Die Gewerkschaft Ver.di prangert zu Beginn der Schiffbaumesse SMM an: Auf jedem vierten ausgeflaggten Schiff gilt kein Tarifvertrag.
Hamburg. Einen Tag vor dem Beginn der weltgrößten Schiffbaumesse SMM hat die Gewerkschaft Ver.di gestern Alarm geschlagen. "Noch immer sind für mehr als 900 Schiffe, die deutsche Reedereien unter fremden Flaggen einsetzen, keine Tarifverträge mit der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) geschlossen", sagte Christine Behle, Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft gestern in Hamburg. Damit sind die Unternehmen nicht verpflichtet, Mindestlöhne für Beschäftigte aus Ländern außerhalb der EU zu bezahlen. Die betreffenden Tarife, auf die sich deutsche Firmen für 2200 der rund 3100 ausgeflaggten Frachter mit der ITF geeinigt haben, hatte die Vereinigung der Gewerkschaften zuvor mit internationalen Reederverbänden ausgehandelt.
Mit der jährlichen Aktionswoche wehrt sich Ver.di nun auch gegen internationale Reedereien, die diese Tarife nicht anerkennen. Noch bis zum Freitag werden Teams von fünf bis sechs Arbeitnehmervertretern an Bord gehen und dort die Verträge aber auch die medizinische Versorgung und die Qualität von Nahrungsmitteln prüfen. Insgesamt werden in den deutschen Ostseehäfen Lübeck, Rostock, Wismar und Stralsund sowie in Hamburg, Bremen und Bremerhaven 50 Kontrolleure unterwegs sein.
Stellen sie nicht ausreichende Standards an Bord fest, droht den Reedern ein Boykott. So konnte auch im vergangenen Jahr ein Schiff in Hamburg einige Stunden nicht auslaufen, weil es von den Terminalmitarbeitern nicht abgefertigt wurde. "Zuvor versuchen wir aber, Tarifverträge abzuschließen. Im vergangenen Jahr ist das für zehn Schiffe gelungen. Zudem wurden allein in Deutschland eine Million Dollar an Heuern nachträglich ausgezahlt", sagte der Leiter der Kampagne, Bernd Losch. Weltweit waren es 26 Millionen Dollar.
+++ Schiffbaumesse SMM meldet Ausstellerrekord +++
Bei den Löhnen an Bord gibt es international immer noch große Unterschiede. Dies gilt vor allem für die Mannschaften, eher weniger für das Führungspersonal an Bord. So erhält ein Matrose, der nicht aus einem EU-Land stammt, mindestens 1400 bis 1600 Dollar im Monat. Dagegen verdient ein deutscher Seemann unter deutscher Flagge nach Tarif 3480 Euro. Derzeit fahren aber nur gut 500 der rund 3800 Schiffe deutscher Reeder unter Schwarz-Rot-Gold.
Dem Verband Deutscher Reeder (VDR), der rund 80 Prozent der deutschen Branche vertritt, sind die Zahlen über die nicht abgeschlossenen Verträge mit der ITF bekannt. "Dies muss aber nicht bedeuten, dass in diesen Fällen auch Löhne gezahlt werden, die unter dem ITF-Niveau liegen", sagte Sprecher Christof Lauer. Die Gehälter der Kapitäne und die des Führungspersonals (Offiziere) lägen dagegen stets höher als der von der ITF vorgesehene Mindestbetrag. Tarifverhandlungen mit der ITF führe der Verband jedoch nicht.
Die maritime Wirtschaft in Deutschland steht derzeit auf breiter Front unter Druck. Das wurde gestern auch anlässlich der Eröffnung der Schiffbaumesse SMM deutlich. Der Maritime Koordinator der Bundesregierung, der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto (FDP), hob zwar die aus seiner Sicht guten Perspektiven der Werften und Zulieferindustrie in Deutschland hervor. Er räumte jedoch ein, dass sowohl Schiffbau wie auch Schifffahrt in Deutschland ein Finanzierungsproblem haben, das sich kurzfristig nur bedingt lösen lasse.
"Angesichts der internationalen Bankenregulierung - die ohne Zweifel nötig ist - wird es immer schwieriger, langfristige Finanzierungen für den Anlagenbau zu bekommen", sagte Otto bei der Auftaktpressekonferenz zur SMM. "Beim Schiffbau zeigt sich nur die Spitze dieses Problems." Lösungen dafür müssten nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch international gefunden werden. "Es darf nicht sein, dass neue Schiffe oder Anlagen für die maritime Energiewirtschaft nur noch mit äußerster Anstrengung zu finanzieren sind - denn sowohl die Schifffahrt wie auch die Energieversorgung vom Meer sind angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung strategisch bedeutende Wachstumsmärkte."
n der vergangenen Woche hatten Repräsentanten der deutschen Seeschifffahrt mit Vertretern von Finanzinstituten bei Otto im Bundeswirtschaftsministerium beraten, wie die Finanzierungskrise der Branche zu lindern sei. Wichtige Banken wie die Commerzbank oder die HSH Nordbank ziehen sich aus der maritimen Wirtschaft ganz oder teilweise zurück, auch unter dem Druck neuer Auflagen für die Bildung eines höheren Eigenkapitals. Die deutschen Reeder und die Interessenvertreter des Schiffbaus fordern deshalb zumindest befristet ein stärkeres Engagement der staatlichen KfW-Bank in der maritimen Wirtschaft.
Otto blieb bei diesem Punkt zurückhaltend: "Die KfW engagiert sich in der Schifffahrt schon seit Jahren sehr intensiv." Man werde gemeinsam prüfen, welche "Instrumente" für die Finanzierung von Reedereien und Werften verbessert werden könnten. Viele kleine unternehmerische Strukturen in der maritimen Wirtschaft - etwa Schiffsfonds oder Reedereien für einzelne Schiffe - hält Otto für nicht zukunftsfähig. Man sei mit dem Reederverband einig, dass es hier einen "zwingend nötigen Anpassungsprozess gebe".
Die Lage des deutschen Schiffbaus beurteilt der Maritime Koordinator trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage optimistisch. In der vergangenen Woche hatten die P+S Werften in Stralsund und Wolgast Insolvenz angemeldet, das drittgrößte Schiffbauunternehmen in Deutschland. "Das ist ein Einzelfall, der auf individuelle Fehler zurückzuführen ist", sagte Otto. "Wir haben ein krisenhaftes Umfeld, aber kein strukturelles Problem. Das hier ist nicht der deutsche Steinkohlebergbau."
Die SMM, weltweite Leitmesse für den Schiffbau, läuft bis Freitag mit 2100 Ausstellern auf rund 90 000 Quadratmetern in den Hamburger Messehallen. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) eröffnete die Veranstaltung gestern Abend.