Wieder ist ein Kind gestorben, ausgemergelt und dehydriert. Die Familie wurde von den Behörden betreut. Bilder zum Fall Lara.

Als Erstes rast ein Rettungswagen mit zwei Feuerwehrleuten zu dem roten Backsteinhaus an der Weimarer Straße in Wilhelmsburg. Die beiden Beamten hechten die Treppen hinauf in die kleine Dachgeschosswohnung im dritten Stockwerk. Dann, nur wenige Minuten später, folgt ein Notarzt. "Und plötzlich standen alle wieder vor dem Haus und rauchten, nachdenklich, bedrückt, ohne etwas zu sagen", sagt ein Nachbar.

Kurz nach 11.30 Uhr hatte die 18 Jahre alte Jessica R. die Feuerwehr über ihr lebloses Kind informiert. Als Polizisten die neun Monate alte Lara finden, liegt das Kleinkind auf dem Boden des Schlafzimmers der verschmutzten Wohnung: dünn, ausgemergelt, dehydriert, berichtet ein Feuerwehrmann entsetzt. Alle Versuche, das kleine Mädchen zu reanimieren, bleiben ohne Erfolg. Auf dem kleinen Körper haben sich bereits Leichenflecken gebildet.

Sie habe ihr Kind einfach nur ins Bett gelegt. Und als sie kurze Zeit später wieder nach ihm gesehen habe, habe sich Lara nicht mehr gerührt, gibt die junge Mutter in einer ersten Vernehmung zu Protokoll. Doch die Spuren möglicher Vernachlässigung sind zu deutlich, als dass die Polizisten an einen plötzlichen Kindstod glauben können. Der Leichnam wird in die Rechtsmedizin gebracht. Wenige Stunden später werden Jessica R. und ihr 21 Jahre alter Lebensgefährte Daniel C. festgenommen - in der nur wenige Hundert Meter entfernten Wohnung naher Verwandter. Dort waren sie am Abend untergetaucht. Bei seiner Festnahme hält Daniel C. einen Welpen in beiden Händen, so liebevoll, als wolle er den jungen Hund unter seiner Jacke wärmen. Auch die Eltern der 2005 verhungerten Jessica (7) in Jenfeld hatten ein Haustier - eine Katze, für die sie besser sorgten als für ihr Kind.

Die Vorwürfe im Fall der kleinen Lara wiegen ähnlich schwer wie damals: Nach Angaben von Staatsanwaltschaft und Polizei gibt es Anhaltspunkte für Mangelernährung. Möglicherweise ist das Kleinkind verhungert. Eine Obduktion soll heute Gewissheit bringen.

Laras Mutter wurde schon vor der Geburt des Kindes - seit dem 21. April 2008 - von Sozialarbeitern des Bezirks Mitte betreut. In dessen Auftrag kümmerten sich Mitarbeiter des Rauhen Hauses um Jessica R., zunächst zehn Stunden pro Woche, später nur noch fünf Stunden. "Zuletzt war am 3. März ein Mitarbeiter des Rauhen Hauses in der Wohnung", sagt Markus Schreiber, Bezirksamtsleiter Mitte, dem Abendblatt.

Schreiber hatte noch gestern Abend alle an der Betreuung Beteiligten zum Krisengespräch gebeten. "Nach Aussage der Mitarbeiter war Lara am 3. März wohlauf. Sie habe gegessen und gelacht", sagt Markus Schreiber. Warum in den acht Tagen zwischen diesem letzten Besuch und dem Todestag niemand vor Ort war, ist noch unklar.

Jasmin Eisenhut, Sprecherin der Sozialbehörde: "Wir sind mit Hochdruck dabei, die Hintergrunde und den Sachverhalt zu klären. Dazu sind wir im Dialog mit dem zuständigen Jugendamt in Hamburg-Mitte." Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) ist im Urlaub. Er sei aber über den Fall informiert, heißt es in der Behörde.

Bericht: D. Fengler, R. Kresse, M. Opresnik, M. Rebaschus, V. Seifert, C. Sewig, S. Meukow, A. Stolte, L. Döing, A. Rudkowski