Dortmund. Abrechnungsskandal kostet Stadtwerke 74 Millionen. Doch die Ökostrom-Tochter kämpfte schon länger mit Problemen, die der Konzern gut kennt.
73,4 Millionen Euro Schaden durch den Abrechnungsskandal, 45 Millionen Euro Verlust bei den Stadtwerken, die übliche Gewinnabführung aus dem Energiegeschäft fällt aus: Zahlen lügen nicht, aber manche sind erklärungsbedürftig. Der Geschäftsbericht der Dortmunder Stadtwerke DSW21 für das Jahr 2023 wirft viele Fragen auf, die zwischen den Zahlen und Zeilen nicht alle beantwortet werden. Das liegt auch daran, dass die Bilanzen der Energietochter DEW21 und deren skandalträchtiger Ökotochter Stadtenergie noch gar nicht veröffentlicht wurden.
Gerade sie sollten aber Aufschluss darüber geben, was in den vergangenen Jahren schief gelaufen und wer dafür verantwortlich ist. Klar ist nach unseren Recherchen, dass die Bilanzen der Stadtenergie seit 2022 fehlerhaft waren. Zudem geht aus der vor wenigen Tagen im Bundesanzeiger veröffentlichten Stadtwerke-Bilanz deutlich hervor, dass es keinesfalls nur der Abrechnungsskandal war, der die Schieflage der Ökotochter erklärt.
Stadtenergie kämpft mit dem gleichen Problem wie DEW21
Vielmehr werden als Hauptursache für die Verluste der Stadtenergie eine Umsatzflaute und hohe Beschaffungskosten für Strom und Gas angegeben. Ursächlich für die Schieflage der Ökotochter war demnach eine offenkundig verlustträchtige Einkaufspolitik, wie sie sich auch ihre Mutter DEW21 2022 geleistet hat.
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Genau das wurde als entscheidender Grund für die fristlose Entlassung der Stadtwerke-Chefin Heike Heims angegeben. Bevor sie zur DSW-Chefin gekürt wurde, stand sie der Energietochter DEW vor, die sich unter ihrer Führung, möglicherweise aus gutem Willen, beim Einkauf verzockt hat. Es wurden auf dem Höhepunkt der Energiekrise im Spätsommer 2022 große Mengen Energie zu den damals sehr hohen Preisen teils für mehrere Jahre gekauft. Was die Energieversorgung absichern sollte, wurde zum teuren Fehler, weil kurz darauf die Preise rasant fielen und die meisten Konkurrenten sich günstiger eindecken konnten.
Nun soll aber die Ökotochter Stadtenergie, das versicherte eine DEW-Sprecherin unserer Redaktion Anfang Juli, absolut eigenständig ihre Energiebeschaffung gemanagt haben. Ist es also Zufall, dass DEW21 und Stadtenergie völlig unabhängig voneinander den gleichen großen Fehler begangen haben?
Fatale Einkaufspolitik noch nicht aufgearbeitet
Das Unternehmen verweist bei solchen Fragen auf das noch ausstehende Gutachten der Wirtschaftsprüfer zur Einkaufspolitik, das der Aufsichtsrat in Auftrag gegeben hat. Die Aufklärung steht also noch aus, und für Außenstehende damit auch die Beantwortung der Frage, mit welcher juristisch belastbaren Begründung Heike Heim letztlich fristlos entlassen wurde.
Im Konzernbericht wird bereits auf die möglichen weiteren Folgen hingewiesen: DEW21 könne im Falle weiter sinkender Energiepreise Kunden verlieren. Anbieter, die sich zu günstigen Preisen eindecken, können günstigere Verbrauchertarife an- und DEW damit unterbieten, darauf weist der DSW21-Vorstand in seinem Geschäftsbericht hin. Unterschrieben hat ihn mit Datum 2. Juli 2024 noch die gefeuerte Heike Heim, nebst Finanzchef Jörg Jacoby, der nun ihr Nachfolger ist.
Unklar bleibt in der DSW-Bilanz, welchen Anteil an den Verlusten von Stadtenergie und der ausbleibenden Gewinnabführung von DEW die hausgemachten wirtschaftlichen Probleme der beiden Energietöchter haben. Nachfragen im Unternehmen brachten dazu keine Klärung. Der DEW-Geschäftsbericht für 2023 mit Details zum Energiegehandel soll in Kürze veröffentlicht werden.
DEW21: Stadtenergie war 2022/23 überlastet und überfordert
Allerdings ließ DEW erstmals durchblicken, dass seine Ökotochter abseits des Abrechnungsskandals auch im Tagesgeschäft spätestens seit 2022 erhebliche Probleme hatte, die Energiekrise zu managen. „Unser Tochterunternehmen war – so wie alle anderen Energieversorgungsunternehmen auch – in den vergangenen Jahren von einer Vielzahl an Veränderungen und regulatorischen Vorgaben (u.a. vorübergehende Umsatzsteuersenkung, geänderte Umlagen, Energiepreisbremsen) betroffen“, erklärt DEW. Und räumt ein: „Dies hat auch bei der Stadtenergie - ein junges Start-Up-Unternehmen - zu einer deutlichen Überlastung und Überforderung der Abrechnungssysteme und Servicekapazitäten geführt.“
Das beschriebene operative Abrechnungschaos, das in der Tat auch andere Energieversorger beklagten, hat das nur zehnköpfige Team mit seinen rund 50.000 Kunden offenkundig überfordert. Dennoch glaubt der Staatsanwalt bei den überhöhten Abrechnungen der Stadtenergie nicht an ein Versehen, sondern er ermittelt wegen Betrugs. Die Wirren der Energiekrise mit ihren vielen staatlichen Eingriffen könnten demnach das geeignete Umfeld dafür gewesen sein.
Mit zu hohen Abrechnungen geschönte Stadtenergie-Bilanzen seit 2022
Für DEW und die Stadtwerke-Mutter DSW hat das Stadtenergie-Debakel enorme finanzielle Folgen. Die Geschäftsberichte der Ökotochter, deren Gründung Heike Heim als DEW-Chefin seinerzeit maßgeblich forciert hat, waren seit 2022 laut DEW fehlerhaft, weil sie die überhöhten Rechnungen als Basis hatten. Das geht aus Antworten auf unsere Nachfrage hervor, wie der Gesamtschaden von 73,4 Millionen Euro zustande kommt.
In der DEW-Bilanz von 2022 wird bisher ein Verlust der Stadtenergie von 7,3 Millionen Euro ausgewiesen. Tatsächlich muss es mehr gewesen sein. Für 2023 kommen nun die Rückzahlungen von rund 36 Millionen Euro an die betroffenen Kunden sowie 11,7 Millionen Euro Schadensübernahme für die Miteigentümerin Westenergie hinzu. Zu den 73,4 Millionen Euro fehlen aber noch einige Millionen.
Ein großer Teil davon steckt in nicht bezifferten „Ergebniskorrekturen“. Sie meinen bilanzielle Korrekturen der geschönten Stadtenergie-Bilanzen. Also die buchhalterische Rückabwicklung der überhöhten Kundenrechnungen, deren Zeitraum die Stadtwerke auf 2022/23 terminieren.
Beschaffungs-Desaster erst im Frühjahr 2024 bemerkt?
Auf unsere Fragen, wann die Schieflage der Ökotochter aufgefallen ist und klar wurde, dass DEW zusätzliches Geld benötigt, um den Schaden aufzufangen, verweisen die kommunalen Unternehmen nach wie vor auf die Gutachten und betonen, dass die Unregelmäßigkeiten erst im Frühjahr 2024 bei der Erstellung des Jahresabschlusses für 2023 aufgefallen seien.
Die laut DSW-Geschäftsbericht negativen Folgen der Einkaufspolitik, die Heim angelastet werden, waren auf dem Energiemarkt allerdings bereits zum Jahreswechsel 2022/2023 offensichtlich. Der Börsenstrompreis war seit der Spitze im September 2022 um rund 80 Prozent eingebrochen. Der Preis am Gas-Großmarkt war von rund 300 auf rund 60 Euro gesunken.
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