten mehr haben in unserer Stadt.“ Und diese „superkulturelle Gesellschaft“, das sei auch gut so.

Diese Äußerung war und ist völlig legitim und jede Debatte wert. Hätte die Rechte nicht nur Hass und Hetze, sondern auch Hirn, hätte man durchaus die Frage stellen können, ob diese superkulturelle Gesellschaft wirklich so super ist – und warum ausgerechnet die Grünen oft am liebsten in ihren biodeutschen Blasen bleiben und nicht beispielsweise ins superkulturelle Billstedt ziehen. Vielleicht, weil das die AfD-Hochburg ist?

Komplizierte Themen werden durch Beleidigungen erledigt

Es ist kompliziert. Aber komplizierte Debatten werden gern durch Beschimpfungen, Beleidigungen oder Verunglimpfungen gleich beendet. Die AfD hetzte damals gegen Stefanie von Berg: „Grünen-Politikerin lässt die Maske fallen. (…) Das politische Ziel der Grünen: Es soll keine deutsche Bevölkerungsmehrheit mehr geben.“ Wen interessieren Fakten, wenn es um Stimmungsmache geht?

So ähnlich war es nun in den Elbvororten – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Jetzt steht die FDP-Politikerin Katarina Blume im Fokus des Shitstorms. Sie hatte sich erdreistet, die Planungen für die Flüchtlingsunterbringung am Botanischen Garten abzulehnen und einen anderen Standort vorzuschlagen. Das ist legitim und Teil eines demokratischen Diskurses.

Nun trifft ein Shitstorm die FDP

Dass Stefanie von Berg als Bezirksamtsleiterin Altona die Dinge anders sieht, ist nachvollziehbar. Sie hat ein anderes Weltbild und vor allem das Pro­blem, die Flüchtlinge im Bezirk unterzubringen. Die Willkommenskultur ist längst einer St.-Florians-Haltung gewichen. „Flüchtlinge? Gerne! Aber bitte woanders.“ Es muss also diskutiert werden, wie und wo Unterbringung gut gelingen kann.

Doch an einer Debatte ist es Berg offenbar nicht so gelegen. Ihr Internet-Post erinnert sogar sprachlich an 2015. Munter teilt sie bei Twitter und Facebook: „Das kann man nur noch als widerlich bezeichnen. Die FDP lässt mal wieder die Maske fallen.“ Die Maske? Was sie da in der Welt verbreitet, ist ein Zitat aus einem Zeitungskommentar, der so krawallig daherkommt wie das Bild dazu – eine zerstörte Scheibe einer FDP-Geschäftsstelle. Berg gefällt’s offenbar: „Danke an dieser Stelle für die klaren Worte, die klare Abgrenzung gegen Rechts ...“

Die scharf kritisierten Liberalen sind Koalitionspartner in Berlin

Auch wenn sie diese Zeilen als Privatperson verfasst hat, weiß sie, dass für Bezirksamtsleiter ein besonderes Neutralitätsgebot gilt. Noch bizarrer: Die als „Partei der Besserverdiener und der sozialen Kälte“ gescholtene FDP ist der Grünen-Koalitionspartner in Berlin. Wenn man bedenkt, dass Altona als unabhängige Stadt unter den Top 25 in Deutschland läge, wirkt die Botschaft über die Grenzen von Ottensen und Osdorf hinaus und zeigt, wie die Stimmung in den Ampel-Parteien ist.

Katarina Blume wird seit dem Berg-Beitrag angefeindet – und die Elbvororte und ihre Bewohner gleich mit: „Insgesamt ein hoher Anteil ethisch und moralisch komplett verrotteter High Performer und ignoranter Ellenbogen-Arschlöcher, die altes Geld in den privilegierten Anus geblasen bekommen haben“, schreibt da einer auf Instagram. Hübsch formuliert, zweifelsohne. Trotzdem Hate Speech. Blume wird sich jetzt mit dem Dichter treffen. Mit­einander reden, statt übereinander herziehen. So war Demokratie mal gedacht.

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