Essen. Thyssenkrupp muss bei der Marine-Sparte nach dem Rückzug des US-Investors Carlyle umplanen. IG Metall verärgert über Bundesregierung.
Innerhalb des Thyssenkrupp-Konzerns sticht die Marine-Sparte heraus: Thyssenkrupp sieht sich weltweit als Marktführer für nichtnukleare U-Boote. Der deutsche Brennstoffzellen-Antrieb für die Unterwasserschiffe gilt als eine nationale „Schlüsseltechnologie“. Allen voran die Bundeswehr gehört zu den Kunden von Thyssenkrupp Marine Systems, kurz TKMS, aber auch Streitkräfte aus Ländern wie Ägypten, Brasilien, Norwegen und Israel. Entsprechend politisch ist das Geschäft, das derzeit vollständig zum Essener Industrie-Konglomerat gehört.
Obwohl die Auftragsbücher prall gefüllt sind, strebt Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López eine Herauslösung der Werften aus dem Revierkonzern an. Mit der Verselbstständigung des Firmenbereichs mit Sitz in Kiel könnte auch ein Verkauf oder zumindest ein Teilverkauf einhergehen. Dabei gilt das Rüstungsgeschäft mit etwa 8000 Beschäftigten als „gut poliertes Tafelsilber“ innerhalb der angeschlagenen Thyssenkrupp-Firmengruppe, zu der das krisengeschüttelte Stahlgeschäft, Autozulieferer, Anlagenbauer und damit konzernweit rund 100.000 Mitarbeiter gehören.
Zwar ist der US-Finanzinvestor Carlyle, der an einem Einstieg bei TKMS interessiert war, in dieser Woche nach monatelangen Gesprächen abgesprungen. Doch das dürfte insbesondere mit Vorbehalten in Kreisen der Bundesregierung gegen einen Verkauf des sensiblen Marine-Geschäfts an Geldgeber aus den USA zu tun haben.
Gespräche von Thyssenkrupp mit der Bundesregierung
Gespräche mit der Bundesregierung über eine staatliche Beteiligung am Marinegeschäft würden hingegen „unvermindert“ fortgesetzt, erklärte Thyssenkrupp, nachdem bekannt worden war, dass sich Carlyle zurückzieht. Ein Staatseinstieg bei TKMS könnte durch die Bankengruppe KfW erfolgen.
„Der Ausstieg von Carlyle aus dem Bieterprozess ist nicht betriebswirtschaftlich begründet und hat mit der Qualität und finanziellen Leistungsfähigkeit unseres Unternehmens nichts zu tun“, schreibt die TKMS-Geschäftsführung in einem Brief an die Beschäftigten. „Gerade deshalb bedauern wir die Entscheidung sehr“, heißt es weiter in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt.
„Wir sind ein gesundes Unternehmen und haben noch viel vor“, betont TKMS-Chef Oliver Burkhard. Der frühere NRW-Bezirksleiter der IG Metall führt die Marine-Sparte zusätzlich zu seiner Funktion als Personalvorstand im Thyssenkrupp-Vorstand. Die Auftragsbücher der Werften seien „über Jahre gefüllt“, berichtet Burkhard, ohne Zahlen zu nennen.
Aufträge im Volumen von rund 13 Milliarden Euro sind dem Vernehmen nach derzeit eingebucht – Tendenz steigend. Während die Stahlsparte mit großen Standorten in Duisburg, Bochum und Dortmund zu kämpfen hat, floriert das Rüstungsgeschäft von Thyssenkrupp. Insbesondere im Norden Deutschlands sichern die Standorte von TKMS viele Arbeitsplätze – in Kiel, Hamburg, Bremen, Emden und Wismar. Mehr als 3000 Mitarbeitende sind es allein am Standort Kiel.
Thyssenkrupp verfügt über wichtige Rüstungstechnologie
Dass der Bund einen Staatseinstieg erwägt, bestätigte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bereits vor mehr als einem Jahr. In den Überlegungen dürfte eine Rolle spielen, Rüstungstechnologie aus Deutschland schützen zu wollen. Aus Sicht von Thyssenkrupp kommen auch wichtige Finanzierungsfragen hinzu. Bislang sichert die Essener Konzernmutter die milliardenschweren Aufträge mit jahrlangem Vorlauf ab. Bei einer Verselbstständigung von TKMS würde diese Verbindung gekappt. Staatliche Bürgschaften könnten dann für Stabilität sorgen.
Die IG Metall im Bezirk Küste setzt auf den „Staat als Ankerinvestor“ bei TKMS. Als eine Option sieht die Gewerkschaft eine sogenannte Sperrminorität des Bundes mit einer Beteiligung von 25,1 Prozent am Unternehmen. „Der Bund ist nun gefordert, möglichst schnell Klarheit zu schaffen“, fordert die IG Metall.
Von Investoren erhofft sich das TKMS-Management zudem finanzielle Mittel, um das Geschäft ausweiten zu können. Innerhalb des finanziell gebeutelten Revierkonzerns tobt schon seit einigen Jahren ein Verteilungskampf der verschiedenen Geschäftsbereiche um die knappen Gelder für Expansionsprojekte.
IG Metall bedauert Rückzug von US-Investor Carlyle
Bemerkenswert ist, wie klar die IG Metall ihr Bedauern über den Rückzug des US-Investors Carlyle artikuliert. „Eine Lösung war zum Greifen nah, ist nun aber offenbar am Widerstand aus dem Bundeswirtschaftsministerium gescheitert“, erklärt die Gewerkschaft auf Anfrage unserer Redaktion. „Eine Mehrheitsbeteiligung von Carlyle hätten wir bei einer Sperrminorität durch den Bund und verbindlichen Zusagen zu Beschäftigung, Standorten, Tarif und Investitionen durch den Finanzinvestor unterstützt. Dazu waren wir mit Carlyle im Gespräch.“
Schon wird über andere potenzielle Partner für die Thyssenkrupp Marine Systems spekuliert. Der Chef des italienischen Werften-Konzerns Fincantieri, Pierroberto Folgiero, hatte schon vor Monaten öffentlich um die Thyssenkrupp-Tochter gebuhlt. Auch der Bremer Werft-Unternehmer Peter Lürßen warb vor einiger Zeit für einen Zusammenschluss seiner Betriebe mit TKMS.
Spekulationen über Rheinmetall und das Werft-Unternehmen NVL
Über den Düsseldorfer Rüstungsriesen Rheinmetall wird im Zusammenhang mit Thyssenkrupp ebenfalls wieder einmal spekuliert. Bislang ist Rheinmetall indes nicht im Marine-Geschäft aktiv. Weder die Lürßen-Firma NVL mit Sitz in Bremen noch das Rheinmetall-Management wollten sich auf Anfrage unserer Redaktion zu Spekulationen in Sachen TKMS äußern. Ob ein „Deutscher Marine-Champion“ unter Beteiligung mehrerer Unternehmen geformt werden kann, ist fraglich.
Auch ein Börsengang nach dem Vorbild der Dortmunder Thyssenkrupp-Wasserstofftochter Nucera ist Teil der Planspiele des Konzernmanagements. Thyssenkrupp-Chef López konnte den Schritt aufs Parkett von Nucera im vergangenen Jahr wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Erfolg verbuchen. Den Weg der Verselbstständigung von TKMS am Kapitalmarkt werde das Management „intensiv weiterverfolgen“, heißt es jedenfalls in einem Statement aus der Essener Konzernzentrale.
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