Velbert. Monika Jockel und Peter Daemen erlebten die Pleite und das Aus ihres Pflegeheims in Velbert. Warum sie nun wieder lachen können.
Ein paar Tage nach dem großen Knall ist es Peter Daemen zu still geworden. Eigentlich war dem 63-Jährigen die Stille nicht fremd, er hatte lange allein gewohnt. Doch seit er Anfang des Jahres in das „Seniorenzentrum Velbert“ gezogen war, hatte er sich an die Geräusche und die Leute um sich herum gewöhnt. Die Stimmen der Angehörigen, die Gespräche mit den anderen Bewohnern, die geschäftigen Schritte des Personals im Flur.
Nun: Stille. Im Speisesaal des Seniorenzentrums stellte Peter Daemen das Radio an: „Dann hat man wenigstens ein bisschen Unterhaltung.“
Wenn Menschen pflegebedürftig werden, wollen sie so lange wie möglich zu Hause leben. Das bekannte Umfeld zu verlassen und als vermutlich letzten Wohnort in einem Pflegeheim anzukommen, das ist ein schwieriger und oft schmerzhafter Schritt für die Betroffenen, mit dem auch die Angehörigen ihren Frieden finden müssen. Wie viel schwieriger muss es da sein, wenn dieser Ort schließt?
Unsere weiteren Texte zum Themenschwerpunkt „Not der Pflegeheime“:
- „Wir sind Brandlöscher“: Pflegeheimen droht Insolvenzwelle
- Das Pflegeheim geht pleite: Diese Rechte haben Bewohner
- Wenn das Pflegeheim schließen muss: „Die Leute haben geweint wie Schlosshunde“
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Heimpleiten waren lange kaum vorstellbar, dann verlieren 100 Menschen ihr Zuhause
Als Peter Daemen im Juni im Speisesaal am Radio saß, erlebte er genau das: Innerhalb von nur zwei Wochen sollte das Pflegeheim, in dem er und rund 100 andere Menschen lebten, in dem sie betreut und versorgt wurden, dichtmachen. Der Betreiber des Hauses, die private Bremer Pflegekette Convivo, hatte Insolvenz angemeldet.
Die Pflege hat sich in den letzten Jahren zu einem Renditeobjekt entwickelt, das viele Unternehmensgruppen in den Markt geschwemmt hatte. Dass ein Heim schließen könnte, schien lange undenkbar. Doch seit dem Jahresanfang haben gleich fünf große Ketten Insolvenz angemeldet. In Velbert waren drei Einrichtungen der Convivo-Gruppe betroffen, gegen die zwischenzeitlich auch ermittelt wurde.
Wenn ein Unternehmen pleite geht, verlieren Menschen ihre Arbeit. Wenn ein Pflegeheim durch eine Insolvenz dicht machen muss, verlieren Menschen ihr Zuhause. Peter Daemen war nach einer schweren Erkrankung und Wochen im Krankenhaus erst zum Jahreswechsel in das „Seniorenzentrum Velbert“ gekommen. Im Rollstuhl, weil seine Muskeln zu lange nicht beansprucht waren. „Da kam dann eine Schwester, die sagte gleich, mit Schonhaltung ist hier nichts. Als wollte sie sagen: Guck mal, dass du den Hintern hochkriegst.“
Weinende Mitarbeiterin, verwirrte Bewohner: „Man hat sich gegenseitig getröstet“
Daemen lacht, dass der ganze große Körper des gelernten Werkzeugmachers im Stuhl bebt, neben ihm steht der Rollator. Laufen kann er wieder.
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Dass in dem Heim etwas nicht stimmte, habe er früh mitbekommen. Draußen, beim Rauchen mit anderen, hörte man so einiges, von Unterbesetzung, später Gehaltszahlung. Dort sah Daemen auch die junge Pflegerin, die weinend aus einer Betriebsversammlung lief. „Da wusste ich: Das war es jetzt.“
Er erinnert sich an die Wut einiger Angehöriger, die bei einer Zusammenkunft nach längst bezahltem Geld fragten, an Bewohner, die nicht wussten, wohin, andere, die die Trennung von ihren Angehörigen fürchteten, sollten sie nur in einer anderen Stadt einen Heimplatz finden.„Da waren Leute, die hatten keine Lust mehr, die haben geweint wie die Schlosshunde.“ Überall sei telefoniert worden, die Leute lehnten auf der Suche nach besserem Handyempfang an Fensterscheiben und klapperten andere Heime ab. „Man hat sich gegenseitig getröstet“, sagt er. Im Heim lagen bald Listen für Plätze in umliegenden Pflegezentren aus.
„Ich wusste nicht, was mit mir wird“: Wie eine Seniorin die Heimpleite in Velbert erlebt
Monika Jockel erinnert sich vor allem daran, dass sie anfangs gar nicht wusste, was da geschieht. Die 75-jährige Dame sitzt im Rollstuhl gegenüber von Peter Daemen und lächelt freundlich. „Jemand hat mich beruhigt. Ich wusste aber überhaupt nicht, was mit mir wird“, sagt sie. Eine Pflegerin habe geholfen, all ihre persönlichen Sachen aus dem Zimmer in Kisten zu packen, dann sei Jockel mit einem Wagen weggefahren worden. Wohin? Jockel erinnert sich nicht, dass ihr das klar gewesen sei. Man merkt ihr an, dass sie nicht gern an diese Tage zurückdenkt.
Die 75-Jährige kommt in die Seniorenresidenz Rheinischer Hof in Velbert. Es ist das Haus von Heimleiterin Nicole Hertel, einer dieser Frauen, wie man sie nur in der Pflege treffen kann: zupackend, praktisch, dabei herzlich und von unerschütterlicher Fröhlichkeit. Auch Hertel und ihr Team hatten schwierige Wochen hinter sich. Denn ihre Einrichtung gehörte ebenfalls zu der insolventen Convivo-Gruppe, gegen die inzwischen auch Staatsanwälte ermittelten.
Verlaufen in der Innenstadt: Nicht alle kommen gut im neuen Heim an
Immer wieder habe sie Interessenten durch die Räume geführt, die die Einrichtung übernehmen wollten, habe Unterlagen offen gelegt, ihre Beschäftigten beruhigt. Als das Heim dann tatsächlich gerettet werden konnte, war die Arbeit nicht getan: Die Seniorenresidenz schuf Platz für Menschen aus dem Seniorenzentrum Velbert, als dessen Schließung bekannt wurde.
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23 Mitarbeiter und 29 Pflegebedürftige kamen – „das war nicht für alle eitel Sonnenschein“, sagt Hertel. Noch immer erschrecke sie beim Gedanken an einen Demenzkranken, dessen Zustand sich mit dem Umzug verschlechtert hatte. Er verlief sich im Umfeld der Einrichtung. „Als wir ihn wiedergefunden haben, sagte er, das mache er nie wieder und hielt Wort“, sagt Hertel. „Heute ist er Teil unserer Gemeinschaft.“
Das Bild hängt: Ein Stückchen ist Peter Daemen jetzt zu Hause
Peter Daemen war einer der letzten Bewohner des längst aufgegebenen Seniorenzentrums. Er hatte erlebt, wie nach und nach die anderen Bewohner wegzogen, erzählt von Fällen, in denen Stadtgrenzen für betagte Angehörige große Hürden geworden seien. Am vorletzten Tag habe er die Zusage für einen neuen Heimplatz in der Seniorenresidenz von Nicole Hertel bekommen, wo er heute, mehr als vier Monate nach der Schließung, mit Monika Jockel am reich gedeckten Tisch in der Cafeteria sitzt und lacht.
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Vier Kartons habe er damals gepackt, sagt Daemen mit seinen Sachen. Darin habe er auch ein Bild verstaut, dass schon in seiner früheren Wohnung gehangen habe. Der Hausmeister habe es für ihn in seiner neuen Bleibe unterm Dach der Seniorenresidenz Rheinischer Hof aufgehängt - und damit das neue Zimmer ein stückweit zu seinem neuen Zuhause gemacht.