Marabu-Dame Naomi findet besonders Tierpflegerpraktikantinnen gar nicht so toll: “Da ist sie eine echte Dame und zickt ganz gerne einmal herum.“
Hamburg. Afrikanischer Abstammung. Lange, schwarze Beine. Und dazu diese modische Federweste! Thomas Günther konnte gar nicht anders, als Naomi ihren Namen zu verpassen. "Dabei ist sie eigentlich noch viel schöner als das bekannte Model!", sagt der Reviertierpfleger und lacht. Ob die als launisch und aufbrausend beschriebene Laufsteggöttin sehr "amused" wäre über den Vergleich mit einer Marabu-Dame, ist allerdings fraglich. Denn nicht jeder würde die schrägen Vögel automatisch als attraktiv beschreiben.
Besonders sind sie aber auf jeden Fall. Aus einem dunkelgrauen Gefieder, das je nach Beleuchtung einen grünen Glanz zeigt, und einer weißen Kragen- und Brustpartie ragt bei den afrikanischen Störchenvögeln ein kahler Schädel mit einem langen Schnabel, einem Kehlsack und ein paar spärlichen Federlöckchen hervor. Dass der Kopf im Gegensatz zum sonstigen Gefieder so spartanisch ausgestattet ist, hat einen biologischen Sinn: Die bis zu 140 Zentimeter großen Tiere zählen zu den Aasfressern. Wenn sie mit ihren 35 Zentimeter langen Schnäbeln in verendeten Tieren herumstochern, ist alles das gut, was nicht im Weg ist - und nicht dreckig werden kann. Geier haben deshalb vom Hals aufwärts eine ganz ähnliche Optik.
Aas steht für Naomi und ihren Partner Kofi (ja, nach Kofi Annan, dem ehemaligen Uno-Generalsekretär) im Tierpark Hagenbeck nicht auf dem Speiseplan. Thomas Günther und seine Kollegen füttern den Vögeln auf der sogenannten Giraffen-Savanne, die Naomi und Kofi mit den Rothschild-Giraffen, Großen Kudus, Impalas und einem Pärchen Hornraben teilen, Mäuse, Küken und Fisch. "Und zur Beschäftigung gibt es ab und zu ein paar Mehlwürmer oder Heuschrecken, die finden sie toll", sagt der Tierpfleger.
Gar nicht toll findet Naomi dagegen Tierpflegerpraktikantinnen: "Da ist sie eine echte Dame und zickt ganz gerne einmal herum", sagt Günther. Das sieht dann so aus, dass das Marabu-Weibchen den Auszubildenden hinterherrennt und versucht, sie zu zwicken. Günther: "Geht man aber einmal unerschrocken auf sie zu, ist die Sache geklärt und sie lässt es in Zukunft." Auch mit den Hornraben mussten sich die Marabus erst arrangieren, sagt der Tierpfleger. "Jetzt haben sie einen Nichtangriffspakt".
Der gilt auch für Tierparkbesucher - jedenfalls, seit die beiden sechs Jahre alten Vögel von der benachbarten Afrika-Steppe in das jetzige Gehege umgezogen sind. Vorher liebte es Naomi nämlich, auf die Mauer zu springen und von dort entweder Besucher zu ärgern, oder mit einem großen Satz die Flatter zu machen und im Tierpark herumzustolzieren.
Jetzt hat sie sich eine neue Eigenart zugelegt: "Seit dem Sommer bebrüten Naomi und Kofi Steine", sagt Günther und seufzt. Dazu rollten die beiden immer wieder Kiesel in ein aus wenigen Zweigen zusammengeschustertes Nest und verteidigten diese vehement. Seit die beiden ins Winterquartier in den Impalastall gezogen sind, hat Thomas Günther ihnen ein Gipsei in ein Korbnest gelegt, welches sie seitdem betüdeln. Günther: "Ich hoffe, dass sie sich so engagieren, dass sie einmal ein eigenes Ei dazulegen."
Wer von den Tierpflegern dann das Gipsei entfernen würde, wäre übrigens mithilfe der Marabus einfach zu überführen: Noch heute werden zur Sicherung eines Fingerabdrucks bei Tatortaufnahmen der Kriminalpolizei die Federn der großen Storchenvögel verwendet. Mit den Federn wird das Rußpulver besonders schonend auf die Fingerabdrücke aufgetragen. Dass Naomi allerdings freiwillig eine Feder herausrücken würde, ist nicht zu erwarten.
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