Duisburg/Essen. Bei Thyssenkrupp Steel herrscht ohnehin große Unruhe. Nun wachsen auch die Sorgen vor Billig-Importen von Stahl aus China.
In Deutschlands Stahlindustrie wachsen die Sorgen vor chinesischen Billig-Importen. Hersteller wie Thyssenkrupp Steel verfolgen aufmerksam, wie die USA ihre Zollschranken unter anderem für Elektroautos und Stahl aus China erhöhen. Deutschlands Stahlhersteller ächzen schon seit einigen Monaten unter den Einfuhren aus Fernost. Die Zollstrategie von US-Präsident Joe Biden könnte den Trend zulasten der heimischen Industrie verstärken, wenn zunehmend Stahl aus Asien nach Europa drängt.
„Europa läuft Gefahr, zum großen Verlierer im Kräftemessen zwischen den USA und China zu werden. Wir sind beim Armdrücken aktuell der Tisch, auf dem der Konflikt ausgetragen wird“, sagte der Bochumer Europa-Abgeordnete Dennis Radtke (CDU) unserer Redaktion. „Es braucht nun eine klare Antwort aus Europa auf das Agieren der Chinesen. Deutschlands Stahlindustrie kämpft um ihre Existenz. Wir können nicht zusehen, wie eine Schlüsselindustrie mit gut bezahlten Arbeitsplätzen mit Volldampf gegen die Wand fährt.“
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich bereits für ein stärkeres Vorgehen gegen Billigimporte aus Ländern wie China ausgesprochen. „Wir müssen mehr tun, um zu verhindern, dass europäische Unternehmen durch unfaires Dumping aus dem Markt gedrängt werden, und wir müssen gegen durch massive Subventionen getriebene Überkapazitäten auf dem Weltmarkt angehen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel am Tag der Kundgebung der Thyssenkrupp-Belegschaft Ende April vor der Duisburger Konzernzentrale. Die Stahlproduktion sei „ein unverzichtbarer Sektor für Europa“, betonte von der Leyen. „Sauberer Stahl ist die Zukunft, er muss und wird seinen Platz in Europa haben.“
Der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Steel, Sigmar Gabriel, hatte sich bereits vor Monaten für ein aktives Vorgehen der EU ausgesprochen. „Die Europäische Union muss durch geeignete Maßnahmen an den EU-Grenzen für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen“, sagte der frühere Bundesaußenminister und warnte: „Sonst wird es nicht nur keine grüne Stahlproduktion in Europa geben, sondern gar keine.“
Hoffen auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Auch der Europaabgeordnete Radtke sieht die EU-Kommission gefordert – ebenso wie die Bundesregierung. „Wir brauchen endlich wieder eine aktive Industriepolitik in Berlin und Brüssel – mit Planungssicherheit für die Energiepreise und einem Beihilferecht, das Investitionen ermöglicht statt die Unternehmen zu blockieren“, sagte Radtke unserer Redaktion. „Europa muss mit Blick auf die Zukunft der Industrie im Allgemeinen und der Stahlindustrie im Besonderen endlich in den Handlungsmodus kommen.“ Er unterstütze den Vorstoß von Ursula von der Leyen gegen Dumping-Importe beim Stahl und setze darauf, „dass möglichst kurzfristig erste konkrete Schritte erfolgen“.
Ohne ein schnelles Eingreifen der EU werde die Stahlproduktion in Europa noch schneller als bisher zurückgehen, heißt es in einem Papier von Thyssenkrupp Steel, das vom Unternehmen vor wenigen Wochen im Zusammenhang mit Gesprächen auf europäischer Ebene erstellt worden ist und unserer Redaktion vorliegt. Angesichts von Überkapazitäten exportiere China seinen Stahl hauptsächlich in die EU, weil die USA ihren Markt abgeschirmt hätten.
„China spielt im internationalen Wettbewerb oft nicht mit fairen Mitteln“
„China spielt im internationalen Wettbewerb oft nicht mit fairen Mitteln. Was vor einigen Jahren vor allem die Branchen am Anfang der Wertschöpfungskette – also uns – betraf, spüren nun auch unsere Abnehmer-Branchen wie der Maschinenbau und die Automobilindustrie“, sagte Kerstin Maria Rippel, die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, unserer Redaktion.
Die globalen Stahlexporte Chinas seien seit 2020 stetig gestiegen und hätten im Jahr 2023 rund 93 Millionen Tonnen erreicht. Zum Vergleich: In Deutschland seien im vergangenen Jahr insgesamt etwa 35,4 Millionen Tonnen Stahl hergestellt worden. In die EU wurden den Angaben zufolge im Jahr 2023 rund 4,4 Millionen Tonnen Stahl aus China importiert. Nach dem deutlichen Import-Anstieg um rund 80 Prozent im Jahr 2022 stelle dies einen weiteren Zuwachs um rund 7,5 Prozent dar.
Unruhe bei Thyssenkrupp Steel groß
Bei den Beschäftigten von Deutschlands größtem Stahlkonzern ist die Verunsicherung ohnehin groß. Vor wenigen Wochen hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky mit seiner Firma EP Corporate Group (EPCG) bei Thyssenkrupp Steel einsteige und zunächst rund 20 Prozent der Anteile übernehme. Das Ziel sei die Schaffung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Seiten jeweils 50 Prozent der Anteile halten, erklärte Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López, der von einem „historischen und bedeutenden Schritt“ sprach.
Nur wenige Tage zuvor hatte der Vorstand von Thyssenkrupp Steel angekündigt, das Unternehmen solle für eine deutlich geringere Produktion neu zugeschnitten werden. Bislang seien die Anlagen auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben. Als eine Faustformel in der Stahlindustrie gilt: „Eine Million Tonnen gleich 1000 Arbeitsplätze.“
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