Zur Feier des 60. Gründungstags der Bundesrepublik erstrahlt der Parlamentssitz ab dem 22. Mai in neuem Licht. Mit ermöglicht wurde dieses Projekt durch die Hamburger Stiftung “Lebendige Stadt“. Hier sehen Sie Werke von Michael Batz.

Berlin. Irgendwas müssten die Hamburger ja auch können, pampt der Taxifahrer, als er hört, warum wir hier sind. Willkommen in Berlin, wo die Einheimischen bekanntermaßen naturcharmant sind. Doch rundum perfekt sind auch die Hauptstädter nicht, sonst hätte es ja wohl kein Jahrzehnt gedauert, bis der Reichstag eine angemessen repräsentative Beleuchtung erhält, die mehr ist als eine uneinheitliche Mischung aus Zufall, Übertreibung und Unterbelichtung.

Aus lichtästhetischer Sicht ist das gesamte Areal nämlich eine Katastrophe. So deutlich würde der Hamburger Lichtkünstler Michael Batz das natürlich nicht sagen, schließlich möchte er, dass sein Hausausweis auch morgen noch Gnade vor den Augen des humorfreien Wachpersonals findet. Doch der abendliche Rundgang vor dem Parlamentsgebäude öffnet dem Lichtkunst-Neuling sehr schnell die Augen.

Die spektakuläre Panorama-Kuppel des Reichstags ist sehr präsent im Bild, dafür hat ihr Architekt Sir Norman Foster mit seiner Rumpfbestrahlung gesorgt; alles andere schien ihm damals eher egal gewesen zu sein. Die Auffahrtrampe ist ebenso dunkel wie große Teile der Fassade. Andere Abschnitte werden nicht etwa absichtlich angestrahlt, sondern eher versehentlich, weil das für Fahnenmaste gedachte Licht auch auf sie fällt. Viel Schatten, reichlich Licht. Keine Balance. Beim Tiergarten funzeln gelblich historisierende Laternen à la Schinkel billiges Industrielicht heraus, das Paul-Löbe-Haus strahlt unsortiert vor sich hin. Den Weg zum Bundeskanzleramt säumen Reflektor-Straßenlampen, die Batz verächtlich "Zahnarztspiegel" nennt, und vom nahen Hauptbahnhof-Neubau ragen pompöse Leuchtbalken in den Nachthimmel, als wollte Bahnchef Mehdorn damit Batman aus Gotham anlocken. Mit einem Satz: Ein Fall für Batz.

Während der Fußball-WM 2006 hatte der Hamburger, der in der Hansestadt unter anderem den Michel, Jungfernstieg, Speicherstadt und etliche Kirchen illuminiert hat und zur Fußball-WM die "Blue Goals" aufstellte, dem Reichstag zu einer temporären Erhellung verholfen. Seine erste Hamburger Arbeit datiert auf 1985. Damals warf er Gedicht-Zeilen mit einem Dia-Projektor auf die Alsterhaus-Fassade. Ein bescheidener Anfang, für den er damals fassungslose Beamte vom Sinn seines Tuns überzeugen musste. Das hat sich mittlerweile gegeben, Batz ist etabliert und gut im Geschäft mit seinem Spezial-Können. Nun arbeiten rund 50 Techniker und Handwerker an seiner dauerhaften Beleuchtung eines deutschen Macht-Symbols.

Spektakulär wird sie allerdings nicht werden, das ist schon mal klar. "Ausgewogen" soll sie sein, so Batz, "das wird eine dezente, zurückhaltende Geschichte bleiben." Er will die Feinheiten beleuchten, den Gesamteindruck unterstreichen, überzeugen und nicht überwältigen. "Was wir da draußen spielen, ist leises Licht." Batz sagt das, als ginge es um ein Theater-Ensemble, das ein Kammerspiel aufführt. Für brüllende Polit-Lichtshows ist sein Konzept nicht zu haben. Hanseatisches Understatement? Vielleicht. Eher ein gereiftes Gespür dafür, was wo zuviel ist und zu dick auftragen würde.

Das Timing ist, wie sollte es auf diesem hochpolitischen Areal anders sein, penibel durchdacht. Die Premiere der Batz-Beleuchtung ist für den 22. Mai geplant, den Vorabend der Bundespräsidenten-Wahl, pünktlich zum 60. Gründungstag der Bundesrepublik. Rund 2000 Gäste sollen dann kommen. Bundestagspräsident Lammert, roter Startknopf, die Planungen für den großen Bahnhof laufen sicher schon auf Hochtouren, in irgendwelchen Büros. Symbole sind wichtig hier. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet mit dem Erscheinungsbild des Symbols der parlamentarischen Demokratie so nachlässig umgegangen wurde.

Sein eigenes Planungsbüro hat Batz im benachbarten Jakob-Kaiser-Gebäude im Herbst bezogen, dort, wo ansonsten die CSU-Landesgruppe zu finden ist. Hinter der Tür von Zimmer 3217 herrscht das zu erwartende Chaos auf engstem Raum. Kisten mit Material, Aktenberge, Pläne. Nebenan schälen sich die Industriekletterer, die Leuchtelemente an der Fassade anbringen, aus ihrem Arbeitsgeschirr. Man ist im Zeitplan, aber auch im Dauerstress. Um die zwei Schreibtische zwängen sich Batz, der Elektrotechniker Rainer Kriesen vom Hamburger Bautechnik-Konzern WISAG und Rene Siemer vom Lampen-Zulieferer Philips. Auf Siemers Visitenkarte steht "Key Account Manager City Beautification", ein Stadtverschönerer in gehobener Position also, er hat schon an mehreren Projekten mit Batz gearbeitet. Einige der Lampen sind, bis auf die farblich an den Reichstag angepasste Lackierung, Konfektionsware, andere sind eigens für diese Adresse entwickelt und gebaut worden. Wäre das hier ein Theater, Batz' zweite künstlerische Heimat, wäre Siemer wohl sein Bühnenbildner.

Theaterreif sind die Arbeitsbedingungen aber auch hier am und im Reichstag. "Jedes Loch müssen wir innerhalb von zwei Stunden wieder zugemacht haben", heißt es; als der Paketdienst einmal eine harmlose Materiallieferung dort abstellte, wo sie nicht hingehörte, wurde sofort Bombenalarm ausgelöst. Auch der Umgang mit den Berliner Seelchen in der Bürokratie musste erst geduldig erlernt werden. Obwohl der Besuchstermin auf dem Reichtstagsdach bei den zuständigen Dienststellen so ordnungsgemäß angemeldet und begonnen wurde, wie es nur geht, kann mittendrin nur gutes Zureden übers Handy verhindern, dass der Abendblatt-Fotograf die Dachterrasse schnell verlassen muss. Der Planet Parlament hat ganz eigene Spielregeln.

Während wir dort in die Details des Projekts eingeweiht werden, graben Bauarbeiter an der Nordseite des Reichstags, um dort maßgeschneiderte Strahler einzulassen. Die bisherigen Leuchtbeulen haben insbesondere die wachhabenden Polizisten genervt, weil die Dinger erheblich blenden, wenn vorfahrende Autos zu kontrollieren sind. Auch so ein Detail, das Batz als störend erkannt hat. Die Detailarbeit ist hier die eigentliche Mammutaufgabe, der Zeitdruck ist enorm. Während der sitzungsfreien Zeit wird noch mehr Gas gegeben, weil die Parlamentarier nur sehr ungern mit dem Anblick von Bauarbeiten am hohen Hause behelligt werden möchten.

Die Baukosten, eine Million Euro, übernimmt die "Sparkassen-Finanzgruppe". Ausgelobt und bezahlt wurde der Wettbewerb, aus dem Batz als Sieger hervorging, von der Hamburger Stiftung "Lebendige Stadt" von Alexander Otto, die auch die temporäre WM-Beleuchtung ermöglichte. Die Bauherrenschaft hat die Stiftung "Zukunft Berlin" übernommen.

Die technischen Details sind erstaunlich. Batz' Konzept bringt es auf 400 Leuchten, bislang wird der Reichstag mit etwa 50 Scheinwerfern angeleuchtet. Die neue Version spart jede Menge Strom und kommt mit deutlich weniger Leistung aus. Bislang wurden etwa 20 Kilowatt, inklusive der Flaggenbeleuchtung, eingeschaltet, zukünftig sollen es etwa 12, 25 Kilowatt sein. Pro Stunde sollen damit Stromkosten von etwa fünf Euro anfallen. Die hohe Farbechtheit des Lichts garantieren Leuchten mit einer Farbtemperatur von 3000 Grad Kelvin. Für Menschen mit unheilbarer Physik-Schwäche hat Herr Kriesen auf der Dachterrasse aber auch einige anschauliche Vergleichswerte parat: Die Figuren auf den Ecktürmen des Gebäudes werden mit jeweils einem Dutzend 1-Watt-Strahlern beleuchtet. "In Ihrem Kühlschrank haben Sie 25 oder 40 Watt", erläutert Kriesen. Und als wir auf dem Rückweg an der Panoramadecke des Plenums vorbeikommen, errechnen er und Siemer ganz flott, dass allein hier schon doppelt so viel Watt in der Beleuchtung aufgefahren werden wie in der gesamten neuen Außenbeleuchtung, die dank moderner Technik etwa drei ordnungsgemäße Legislaturperioden halten können soll, bis ein Austausch fällig ist. Auch das hätte man vor dieser erhellenden Ortsbegehung nicht geahnt.

Michael Batz kennt all diese Aha-Erlebnisse schon. "Fangen Sie lieber gar nicht erst an, sich über Licht Gedanken zu machen", empfiehlt er später beim Abschied, "man kann nicht mehr aufhören damit." Dann verschwindet er. Im finsteren Berlin.