Arnsberg. IHK: Unternehmen am Hellweg und im Hochsauerland beklagen Produktivitätsausfälle durch gestiegene Krankenstände. Was das Problem ist.
Die Krankenstände in Unternehmen und Institutionen haben im vergangenen Jahr Höchststände erreicht. Betriebe am Hellweg und im Hochsauerland im Bezirk der Industrie- und Handelskammer Arnsberg klagen sogar über einen noch höheren Krankenstand als im Bundesschnitt.
Im vergangenen Jahr seien in der Region umgerechnet mehr als 21 Tage pro Beschäftigter durch Krankmeldungen verloren gegangen. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen qualitativen Befragung, an der 114 Mitgliedsunternehmen im Kammerbezirk teilgenommen haben. Von 2019 bis 2023 habe es eine aus Sicht der Wirtschaft negative Entwicklung gegeben. Der prozentuale Verlust an Arbeitszeit sei von 6,5 auf 9,6 Prozent gestiegen. Dies sei auch ein Grund für eine geringere Wertschöpfung in der ohnehin trüben Konjunkturlage. IHK-Präsident Andreas Knappstein beobachtet dabei zwei Entwicklungen, die ihm Sorge bereiten beziehungsweise gehörig stören: „Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn heute jemand krankgeschrieben wird, dann wird er lange krankgeschrieben.“
DAK sieht weiteren Anstieg der psychischen Erkrankungen
Welche Gründe es dafür gibt, bleibt in Teilen spekulativ. Die Zahl der psychischen Erkrankungen mit langen Ausfällen habe aber laut der Krankenkasse DAK weiter deutlich zugenommen. „Der Arbeitsausfall wegen Depressionen, Belastungsreaktionen und Ängsten hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht“, heißt es im DAK-Psychreport 2024. Über alle Berufsgruppen hinweg lag laut DAK das Niveau um 52 Prozent über dem von vor zehn Jahren.
AOK Nordwest meldet historische Höchtsstände bei Krankmeldungen
Auch die AOK Nordwest bestätigt hohe Krankenstände. Insgesamt fehlten die bei der AOK versicherten Erwerbstätigen 2023 durchschnittlich an 26,2 Tagen im Job. „Der Krankenstand liegt damit weiterhin auf dem historischen Höchststand.“ AOK-Nordwest-Chef Tom Ackermann nennt vor allem Erkältungswellen im Frühjahr und Spät-Herbst mit tausenden zusätzlichen Atemwegserkrankungen als Gründe für gestiegene Fehlzeiten.
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Kritik an Krankmeldung per Telefon
Psychische Erschöpfung durch Krisen wie Corona, Krieg und finanzielle Verunsicherung durch hohe Inflation hält IHK-Präsident Knappstein nicht für ausgeschlossen. Eine Rückmeldung an ihn aus der Wirtschaft betrifft Unterschiede in den Altersgruppen: „Die Bereitschaft, sich krankschreiben zu lassen, ist nach Angaben vieler Unternehmen bei jüngeren Beschäftigten größer als bei älteren.“
Konkrete Folgen der hohen Krankenstände sei, dass Unternehmen Lieferzeiten nicht mehr einhalten könnten, Öffnungszeiten kürzen und letztlich auch Rückerstattungen an Kunden leisten müssten, zählt Jörg Nolte, Hauptgeschäftsführer der IHK Arnsberg auf. Dass sich in einer ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage Beschäftigte nun auch einfach per Telefon krankmelden könnten, werde von Unternehmensseite kritisiert: „57 Prozent der Unternehmen sagen, dass die telefonische Krankschreibung Einfluss auf höhere Krankenstände hat“, zitiert Nolte aus der qualitativen Befragung, in der die Antwortenden sich frei äußern konnten, also nicht allein mit ja, nein, weiß nicht oder vielleicht rückgemeldet haben. Allerdings, so der Hauptgeschäftsführer, habe die Kammer explizit nach dem Thema gefragt.
Die Industrie- und Handelskammer hat in den vergangenen Wochen eine neue Konjunkturabfrage gestartet, um ein aktuelles Bild zu bekommen, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Die Lage sei allerdings unverändert trüb, erklärt Kammerpräsident Andreas Knappstein. Aus Sicht der Kammer überraschend positiv waren die Rückmeldungen aus der Bauwirtschaft. Hier scheint sich Erholung anzudeuten.
Beschäftigte steigen aus Niedriglohnsektor auf Bürgergeld um
Höchstes Risiko am Standort Deutschland sind laut Umfrageergebnis nicht mehr die Energiekosten, sondern die Binnennachfrage und die hohen Arbeitskosten. Gleichzeitig sei es für Beschäftigte im Niedriglohnsektor finanziell häufig so unattraktiv zu arbeiten, dass Unternehmen auch hier Arbeitskräfte verloren gingen. Die Kritik zielt auf den Lohnabstand zwischen Bürgergeld und Einstiegslöhnen. „Der Abstand zwischen Entgelt im Niedriglohnsektor und dem Bürgergeld ist zu gering. Das spiegeln uns Unternehmen wider. Wir kurbeln damit illegale Arbeit an. Eine Erhöhung der Steuerfreibeträge analog zum Wachstum von Bürgergeld und Mindestlohn ist aus meiner Sicht der schlüssigste und einfachste Weg, um Arbeit im Niedriglohnsektor wieder lukrativ zu gestalten“, schlägt IHK-Hauptgeschäftsführer Jörg Nolte vor.