Rodi ist ein Roter Neonsalmler oder kurz Roter Neon. Regelmäßig vergnügt er sich auf einer sehr speziellen “Wasserrutsche“.
Hamburg. Es ist ein wenig so, als ob Eltern abends versuchen, ihre Kinder aus dem Freibad herauszubekommen. Die Lütten haben sich alle unter der großen Rutsche versammelt, schon mit blauen Lippen, aber hektisch-glücklichen, roten Wangen und wollen doch "nur noch einmal, wirklich!" Einmal den Rausch der Geschwindigkeit erleben, den Fall ins Freie, das Ausspucken nach dem wilden Ritt ins tiefe Wasser. So muss es auch bei Rodi und einer kleinen Gang von Artgenossen sein.
Rodi ist ein Roter Neonsalmler oder kurz Roter Neon, ein im Süßwasser des Amazonasgebiets lebender Schwarmfisch. Mit schöner Regelmäßigkeit vergnügt er sich auf einer sehr speziellen "Wasserrutsche", was die Tierpfleger in Hagenbecks Tropen-Aquarium allerdings gar nicht gerne sehen. "Jede Woche müssen wir einige Tiere aus dem Filter zurück ins Becken setzen - und das, obwohl wir ein zusätzliches Schutzgitter vor der Oberflächen-Absaugung haben. Keine Ahnung, wie die Neons es trotzdem immer wieder in die Rohre und dadurch in den Filter schaffen", sagt Tierpfleger Reiner Reusch.
Geschadet haben den leuchtend roten Fischen mit dem strahlend blauen Rallyestreifen ihre Ausflüge bisher nicht. Auch wenn die Tierpfleger nicht jeden Einzelnen unter die Lupe nehmen können: 1395 Individuen (Reusch: "Vielleicht einer mehr oder weniger") des Roten Neonsalmlers leben im sogenannten Amazonas-Flusslauf-Becken des Tropen-Aquariums. In einem der grünsten Becken des Hauses, das unter anderem mit Amazonas-Schwertpflanzen, Brasilianischem Wassernabel, Tigerlotus und Rotem Papageienblatt bepflanzt ist, finden sich neben den Roten Neons auch andere Salmlerarten und Schmetterlingsbuntbarsche.
Meistens geht es dabei friedlich zu, auch wenn die Roten Neons, anders als viele andere Schwarmfische, ein Revier abstecken und es gegen Artgenossen verteidigen. Platz genug haben die Fische, die mit maximal fünf Zentimeter Körperlänge und einem Durchschnittsgewicht von nur 0,13 Gramm kleiner als die meisten ihrer Verwandten sind, dafür genug: "Das Becken ist zehn Meter lang, 3,5 Meter tief, zwei Meter hoch und fasst 47 000 Liter Wasser", sagt Reiner Reusch. Und klingt dabei schon ein wenig stolz.
Stolz ist er auch auf die "Herstellung" des Futters für die Fische: Es ist nämlich selbst angebaut, sozusagen. "Wir fangen in unseren eigenen Teichen Wasserflöhe, mit denen wir auch die Roten Neons füttern", verrät Reusch. Die mögen die Allesfresser, die auch Pflanzenreste nicht verschmähen, am liebsten. Wenn das Wasser dann bei 27 Grad noch schön warm ist und einen pH-Wert um 8 hat - wenn die Tiere in einem wesentlich härteren Wasser leben müssen, können sie an ähnlichen Schwierigkeiten leiden wie Menschen mit Nierensteinen - können Rodi und seine Kollegen schon einmal bis zu zehn Jahre alt werden.
Nicht nur deshalb sind sie bei Aquarianern äußert beliebt. "Die Roten Neons leuchten einfach extrem, anders als alle anderen Neonsalmler", sagt Reiner Reusch. Gut, die Fische seien recht klein - "aber da macht es dann die Masse". Und auch wenn sie so klein sind, kann man Männchen und Weibchen doch recht gut unterscheiden: Weibchen (wie gemein, ist aber biologisch sinnvoll) haben eine deutlich fülligere Bauchregion. Mit 500 Eiern pro Laichakt sind sie dafür in der Laichzeit, die in der Natur mit dem Beginn der Regenzeit einsetzt, aber auch sehr produktiv.
Ob Rodi bereits Vater geworden ist, kann Reiner Reusch beim besten Willen nicht sagen. Doch es ist eher unwahrscheinlich - landen die winzigen Eier doch ebenfalls im Filter. Für Nachzuchten hat das Tropen-Aquarium deshalb eigens spezielle Becken hinter den Kulissen zur Verfügung. An Importmöglichkeiten mangelt es jedoch bei dieser Art nicht: Tschechien gehört zu den größten Exporteuren Roter Neons, und aus Lateinamerika werden nach inoffiziellen Angaben jährlich fast 13 Millionen Rote Neons ausgeführt, was rund 80 Prozent der Gesamtzahl der von dort exportierten Fische beträgt.
Wenn ein neuer Schwung der auch Kardinaltetra genannten Fische bei Hagenbeck eintrifft, halten sich die Tiere gerne erst einmal recht weit oben im Becken auf, sagt Reusch. Doch damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Wasserrutsche entdecken - oder vielleicht auch umgekehrt. Der ein oder andere bleibt dann bei diesem besonderen Freizeitvergnügen - so wie Rodi. Lebenslang Schwimmbad hat er ja eh gebucht.
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