Handwerker und Großhändler in Hamburg leiden unter den neuen Regelungen. Dachbau-Betriebe müssen sich neue Geschäftsfelder suchen
Hamburg. Bis vor wenigen Wochen wurde jede Hand auf Hamburgs Dächern gebraucht. "Wir mussten Überstunden machen und sonnabends arbeiten", sagt Ralf Mann von der Hamburger Firma B & Q Dachbau. Bevor die nächste Runde der Kürzungen bei den Einspeisevergütungen für Solarstrom greift, mussten die Fotovoltaikmodule aufs Dach und angeschlossen werden. Die Kunden machten Druck, denn innerhalb weniger Tage wurde im Februar das bisherige Förderkonzept radikal zusammengestrichen. Und jetzt? "Still ruht der See", sagt Mann. "Es gibt einen völligen Auftragseinbruch."
Auf dem Spiel steht die Existenz der gesamten deutschen Solarbranche mit 150 000 Beschäftigten. Betroffen sind alle - von den Herstellern über die Großhändler bis zu den Installateuren. Die Insolvenzen von großen Herstellern wie Q-Cells oder Solon zeigen, wie ernst die Lage ist. "Die Pleitewelle hat alle erfasst, es wird auch Installateure treffen", sagt Gunter Störmer. Der Unternehmenssprecher von Sun Energy weiß, wovon er spricht. Nur wenige Minuten, nachdem die Regierung am 22. Februar die Einschnitte bei den Fördersätzen bekannt gegeben hatte, begannen beim Hamburger Solarkraftwerksbauer und Fachgroßhändler Sun Energy die Abbestellungen durch die Installateure im Minutentakt.
Denn die erst zum 1. Januar 2012 abgesenkten Einspeisevergütungen für Solarstrom sollten schon zum 9. März erneut bis 30 Prozent sinken. "Innerhalb weniger Tage habe ich zwei Drittel meiner Projekte verloren", sagt der Projektentwickler und Anlagenplaner Rainer Burmester aus Kollow bei Geesthacht. Die Fotovoltaikanlagen sollten bis zum 30. Juni an das Netz gehen - zu spät für die geplanten Kappungen.
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Bei Sun Energy stapeln sich die Abbestellungen. "Schon nach wenigen Tagen haben uns die Banken die Finanzierung gekürzt und weitere Konsequenzen gefordert", sagt Unternehmenssprecher Störmer. Um die Kosten an die veränderte Auftragslage anzupassen, musste bereits Mitarbeitern quer durch alle Abteilungen gekündigt werden. "Von knapp 70 Beschäftigten sind jetzt nur noch etwas mehr als 20 an Bord", sagt Störmer.
"Entlassen mussten wir noch keinen, weil wir auch andere Geschäftsbereiche haben", sagt Georg Scholz von ad fontes Solartechnik. Doch wie es bei den Fotovoltaikanlagen weitergeht ist unsicher: "Es gibt zwar noch Anfragen von Kunden, aber es ist völlig offen, ob das zu neuen Aufträgen führt", sagt Scholz. Für Burmester ist bereits klar: "Wer eine ordentliche Rendite erzielen will, wird nicht mehr in Fotovoltaikanlagen investieren." Die große Verunsicherung bekommt auch Backhaus Solartechnik zu spüren. "Die Aufträge in diesem Bereich haben sich halbiert, wenn man das erste Quartal 2011 mit dem ersten Quartal 2012 vergleicht", sagt Geschäftsführer Arne Hagemann.
Dabei kann mit Solarenergie immer mehr Strom erzeugt werden. Im ersten Vierteljahr 2012 stieg die Solarstromproduktion im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 40 Prozent. Doch der Regierung war der Ausbau zu schnell gegangen. Mit 7500 Megawatt an neuer Leistung wurden 2011 so viele Anlagen wie nie zuvor installiert. Insgesamt wurden 3,9 Milliarden Kilowattstunden Solarstrom erzeugt. Da die Förderkosten - derzeit sieben bis acht Milliarden Euro pro Jahr - von den Verbrauchern über die Stromrechnung zu bezahlen sind, hatte die schwarz-gelbe Regierungskoalition die Fördersätze drastisch gekappt.
Die Branche hat sich seit Jahren damit arrangiert, dass der eingespeiste Solarstrom immer weniger gefördert wird. Im Gegenzug sind die Preise für die Solarmodule gesunken. "Das ist nicht das Problem", sagt Hagemann. "Es geht darum, dass ohne jeden Grund innerhalb weniger Tage die Perspektiven vieler Unternehmen gefährdet und die Verbraucher stark verunsichert wurden."
Die Firmen versuchen jetzt, auf andere Geschäftsfelder auszuweichen. "Wir sind auch im Heizungsbau und bei Blockheizkraftwerken aktiv", sagt Scholz von ad fontes Solartechnik. Backhaus Solartechnik will potenzielle Kunden wieder motivieren und stärker auf die Solarthermie, die Nutzung der Sonnenenergie für die Heizung, setzen. "Die Menschen wollen Strom aus erneuerbaren Energien", sagt Hagemann. Das lohne sich auch noch. "Wer sich eine Anlage auf das Dach des Einfamilienhauses montieren lässt, blickt ohnehin nicht in erster Linie auf die Rendite."
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Nach Berechnungen der Stiftung Warentest kann ein Hausbesitzer jetzt nur noch mit einer Rendite von 3,4 Prozent rechnen. Vor der Kürzung der Förderung waren es 6,7 Prozent. Unterstellt sind dabei Anschaffungskosten von 2200 Euro pro Kilowatt Leistung und ein Stromertrag von 900 Kilowattstunden pro Kilowatt Leistung sowie ein Eigenverbrauch von 20 Prozent des erzeugten Stroms. Zwar kosten die Module nach Angaben des Bundesverbandes Solarwirtschaft inzwischen nur noch knapp 2000 Euro. Für Hamburg ist aber ein Stromertrag von 900 Kilowattstunden etwas zu hoch gegriffen, sodass sich kaum eine höhere Rendite ergibt. Die Verbraucherschützer raten deshalb abzuwarten, bis die Anlagenpreise weiter fallen.
Auch Sun Energy will neue Kundengruppen erschließen. "Wir haben eine Partnerschaft mit der Fachhandelskette Electronic Partner geschlossen", sagt Störmer. Die Fachhändler sollen nicht nur Elektrogeräte verkaufen, sondern auch gleich Komplettpakete für die Erzeugung von Solarstrom auf dem eigenen Dach. "Außerdem sprechen wir mittelständische Firmen wie Autohäuser an", sagt Störmer. Die Firmen sollen für die Stromerzeugung auf dem eigenen Dach gewonnen werden, denn Stromerzeugung und Verbrauch fallen bei vielen Firmen zusammen. Da es für den selbst erzeugten Strom inzwischen weniger Geld gibt als die Kilowattsunde vom Energieversorger kostet, ist der Eigenverbrauch lukrativ.
Auch Burmester blickt nach vorn. Die Selbstversorgung mit Energie sei das neue Thema bei der Fotovoltaik. "Darauf werde ich mich konzentrieren, denn mit der Speicherung von Solarstrom ergeben sich neue Einsatzgebiete wie die Wohnraumheizung mit Strom", sagt Burmester. Am Siegeszug der Solartechnik hat Störmer keinen Zweifel: "Es ist nur die Frage, ob davon noch viele deutsche Firmen profitieren werden oder andere das Geschäft machen."