Die 35-jährige Nigerianerin Umma Aliyu Musa erlebt ihren ersten Winter in Hamburg. Wie sie streben mehr als eine Million Besucher auf die Alster.

Hamburg. Schon mittags ist die Alster gut besucht. Glühwein und heiße Schokolade dampfen aus den Tassen, Kinder schlittern, kleine Hunde in bunten Strickjäckchen verlieren Halt auf dem glatten Grund. Alte Damen drehen auf Schlittschuhen gekonnte Kurven, Männer in Krawatte haben spontan ihre Mittagspause an die Alster verlegt.

Es ist der erste Tag des Alstereisvergnügens, der erste Tag nach 15 Jahren, und trotz des Werktags haben Zehntausende Besucher schon am Nachmittag ihren Weg aufs Eis gefunden. 20 bis 22 Zentimeter Eisstärke misst die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) an diesem Tag - und warnt zugleich vor den Gefahrenzonen. Inmitten der Außenalster ist das Eis aber sicher.

Manche Besucher haben jahrelang auf das nächste Alstereisvergnügen gewartet und hatten die Hoffnung für diesen Winter schon fast aufgegeben. Für andere ist es überhaupt das allererste Mal. Umma Aliyu Musa, 35, steht am Bootssteg an der Alten Rabenstraße und schaut mit ruhigem Blick hinüber zum anderen Ufer. Die Nigerianerin ist erst im November aus Afrika nach Hamburg gekommen. Sie vergräbt die Hände in den Ärmeln ihrer Jacke, verbirgt das Gesicht im warmen Schal, dann setzt sie den Fuß zum ersten Mal in ihrem Leben aufs Eis. Sie setzt den zweiten daneben, ein vorsichtiges erstes Rutschen, sie spürt die leichte Glätte und lächelt. "Gar nicht so anders als echter Boden", sagt sie dann.

Sie hat sich an neue Dinge gewöhnt, seit sie nach Hamburg gekommen ist, um den Studenten am Afrika-Asien-Institut ihre Muttersprache Hausa beizubringen. Sie hat schon Freunde gefunden und liebt die Multikulturalität der Stadt. Sogar an die Kälte hat sie sich gewöhnt, auch wenn sie sich manchmal kaum bewegen kann in ihren dicken Kleiderschichten. Das Eis aber ist neu. Ein nigerianischer Freund hatte ihr davon abgeraten und sich geweigert mitzukommen. "Er sagte, er wolle kein Risiko eingehen", sagt sie. Sie selbst sei auch aufgeregt gewesen, aber Angst? Sie macht ein paar Schritte und schaut sich um. "Ich habe doch keine Angst, wenn so viele andere Leute dasselbe tun." Hamburger und Nicht-Hamburger genießen an diesem Nachmittag die Sonne und den freien Blick auf die Stadt.

Lokale und Buden sind geöffnet, die Freezers kommen auch

Die Sause kann beginnen: Buden an der Alster wieder geöffnet

Harald Seeger, einem der Standbetreiber am Ufer, gehen gegen 3 Uhr nachmittags schon die ersten Getränke aus. "Anfangs war es nördlich der Kennedybrücke ein bisschen ruhig", sagt er. "Aber jetzt müssen wir schon bald nachbestellen." Viele haben an diesem Freitag früher Feierabend gemacht. Vanessa Closius, 18, und ihr Freund Rafael Epplée, 17, haben sich mit dicken Decken, Thermoskanne und Käsebrötchen gemütlich eingerichtet. Sie habe eben Lust gehabt, zu picknicken, sagt Vanessa. "Da wollte ich nicht auf den Sommer warten." Andere können kaum still sitzen vor lauter Aufregung. Der Brasilianer Arthur Dias, 21, gewöhnt an Strand und Palmen, ist seit einem Monat in Hamburg. Eine Studentenorganisation hat ihn in ein Praktikum hierher vermittelt, es ist sein erster längerer Auslandsaufenthalt. Er schlittert und strahlt - vor zwei Tagen war er mit anderen Brasilianern das erste Mal auf dem Eis: "Es war eine Party", sagt er, "ein Drunter und Drüber", einer habe sich fast den Arm gebrochen dabei.

Gewusst hat Arthur über Hamburg vorher nicht viel, schon gar nicht, dass man hier buchstäblich übers Wasser gehen kann. Dass es auch hier nicht normal ist, weiß er inzwischen. "Ich habe viel Glück gehabt, dass ich gerade in diesem Jahr gekommen bin", sagt er.

So dick ist das Eis, dass sich einzelne Risse im Dunkel der Tiefe verlieren. Je näher die Besucher der Kennedybrücke kommen, desto glatter wird es aber auch.

An diesem Nachmittag bricht ein Radfahrer unweit des Stadtsees im Alsterzulauf durchs Eis. Mit Schlauchbooten und einer Wurfleine kann die Feuerwehr ihn retten. Das Eis auf den Alsterkanälen und der Binnenalster ist dünn und brüchig, das Betreten daher lebensgefährlich. Auf der Außenalster warnt die Umweltbehörde besonders vor Fahrrinnen und Flächen unter Brücken oder tief hängenden Ästen. Mit Bändern und Hinweisschildern sind die Gefahrenzonen gesichert. Vor allem am Ostufer in Höhe der Gurlittinsel und nördlich der Kennedybrücke ist das Eis stellenweise nur 15 Zentimeter dick.