Leverkusen. Der arabische Staatskonzern Adnoc greift nach dem Chemiekonzern Covestro – eine Milliarden-Transaktion mit Auswirkungen auf NRW.

„Es ist kein gewöhnlicher Deal“, sagt Covestro-Chef Markus Steilemann. Dass die staatliche Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten den deutschen Chemiekonzern Covestro übernehmen will, hat auch eine industriepolitische Dimension. Es handle sich um „die größte Transaktion zwischen einem europäischen Unternehmen und einem strategischen Investor aus dem Nahen Osten“, sagt Steilemann im „Handelsblatt“. Ein milliardenschweres Geschäft mit Auswirkungen auf den Industriestandort NRW bahnt sich an. Der Konzern aus Abu Dhabi bietet 62 Euro je Covestro-Aktie und bewertet die Anteile des Dax-Konzerns mit 11,7 Milliarden Euro.

Covestro ist auf die Herstellung von Kunststoffen spezialisiert und vor einigen Jahren aus dem Leverkusener Traditionskonzern Bayer hervorgegangen. Geführt wird Covestro vom deutschen Branchenpräsidenten Markus Steilemann. Als Mann an der Spitze des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) repräsentiert Steilemann einen Wirtschaftszweig mit bundesweit mehr als 500.000 Beschäftigten. Zu Covestro gehören rund 17.500 Mitarbeitende an 48 Standorten weltweit. Neben dem Firmensitz in Leverkusen befinden sich große Standorte in Krefeld und Dormagen. 

Schon vor etwas mehr als einem Jahr ist bekannt geworden, dass Abu Dhabis staatlicher Ölkonzern Adnoc ein Auge auf Covestro geworfen hat. Zunächst gab es nur im Verborgenen Kontakte, danach bestätigte das Covestro-Management auch offiziell Gespräche.

Adnoc-Chef Sultan Ahmed Al Jaber gehört zu den einflussreichsten Wirtschaftslenkern in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dass er vor wenigen Monaten als Firmenchef die Weltklimakonferenz in Dubai geleitet hat, spricht Bände. „Diese strategische Partnerschaft ist eine ideale Verbindung“, sagt Al Jaber nun über den geplanten Covestro-Deal. Der Konzern aus NRW sei ein „weltweit führender Industrie-Pionier im Chemiesektor“ und verfüge über „einzigartige Expertise im Bereich Hightech-Spezialchemikalien und -materialien“. Darauf will sich Abu Dhabi mit der milliardenschweren Übernahme den Zugriff sichern.

Covestro-Chef Markus Steilemann: „Es ist ein gutes Zeichen für Deutschland und den Standort, dass ein ausländisches Unternehmen eine solche Direktinvestition tätigt.“
Covestro-Chef Markus Steilemann: „Es ist ein gutes Zeichen für Deutschland und den Standort, dass ein ausländisches Unternehmen eine solche Direktinvestition tätigt.“ © dpa | Michael Kappeler

Ob dies gut für den Standort Deutschland ist? Jedenfalls könnten wichtige Entscheidungen, die auch Werke in NRW betreffen, künftig in Abu Dhabi fallen oder zumindest beeinflusst werden. „Adnoc hat offenbar sehr großes Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit und Strategie unseres Unternehmens“, sagt indes Covestro-Chef Steilemann. „Es ist ein gutes Zeichen für Deutschland und den Standort, dass ein ausländisches Unternehmen eine solche Direktinvestition tätigt.“ Adnoc wolle Covestro „zu einer weltweiten Plattform im Spezialchemie-Segment“ ausbauen.

Beschäftigungsgarantie bei Covestro bis zum Jahr 2032

Er erwarte nicht, dass Covestro-Werke aus Deutschland in den Nahen Osten verlagert werden sollen. „Energiekosten sind nur ein Faktor, wenn man sich für Standorte entscheidet“, erklärt Steilemann im „Handelsblatt“. „Ganz wichtig ist, dass man nahe an den Kunden und Märkten ist“, sagt er zur Begründung. Bei Covestro gibt es eine Beschäftigungssicherung: Ein Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland ist bis zum Jahr 2032 vereinbart.

Das Covestro-Management geht davon aus, dass der Deal mit Adnoc erst im zweiten Halbjahr 2025 abgeschlossen werden könnte. Dann sollen dem deutschen Unternehmen Barmittel über 1,17 Milliarden Euro von Adnoc zufließen. Das Ziel des Ölkonzerns aus Abu Dhabi sei, eines der fünf größten Chemieunternehmen der Welt zu schaffen, wird bei Covestro betont.

IGBCE-Chef Vassiliadis: „Zu Beginn hatten wir viele Fragen“

Auch die Arbeitnehmervertreter von Covestro waren mit Blick auf die Übernahme eingebunden. „Die Übernahmeverhandlungen waren ein langer Prozess“, sagt der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis. „Zu Beginn hatten wir viele Fragen.“ Diese seien aber im Laufe der Monate beantwortet worden. „Für uns und die Beschäftigten war es zentral, dass die seit Jahrzehnten bewährte Sozialpartnerschaft in der deutschen Chemieindustrie auch nach der Übernahme bestehen bleibt.“

Es spreche für „die Zukunftsfähigkeit von Covestro und der chemischen Industrie im Land, wenn ein potenter Investor das Unternehmen erwerben“ wolle, sagt der SPD-Landtagsfraktionsvize Alexander Vogt im Gespräch mit unserer Redaktion. „Bei der Übernahme muss allerdings sichergestellt werden, dass tarifgebundene Arbeitsplätze, Standorte und die Technologieführerschaft in Deutschland verbleiben“, betont Vogt – und fordert Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sowie Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) dazu auf, sie sollten bei „der Unternehmensleitung von Covestro darauf hinwirken, dass diese Punkte im Übernahmevertrag festgeschrieben werden“.

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