Queeny ist eine der ungezählten Kleinen Roten Waldameisen im Tierpark Hagenbeck. Unter 100.000 Mann Truppenstärke läuft bei den Insekten nichts.
Hamburg. In Hamburg lebten zwei Ameisen, die wollten nach Australien reisen ... Ach, Ringelnatz, hör doch auf! Zwei Ameisen? Niemals! Niemals hätten sich zwei einzelne Ameisen so einfach auf und davon gemacht, ob nun nach Australien oder sonst wohin. Unter 100.000 Mann Truppenstärke läuft bei denen einfach nichts. Wohl gemerkt: nach Köpfen, nicht nach Beinen gezählt! Einfach zu sozial, diese Insekten. So wie Queeny. Eine der ungezählten Kleinen Roten Waldameisen im Tierpark Hagenbeck.
Normalerweise bauen Zoos ja ein Gehege und setzen dann Tiere hinein. Die Kleinen Roten Waldameisen bilden hier die einzige Hamburger Ausnahme: Sie haben sich von sich aus auf dem Parkgelände angesiedelt und bekamen dann etwas übergestülpt, was man für eine Gehegebegrenzung halten könnte. "Der Netzkegel über dem Ameisenhaufen begrenzt die Tiere nicht wirklich in ihren Aktivitäten - sondern eher andere Tiere", sagt Tierpfleger Sebastian Behrens und lacht. Dafür ist das Gestell auch gedacht: um die frei laufenden Vögel des Tierparks wie Hühner und Pfauen davon abzuhalten, den Ameisenhaufen auseinanderzunehmen.
Links vom Bisongehege werden die krabbeligen Tiere langsam munter. Behrens: "Seit die Temperaturen über zehn Grad geklettert sind, zeigen die Ameisen wieder Aktivität." Besucher können vom Weg aus gut das Treiben auf dem Hügel beobachten - oder auch der Ameisenstraße folgen. Sie ist extra vom Tierpark ausgeschildert (für die Menschen, nicht für die Ameisen) und läuft auf der Mauer am Bisongehege längs, zu den Präriehunden.
Hier suchen sich Queeny und ihre Kollegen ihre Nahrung zusammen - extra gefüttert würden die Ameisen nicht, sagt Behrens. Früchte, Samen, andere Insekten - Ameisen haben einen breiten Speiseplan. "Sie laufen auch die Bäume hoch, zur Läusezucht, deren Ausscheidungen, den Honigtau, sie fressen", sagt Behrens. Viel Zeit, ihnen dabei zuzusehen, hat der Tierpfleger natürlich nicht. "Aber ich finde es schon faszinierend, was die alles schleppen können", sagt er.
Die Kleine Rote Waldameise (Formica polyctena) ist am Kopf und Rücken nur wenig behaart, weshalb sie auch Kahlrückige Waldameise genannt wird. Außerdem unterscheidet sie das von der etwas größeren Roten Waldameise (Formica rufa). Sonnige Waldränder sind bevorzugte Siedlungsplätze der Tierchen, deren Arbeiterinnen vier bis acht Millimeter und die Königinnen bis elf Millimeter groß werden.
Hach, die Königinnen! So eine wäre Queeny auch gerne, aber auch wenn die Nester der Kleinen Roten Waldameise meistens mehrere Königinnen beherbergen, ist sie doch nur als Arbeiterin geboren und wird den royalen Status niemals erlangen. Immerhin kann sie fünf bis sechs Jahre alt werden, was zwar lange nicht an eine Königin mit ihrer Lebenserwartung von bis zu 20 Jahren heranreicht. Aber sie muss auch nicht, wie die Drohnen, bereits nach ein bis drei Wochen wieder abtreten, nachdem das eine Lebensziel erfüllt ist: die Paarung mit einer Jungkönigin. Dieses Schauspiel steht jetzt wieder kurz bevor, denn die Geschlechtstiere schwärmen zwischen Ende April und Juni.
Queeny kann dabei nur zusehen. Und aufs Wetter achten. Denn Ameisen (und nicht nur die Hamburger Exemplare) schützen sich rechtzeitig vor Regen. Steigt die Luftfeuchtigkeit und kündigt Schauer an, schließen die Tiere die Ein- und Ausgänge des Ameisenhügels. Die Oberfläche des aus Nadelbaumnadeln gebauten Baus wird dann wesentlich glatter - was man, wenn man es einmal weiß, auch gut sehen kann. Und so das Wetter vorhersagen.
Angst, dass die Ameisen mit ihrem Hügel einmal mitten auf den Weg oder in eins der Gehege umziehen wollen (was sie immer dann tun, wenn der Hügel zu groß wird und sie eine Zweigstelle aufmachen), müssen die Tierpfleger übrigens nicht haben: "Dazu ist dort der Untergrund viel zu hart. Die Nestbasis liegt ja im Boden", sagt Behrens. Der Nadelhaufen darüber stellt vorwiegend einen Wärmespeicher dar.
Wärmer hätten es Ringelnatz' Ameisen in Australien auf jeden Fall gehabt. Aber bekanntlich stoppten sie ja in Altona. Oder war es vielleicht doch in Stellingen - am Tierpark?
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