Essen. Bilanz der politisch kontrollierten RAG-Stiftung: So hat das Benko-Desaster die Stiftung belastet – und das hat Evonik eingebracht.
An wie vielen Unternehmen die RAG-Stiftung beteiligt ist? Die Frage sei nicht leicht zu beantworten, sagt Stiftungschef Bernd Tönjes bei seiner Jahresbilanz. „Eine detaillierte Statistik darüber führen wir in der Tat nicht.“ Die Stiftung habe direkte und indirekte Beteiligungen, hinzu kämen Fonds mit ständigen Käufen und Verkäufen. „Grobe Schätzungen“ habe die Stiftung allerdings. „Knapp oberhalb von 20.000“ liegt die Zahl der Unternehmen demnach.
Voraussichtlich dürften weitere hinzukommen. Schließlich will sich die RAG-Stiftung auch künftig wieder von Aktien des Essener Chemiekonzerns Evonik trennen und das Geld an unterschiedlichen Stellen anlegen – mit „vielen, vielen kleinen Investments“, wie es Jürgen Rupp, der Finanzchef der Stiftung, formuliert.
Im Mai 2024 hat die RAG-Stiftung bereits ein großes Evonik-Aktienpaket abgegeben und damit fast 470 Millionen Euro erlöst. Mit dem Verkauf von rund fünf Prozent ist die Stiftung nach wie vor die mit Abstand größte Aktionärin des Chemiekonzerns, aber nicht mehr Mehrheitsaktionärin. Rund 47 Prozent der Anteile hält die Stiftung nun. „Eine gute Mutter muss irgendwann auch loslassen können“, kommentiert Stiftungschef Bernd Tönjes, der auch den Evonik-Aufsichtsrat führt, das millionenschwere Manöver.
Das Ziel sei, den Anteil an Evonik langfristig weiter zu reduzieren – perspektivisch auf 25,1 Prozent, kündigt Tönjes an und betont, wie nah die Stiftung dieser Marke bereits komme. Denn die Stiftung habe noch Umtauschanleihen in einem Volumen von zwei Milliarden Euro ausstehen. „Das entspricht weiteren knapp 20 Prozent an Evonik-Aktien“, rechnet Tönjes vor. „Wenn Sie jetzt nachgerechnet haben, werden Sie feststellen, dass da nicht mehr viel fehlt zu besagten 25,1 Prozent.“
Evonik – erfolgsverwöhnter Chemiekonzern unter Druck
Der jahrelang erfolgsverwöhnte Essener Chemiekonzern Evonik steht derzeit unter Druck. Erstmals in seiner Firmengeschichte hat das Unternehmen im vergangenen Jahr rote Zahlen geschrieben. Anfang März teilte Vorstandschef Christian Kullmann mit, bis zu 2000 Arbeitsplätze abbauen zu wollen, davon rund 1500 Stellen in Deutschland. Auch an der Börse ist Evonik unter Druck. Im April 2013 war der Konzern mit einem Ausgabekurs von 33 Euro gestartet. Aktuell rangiert die Aktie unter 19 Euro.
Nach wie vor ist Evonik ein prägender Faktor in der Bilanz der RAG-Stiftung. Fast 297 Millionen Euro erhielt die Stiftung als Dividende des Chemiekonzerns, Aktienverkäufe brachten zudem 223 Millionen Euro ein – insgesamt weit mehr als die Hälfte der Gesamterträge der Stiftung in Höhe von 959 Millionen Euro. Der Chemiekonzern mache aber „nur noch“ 24 Prozent des Stiftungsvermögens aus, betont Tönjes.
Vivawest liefert 60 Millionen Euro als Dividende
Trotz millionenschwerer Belastungen durch Insolvenzen im Signa-Firmenimperium des österreichischen Geschäftsmanns René Benko sieht Tönjes die Stiftung in einer guten Verfassung. Ende des Jahres 2022 lag das Stiftungsvermögen bei 16,8 Milliarden Euro, ein Jahr später waren es 17,5 Milliarden Euro, erklärt die RAG-Stiftung bei ihrer Jahresbilanz. Im Mai 2024 sei das Stiftungsvermögen auf rund 18 Milliarden Euro gestiegen.
Die nach Evonik zweitgrößte Einzelbeteiligung der Stiftung ist das Gelsenkirchener Wohnungsunternehmen Vivawest. Rund 60 Millionen Euro habe die Stiftung für ihren 40-Prozent-Anteil im vergangenen Jahr erhalten, berichtet Stiftungsvorständin Bärbel Bergerhoff-Wodopia, die auch Aufsichtsratschefin von Vivawest ist.
Eine politisch kontrollierte Stiftung
Das Kuratorium der RAG-Stiftung, das als Kontrollgremium fungiert, ist politisch besetzt: Mitglieder sind unter anderem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), die saarländische Regierungschefin Anke Rehlinger (SPD), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Der frühere CDU-Vorsitzende Armin Laschet leitet das Kuratorium.
Die Stiftung, die auf dem Gelände des Essener Welterbe-Areals Zollverein residiert, hat die Aufgabe, die Folgekosten nach dem Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus zu decken. Für das vergangene Geschäftsjahr habe die Stiftung Rückstellung von 394 Millionen Euro erwirtschaften können, die der Finanzierung der Ewigkeitslasten des Bergbaus dienen sollen, berichtet Tönjes. Der „Jahreserfolg“ sei damit noch höher als im Vorjahr, als es 347 Millionen Euro gewesen seien. Auf rund 9,1 Milliarden Euro seien die Rückstellungen der RAG-Stiftung damit gestiegen. Erneut habe die Stiftung all ihre Verpflichtungen erfüllt – mit Zahlungen von 266 Millionen Euro für die Ewigkeitsaufgaben im vergangenen Jahr, was einem Anstieg von 20 Millionen Euro entspreche, der auf gestiegene Energiekosten zurückzuführen sei.
Schon 1,3 Milliarden Euro für Folgekosten des Steinkohlenbergbaus
Die Ausgaben der Stiftung für Ewigkeitsaufgaben seit Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus summierten sich den Angaben zufolge Ende 2023 auf 1,3 Milliarden Euro. „Die Stiftung hat diese Kosten in den zurückliegenden fünf Jahren zuverlässig und nahezu geräuschlos getragen“, erklärt Tönjes, „und das, ohne ihre Substanz zu verzehren“.
Bereits Anfang des Jahres hatte Tönjes erklärt, die Stiftung werde in ihrer Bilanz für 2023 das komplette finanzielle Engagement in Sachen Signa abschreiben. Noch bei der Jahresbilanz der Stiftung im Jahr 2023 hatte sich Stiftungsfinanzchef Jürgen Rupp zufrieden gezeigt mit Blick auf die Beteiligung an Signas Immobilien-Firmen „Prime“ und „Development“. Ein halbes Jahr später meldeten die Gesellschaften dann Insolvenz an. Zu „Prime“ gehören die Luxus-Immobilien des Signa-Reichs, unter anderem das Kaufhaus KaDeWe in Berlin, der in Bau befindliche Hamburger Elbtower sowie die Warenhäuser Oberpollinger in München und Alsterhaus in Hamburg.
Gesamtbelastung durch Signa für RAG-Stiftung: 189 Millionen Euro
Durch den Signa-Zusammenbruch entstehe bei der RAG-Stiftung eine Gesamtbelastung in Höhe von 189 Millionen Euro, sagt Stiftungsfinanzchef Rupp. „Das ist für uns zwar schmerzhaft“, konstatiert er, fügt aber zugleich hinzu: „Jedes unternehmerische Handeln und jede Geldanlage birgt immer auch ein Verlustrisiko.“
Die RAG-Stiftung stehe gut da, weil sie ihr Geld breit gestreut angelegt habe, betont Bernd Tönjes. „Wir sind nicht Zweibeiner und nicht Vierbeiner. Wir sind ein Tausendfüßler. Und wir wissen: Auch wenn wir in Zukunft zwangsläufig immer mal wieder auf einem Bein einknicken mögen, insgesamt bleiben wir doch im Tritt.“
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