Essen. Bernd Tönjes, Chef der RAG-Stiftung, wünscht sich eine „Reform-Regierung“ – und spricht über Evonik, Benko, Uniper und Thyssenkrupp.

Mit einem Vermögen von rund 17,5 Milliarden Euro gehört die Essener RAG-Stiftung zu den großen Investoren in Deutschland. Stiftungschef Bernd Tönjes, der auch Aufsichtsratsvorsitzender des Chemiekonzerns Evonik ist, zählt zu den einflussreichsten Wirtschaftsakteuren im Ruhrgebiet. Vor der Bundestagswahl spricht Tönjes bei einem Besuch in unserer Redaktion deutliche Worte zur angespannten Wirtschaftslage im Land. „Ein Weiter-so darf es nicht geben“, sagt Tönjes. „Der Kurs muss sich ändern.“ Tönjes äußert sich auch zum gescheiterten Investment der RAG-Stiftung in Immobilienfirmen der Signa-Gruppe von René Benko – und er nimmt Stellung zur Stahlkrise und Thyssenkrupp.

Herr Tönjes, vor der Bundestagswahl am 23. Februar gibt es viele Wirtschaftsakteure, die sich unzufrieden zeigen mit dem Standort Deutschland. Wie nehmen Sie die Stimmung im Land wahr?

Tönjes: Mein Eindruck ist: Ein Weiter-so darf es nicht geben. Der Kurs muss sich ändern. Wir brauchen Reformen. In meinen Augen müsste das Mandat heißen: weniger Konsum, mehr Investitionen.

Was meinen Sie damit?

Tönjes: Wir brauchen ein großes Investitionsprogramm, allen voran in der Bildung, bei Innovationen und Wehrhaftigkeit – eine Zukunftsagenda. Wir müssen große Beträge in die Hand nehmen, damit die deutsche Wirtschaft wieder in Gang kommt. Drei Jahre erleben wir mittlerweile ein Schrumpfen der Wirtschaft. Das gab es so noch nie in der jüngeren Geschichte Deutschlands. Das muss sich dringend ändern – und zwar schnell.

Ist die Lage denn wirklich so ernst?

Tönjes: Deutschland ist derzeit beim Wirtschaftswachstum das Schlusslicht in Europa. Auch Länder wie Spanien oder Griechenland liegen weit vor uns. Ich finde, wir sollten den Anspruch haben, wieder eine führende Rolle in Europa zu spielen. Schließlich sind wir doch die größte Wirtschaftsmacht des Kontinents. Wir müssen der Motor sein.

Plädieren Sie für die Abschaffung der Schuldenbremse, damit der Staat wieder mehr investieren kann?

Tönjes: Nein, aber ich plädiere für die richtige Schwerpunktsetzung. Mit Blick auf Ausgaben für den Konsum sollte die Schuldenbremse Bestand haben. Aber klar ist: Wir müssen mehr Geld in die Hand nehmen, um die Zukunft zu gestalten – um dann wieder mitspielen zu können im globalen Wettbewerb.

RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes: „Wir brauchen wieder eine wirtschaftsfreundlichere Politik.“
RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes: „Wir brauchen wieder eine wirtschaftsfreundlichere Politik.“ © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Ist das ein Ruf nach „Deutschland first“ – Deutschland zuerst?

Tönjes: Nein, darum geht es nicht. Wir erleben derzeit einen Kontinent mit zersplitterten Interessen. Wenn sich Europa weiter auf diese Art und Weise präsentiert, wird unser Kontinent zwischen den USA und China zerrieben. Dann werden wir global kaum noch eine Rolle spielen. Europa repräsentiert noch sieben Prozent der Weltbevölkerung. Das ist nicht viel. Daher müssen wir uns als Europäer gemeinsam anstrengen.

Was meinen Sie genau, wenn Sie von „Konsum“ sprechen? Auch Ausgaben für das Soziale wie beispielsweise das Bürgergeld?

Tönjes: Mir geht es um den Grundsatz: Wir können nur verteilen, was wir erwirtschaftet haben. Insofern geht es darum, staatliche Ausgaben wie das Bürgergeld zu prüfen.

Sind die Belange der Wirtschaft in den vergangenen Jahren aus Ihrer Sicht zu kurz gekommen?

Tönjes: Wir brauchen wieder eine wirtschaftsfreundlichere Politik. Es muss sich wieder lohnen, in Deutschland zu investieren. Im Prinzip ist doch alles da bei uns im Land. Wir haben eine gute Ausgangsposition, viele international erfolgreiche Firmen, gut ausgebildete Arbeitskräfte. Geld ist auch vorhanden. „Wirtschaft first“ – das wäre mein Motto. Kurzum: Ich wünsche mir eine Reform-Regierung.

„Wirtschaft zuerst“?

Tönjes: Ja, derzeit haben wir ein wenig die Balance verloren. Das Verteilen steht mehr im Mittelpunkt als das Erwirtschaften.

Die RAG-Stiftung, die Sie führen, ist ein einflussreicher Investor. Das Vermögen der Stiftung, die ihren Sitz auf dem Zollverein-Gelände in Essen hat, beläuft sich derzeit auf etwa 17,5 Milliarden Euro. Investieren Sie angesichts der aktuellen Lage weniger in Deutschland als in früheren Zeiten?

Tönjes: Unsere Strategie ist, dass wir uns mit unseren Kapitalanlagen breit aufstellen. Danach handeln wir. Wir investieren in allen wichtigen Märkten. In mehr als 20.000 Unternehmen sind wir über Fonds vertreten. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht – auch in Krisenzeiten. Diese Strategie verfolgen wir weiter. Natürlich spielt dabei Deutschland eine wichtige Rolle, aber wir sind international unterwegs.

Bernd Tönjes (Bildmitte) beim Redaktionsgespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock (links): „Wir müssen investieren, wo es den nationalen Interessen entspricht“, sagt Stiftungschef Tönjes.
Bernd Tönjes (Bildmitte) beim Redaktionsgespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock (links): „Wir müssen investieren, wo es den nationalen Interessen entspricht“, sagt Stiftungschef Tönjes. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Wie stabil ist das Geschäftsmodell der RAG-Stiftung?

Tönjes: Wir haben uns auch im vergangenen Jahr gut geschlagen – trotz der vielen Krisen in der Welt. Aber es gibt Herausforderungen. Ein wichtiger Einflussfaktor ist das Zinsniveau. Es ist noch nicht lange her, da haben wir einen Anstieg von null auf vier Prozent innerhalb eines halben Jahres gesehen. Das hat die Bundesrepublik so zuvor noch nicht erlebt. An manchen Stellen wurde das Geldanlegen wieder einfacher, beispielsweise bei Anleihen. Im Immobiliensektor waren hingegen massive Verwerfungen die Folge. Auch wir haben das zu spüren bekommen.

Die RAG-Stiftung hat in Unternehmen aus dem Signa-Firmenimperium des österreichischen Geschäftsmanns René Benko investiert – und millionenschwere Verluste gemacht. Hätte sich dieses Desaster vermeiden lassen?

Tönjes: Rückblickend ist man immer klüger. Wir waren nicht die Einzigen, die sich geirrt haben. Die Zinsentwicklung haben weder wir noch andere große Immobilieninvestoren vorausgesehen. Es sind ungefähr 300 Projektentwickler pleitegegangen.

Aber es laufen auch diverse Ermittlungen von Staatsanwaltschaften im Signa-Komplex. Benko ist festgenommen worden. Haben Sie sich in ihm getäuscht? Was sind Ihre Lehren aus dem Fall Benko?

Tönjes: Inwiefern strafbare Handlungen des Herrn Benko eine Rolle gespielt haben, müssen jetzt Gerichte klären. Das werden wir sehr genau verfolgen. Wie auch immer das ausgehen wird, wir haben aus den Vorgängen gelernt. Das Signa-Investment haben wir vollständig verdaut.

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Am Abgrund – Die Thyssenkrupp-Story ab dem 28.01.

Am Abgrund – Die Thyssenkrupp-Story

In den USA beginnt die Amtszeit von Donald Trump. Rechnen Sie mit einer Zeitenwende auch für Deutschlands Unternehmen?

Tönjes: Wenn wir mit unseren amerikanischen Kollegen sprechen, hören wir die Erwartung, dass die Trumpsche Politik die Wirtschaft in den USA noch weiter beflügeln wird. Die aktuelle Wachstumsprognose für die USA liegt bei 2,7 Prozent. In Deutschland sind es 0,3 Prozent. Dazwischen liegen Welten.

Auch der Essener Chemiekonzern Evonik, bei dem die RAG-Stiftung Großaktionärin ist und Sie Aufsichtsratsvorsitzender, setzt auf die USA.

Tönjes: Evonik investiert massiv in den USA – auch aufgrund der konkurrenzlos günstigen Energiepreise. Dort zahlt Evonik teils zwei Cent pro Kilowattstunde. In Deutschland sind es oft rund 20 Cent, also das Zehnfache. Große Rechenkünste braucht es da nicht, um Investitionsentscheidungen nachvollziehen zu können.

Die Firmenzentrale des Chemiekonzerns Evonik in Essen: Die RAG-Stiftung ist mit Abstand die wichtigste Anteilseignerin des Unternehmens.
Die Firmenzentrale des Chemiekonzerns Evonik in Essen: Die RAG-Stiftung ist mit Abstand die wichtigste Anteilseignerin des Unternehmens. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Im Frühjahr 2023 fiel der Startschuss für den Bau eines Werks, in dem Evonik sogenannte Lipide für Impfstoffe und künftige Medikamente zur Krebs- oder Aids-Therapie produzieren will. Warum ist die Investitionsentscheidung für die USA gefallen – und nicht für Deutschland?

Tönjes: Der erste Auftraggeber war die US-Regierung. Der Neubau des Werks für die Impfstoffzulieferung wurde als eine Angelegenheit nationaler Sicherheit eingestuft. Eine solche Priorisierung haben wir hierzulande nicht erlebt.

Sollte sich Deutschland die USA zum Vorbild nehmen?

Tönjes: Mein Punkt ist: Wir müssen investieren, wo es den nationalen Interessen entspricht.

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hat gesagt, er glaube „persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird“. Teilen Sie die Einschätzung?

Tönjes: In der Welt werden zwei Milliarden Tonnen Stahl pro Jahr produziert, in Deutschland weniger als 40 Millionen. Und mit den 40 Millionen wollen wir nun die Branche revolutionieren – das ist ein ziemlich mutiger Angang, auch wenn die Veränderungen notwendig sind. Es ist eine politische Entscheidung, ob Europa und Deutschland grünen Stahl haben wollen. Der Hochlauf der Stahlproduktion mit Wasserstoff wird allerdings länger dauern, als wir im Moment annehmen.

Bei Evonik steht der größte Konzernumbau seit der Firmengründung an. Rund 2000 Arbeitsplätze will das Management abbauen. Sind angesichts der angespannten Lage der Industrie besonders starke Einschnitte notwendig?

Tönjes: Evonik ist dabei sich neu aufzustellen. Dabei geht es nicht nur ums Sparen, sondern darum, schlagkräftiger zu werden. Der Vorstand hat alle notwendigen Weichen dafür gestellt. Der Kurs ist gesetzt. Jetzt erhoffen wir uns noch Rückenwind durch die Konjunktur.

Der nordrhein-westfälische Chemiekonzern Covestro wird von einem Staatskonzern aus Abu Dhabi übernommen. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Tönjes: Ich hoffe nicht, dass das Schule macht in der Chemieindustrie. Die Aktienkurse der Unternehmen sind sehr niedrig. Das sind Schnäppchen am Markt. Arabische Investoren verfügen über viel Kapital. Insofern könnte Covestro kein Einzelfall bleiben. Evonik ist geschützt vor einer Übernahme, da wir als Stiftung Ankeraktionär sind und auch bleiben.

Aber Sie werden weitere Anteile von Evonik abgeben – oder?

Tönjes: Als wir im Jahr 2007 als Stiftung gestartet sind, hatten wir ausschließlich einen 100-Prozent-Anteil an der damaligen Evonik, zu der noch die Steag und Immobilien gehörten. Im Laufe der Jahre haben wir Evonik-Aktien verkauft, um breiter aufgestellt zu sein. Derzeit halten wir bei Evonik noch 47 Prozent der Aktien.

Trio an der Spitze der einflussreichen RAG-Stiftung, die auf dem Zollverein-Gelände in Essen ihren Sitz hat: Finanzchef Jürgen-Johann Rupp, Bernd Tönjes und Bärbel Bergerhoff-Wodopia (von links).
Trio an der Spitze der einflussreichen RAG-Stiftung, die auf dem Zollverein-Gelände in Essen ihren Sitz hat: Finanzchef Jürgen-Johann Rupp, Bernd Tönjes und Bärbel Bergerhoff-Wodopia (von links). © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Stiftung ist also nicht mehr Mehrheitsaktionärin.

Tönjes: Richtig. Bei Abstimmungen auf Hauptversammlungen haben wir aber nach wie vor die Mehrheit.

Könnten Sie den Anteil an Evonik sogar auf 25,1 Prozent verringern?

Tönjes: Wir haben noch drei Wandelanleihen ausstehen, die in den Jahren bis 2030 in Geld oder Aktien fällig werden. Damit könnten wir unseren Anteil an Evonik auf knapp über 30 Prozent reduzieren. Klar ist: Wir bleiben Ankeraktionär.

Rückt mit den Aktienverkäufen der Stiftung auch der Aufstieg von Evonik in den wichtigsten deutschen Börsenindex Dax näher? Dass es mehr sogenannten Streubesitz gibt, ist doch eine Voraussetzung.

Tönjes: Gemessen an der Größe wäre Evonik schon heute ein Dax-40-Unternehmen. Und natürlich wäre es schön, wenn es dazu käme. Das hätte auch Vorteile, weil viele Investoren automatisch Dax-40-Aktien kaufen. Aber eine Dax-Notierung ist nicht unser oberstes Ziel.

Die RAG-Stiftung hat ein Vermögen in Höhe von 17,5 Milliarden Euro. Was haben Sie mit dem Geld noch vor?

Tönjes: Hier sind wir an unseren Satzungsauftrag gebunden. Unser Ziel ist, das Vermögen zu steigern, um damit die Ewigkeitskosten zu tragen, die mit dem Ende des Steinkohlenbergbaus in Deutschland entstanden sind. So werden die Steuerzahler nicht belastet. Und mit einem Teil unserer Erträge finanzieren wir Projekte in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur in den früheren Bergbauregionen.

Wollen Sie die Förderung für die Projekte ausbauen?

Tönjes: Beim Start der Stiftung haben wir mit unter einer Millionen Euro begonnen, jetzt sind wir bei 32 Millionen Euro jährlich. Was da in Zukunft noch mehr geht, werden wir sehen. Gerade im Bildungsbereich können wir Impulse setzen, etwa indem wir jungen Menschen helfen, einen Abschluss zu machen. Das zahlt sich am Ende nicht nur für den Einzelnen, sondern für die ganze Gesellschaft aus. Stichwort Fachkräftemangel.

Steigen die Kosten, um die Hinterlassenschaften des Steinkohlenbergbaus unter Kontrolle zu halten?

Tönjes: Steigenden Kosten stellen wir Effizienzgewinne entgegen. Vor allem beim Pumpen von Grubenwasser – eine der zu finanzierenden Ewigkeitsaufgaben. Klar ist, dass im Ruhrgebiet auf ewig gepumpt werden muss. Da hat sich technologisch in den letzten Jahren enorm viel getan, gerade auch bei den Energieeinsparungen. Im Jahr 2006 haben wir Kosten für Ewigkeitsaufgaben in Höhe von 230 Millionen Euro veranschlagt. Aktuell liegen wir bei rund 260 Millionen Euro jährlich. Die Kostensteigerung ist nur deshalb so moderat, weil die RAG die Grubenwasserhaltung laufend optimiert und auf Effizienz trimmt.

„Ich finde es plausibel, über Fracking in Niedersachsen nachzudenken“

Im Dezember 2018 ist das letzte deutsche Stück Steinkohle gefördert worden. Ist die Stilllegung der Zechen unumkehrbar?

Tönjes: Dort, wo ehemalige Schächte verfüllt worden sind, kann nie wieder gefördert werden. Das Kapitel ist beendet. Anders sieht es weiter im Norden aus. Dort könnte rein theoretisch Steinkohlenbergbau betrieben werden. Aber das ist sehr teuer, von den Genehmigungsverfahren mal ganz abgesehen. Neue Zechen zu eröffnen? Da müsste die Not schon sehr groß sein.

In den vergangenen Jahren ist mit einer gewissen Regelmäßigkeit diskutiert worden, die Erdgasförderung in Niedersachsen anzukurbeln – mit der Fracking-Methode, die hierzulande umstritten ist. Was halten Sie davon?

Tönjes: Ich finde es plausibel, über Fracking in Niedersachsen nachzudenken. Dort hätten wir noch für 20 Jahre Erdgas. Das wäre eine Option, die man ernsthaft prüfen sollte. Fracking-Gas aus heimischen Quellen einzusetzen, wäre deutlich umweltfreundlicher als der Import von Flüssiggas beispielsweise aus den USA. Denn das sogenannte LNG muss erst unter hohem Energieaufwand eingefroren und hier wieder aufgetaut werden, bei langen Transportwegen.

Wie die RAG-Stiftung auf Thyssenkrupp und Uniper blickt

Der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper, Europas größter Gashändler, ist in der Energiekrise verstaatlicht worden und steht absehbar zum Verkauf. Können Sie sich einen Einstieg der RAG-Stiftung vorstellen?

Tönjes: Wir schauen uns jede Möglichkeit für gute Investitionen an, solange die Einzeltickets nicht zu groß sind.

Vor fünf Jahren haben Sie sich mit der RAG-Stiftung an der Übernahme der Thyssenkrupp-Aufzugsparte durch die Finanzinvestoren Advent und Cinven beteiligt. Erwägen Sie, weitere Aktivitäten zu übernehmen, sollte Thyssenkrupp Käufer suchen?

Tönjes: Auch hier gilt: Grundsätzlich schauen wir uns alles an, aber der Ertrag muss stimmen. Wir wollen Geld.

Die Hochöfen von Thyssenkrupp Steel im Duisburger Stadtteil Schwelgern: „Die Stahlbranche ist abhängig von Importen und muss sich massiv verändern“, sagt RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes.
Die Hochöfen von Thyssenkrupp Steel im Duisburger Stadtteil Schwelgern: „Die Stahlbranche ist abhängig von Importen und muss sich massiv verändern“, sagt RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes. © dpa | Rolf Vennenbernd

Als der Essener Energiekonzern Steag kürzlich zum Verkauf stand, haben Sie sich mit dem tschechischen Investor Daniel Kretinsky verbündet und ein Angebot abgegeben. Kommen Sie mit der RAG-Stiftung auch als Partner für die Thyssenkrupp-Stahlsparte infrage, wo Kretinsky schon 20 Prozent der Anteile hält?

Tönjes: Noch einmal: Wir sind sehr renditeorientiert unterwegs. Das ist notwendig, damit wir unseren Auftrag – die Finanzierung der Ewigkeitskosten des Bergbaus – erfüllen können.

Hat die Stahlindustrie aus Ihrer Sicht noch eine Zukunft in Deutschland?

Tönjes: Die Stahlwerke befinden sich im Ruhrgebiet, weil hier in der Vergangenheit die Rohstoffe vor der Haustür lagen. Lange Zeit gab es Erz, noch länger auch Kohle. Aber das ist nun vorbei. Die Stahlbranche ist abhängig von Importen und muss sich massiv verändern.

Wird es bald keine Hochöfen mehr in Deutschland geben? Verschwindet damit das, was in der Stahlindustrie die „Flüssigphase“ genannt wird?

Tönjes: Es ist nachvollziehbar, darüber nachzudenken, ob die Flüssigphase außerhalb Deutschlands sinnvoller verortet ist. Schon jetzt müssen Kohle und Erz importiert werden. Ich kann nicht erkennen, dass sich Abhängigkeiten vom Ausland erheblich vergrößern, sollten künftig vermehrt Brammen andernorts eingekauft und in deutschen Stahlwerken verarbeitet werden. Aber am Ende bleibt es eine strategische Abwägung der Politik.

Bernd Tönjes zum Aufschwung der AfD: „Ich glaube nicht, dass 25 Prozent der Bundesbürger Neonazis sind. Da gibt es einen kleinen harten Kern. Den hat es immer gegeben. Wir sehen derzeit viele Protestwähler, die mit der Politik unzufrieden sind.“
Bernd Tönjes zum Aufschwung der AfD: „Ich glaube nicht, dass 25 Prozent der Bundesbürger Neonazis sind. Da gibt es einen kleinen harten Kern. Den hat es immer gegeben. Wir sehen derzeit viele Protestwähler, die mit der Politik unzufrieden sind.“ © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Von der Social-Media-Plattform X des US-Milliardärs Elon Musk hat sich die RAG-Stiftung schon vor Monaten zurückgezogen – im November 2023. Fühlen Sie sich bestätigt, wenn Sie jetzt sehen, dass viele gesellschaftliche Akteure aus Deutschland Ihrem Beispiel folgen?

Tönjes: Wir spüren da keine Genugtuung. Schöner wäre es, wenn wir X wieder nutzen könnten. Aber danach sieht es auf Sicht nicht aus.

Der Vorstandschef von Evonik, Christian Kullmann, ergreift in aller Deutlichkeit das Wort gegen die AfD. Würden Sie das auch so tun?

Tönjes: Wer die AfD wählt, schadet der Demokratie in Deutschland – und auch dem Industriestandort, denn die Ideen der AfD passen nicht zusammen mit freiheitlicher Grundordnung und sozialer Marktwirtschaft. Wir sind weltoffen.

„Die Demokratie muss immer wieder neu erkämpft werden“

Sind Sie in Sorge um die Demokratie in Deutschland?

Tönjes: Man muss sich um die Demokratie schon Sorgen machen. Die Demokratie muss immer wieder neu erkämpft werden. Ich sehe im Übrigen auch kritisch, dass sich in Deutschland nur wenige Menschen aus der Wirtschaft in der Politik engagieren. Das werden zunehmend zwei Welten. Wir müssen wieder lernen, dieselbe Sprache zu sprechen.

Wie erklären Sie sich den Aufschwung der AfD?

Tönjes: Ich glaube nicht, dass 25 Prozent der Bundesbürger Neonazis sind. Da gibt es einen kleinen harten Kern. Den hat es immer gegeben. Wir sehen derzeit viele Protestwähler, die mit der Politik unzufrieden sind. Rund 42 Millionen Beschäftigte haben wir in Deutschland. Diese Menschen haben tägliche Probleme – Kita, Verkehr, Inflation und Pflege beispielsweise. Diese Probleme müssen gelöst werden, um die Menschen zurückzugewinnen – durch eine gute, bürgerfreundliche Politik. Das ist möglich.

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