Berghausen. Interessant ist, wen das Insolvenzverfahren betrifft, was Gewerkschaft und Rechtsanwalt sagen. Bis 29. Februar sind Löhne gesichert.
Für die Zukunft der Arbeitsplätze in Deutschland sind die nächsten acht Wochen entscheidend. Der traditionsreiche Automobilzulieferer SCS Deutschland GmbH & Co. KG, der besser unter dem alten Namen Stahlschmidt bekannt ist, musste wenige Tage von Weihnachten für viele überraschend Insolvenz anmelden. Die Zukunft des Unternehmens und der 96 Arbeitsplätze am Stammsitz in Berghausen ist in Gefahr. Das Insolvenzverfahren schützt die Ansprüche der Gläubiger, nicht zwingend auch das in Schieflage geratene Unternehmen oder die Arbeitsplätze. Betroffen sind aktuell übrigens nur die Arbeitsplätze in Deutschland.
Auslandstandorte in Polen, Kanada, China und vor allem der in Marokko sind von dem Insolvenzverfahren nicht betroffen. Das bestätigte der vorläufige Insolvenzverwalter Jens Lieser auf Nachfrage der Redaktion. Dieser Fakt wird später auch für die Chancen auf eine Restrukturierung wichtig.
„Das Ziel eines Insolvenzverfahrens ist, eine Liquidation zu vermeiden und ein Unternehmen zu erhalten und fortzuführen. Das liegt auch im Interesse der Gläubiger“, sagt Pietro Nuvoloni von der dictum media GmbH aus Köln, die die Presseanfragen des Insolvenzverwalters Jens Lieser bearbeitet. Lieser selbst hatte in einer Pressemitteilung im Dezember verkündet: „Unser Ziel ist es, SCS angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen am Markt stabil und robust aufzustellen. Denn das ist auch die Basis, um möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten.“ Eine positive wirtschaftliche Perspektive schützt langfristig die Ansprüche der Gläubiger, heißt das aber auch.
Ein Rückblick auf krisenreiche Jahre bei SCS Stahlschmidt
Viel Zeit bleibt dafür nicht: Bis das Regel-Insolvenzverfahren auch offiziell eröffnet wird, hat der vom Amtsgericht Siegen bestellte, vorläufige Insolvenzverwalter Jens Lieser Zeit, sich mit seinem Team ein Bild von der Lage im Unternehmen zu machen und einen Plan für eine Sanierung zu erarbeiten. Mit im Boot ist so lange auch die aktuelle Geschäftsführung um Friedemann Faerber.
Insolvenzgeld
Ein wesentlicher Punkt ist dabei, dass die Personalkosten für mehrere Wochen, maximal drei Monate, durch das Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit abgedeckt werden können. Das verschaffe Luft für die Unternehmenssanierung, weil die Personalkosten ein wesentlicher Faktor seien. Im Falle von SCS läuft das Insolvenzgeld bis Ende Februar. Löhne und Gehälter werden über eine Bank zwischenfinanziert, da das Insolvenzgeld grundsätzlich erst bei der Eröffnung des Verfahrens gezahlt wird, so Pietro Nuvoloni im Gespräch mit dieser Zeitung.
SCS: Neun Jahre im Krisenmodus
Dezember 2023: Insolvenzverfahren über die SCS Cable Systems GmbH eröffnet.
Februar 2023: Die Lafayette Mittelstand Capital, ein Luxemburger Investmentfonds, übernimmt SCS von der Möhrle Gruppe.
Januar 2022: Ein neuer Produktionsstandort in Tanger/Marokko wird aufgebaut, die Werke in Polen und Ungarn schließen.
Januar 2022: Geschäftsführer Friedemann Faerber kündigt einen Arbeitsplatzabbau am Stammwerk Berghausen von 110 auf 85 Mitarbeiter an.
Januar 2018: Friedmann Faerber wird neuer Geschäftsführer und ersetzt Kai Uwe-Wollenhaupt. Dessen Umbau des Unternehmens hatte zu massiven Konflikten mit Gewerkschaft und Belegschaft geführt. Faerber startet nun ebenfalls einen Restrukturierungsprozess. Dabei verlor ein Drittel der 180 Mitarbeiter ihren Job.
September 2017: Stahlschmidt Cable Systems hat am Standort Berghausen etwa 190 Beschäftigte. Weltweit zählt der Hersteller von Bowdenzug-Systemen und Kunststoff-Komponenten für die Autoindustrie 1200 Mitarbeiter. SCS hat Werke in Deutschland, Polen, Ungarn, China und Kanada.
Februar 2017: Die Belegschaft macht sich Sorgen um die Jobs. Kai-Uwe Wollenhaupt kündigt Entlassungen an und verhandelt über einen Standortsicherungs-Tarifvertrag.
September 2016: SCS entlässt einen leitenden Mitarbeiter und macht mit einem Arbeitsgerichtsprozess negative Schlagzeilen.
Juli 2016: Führungswechsel: Reinhold Klein muss gehen und Kai-Uwe Wollenhaupt übernimmt.
September 2015: SCS investiert in Ausbildung und einen an die IG-Metall-Tarife angeglichenes Lohnniveau.
August 2015: Geschäftsführer Reinhold Klein fädelt einen Deal ein: Die Hamburger Peter Möhrle Holding übernimmt das seit 2009 kriselnde Familienunternehmen mit 1000 Beschäftigten an mehreren Standorten. Die Familie Stahlschmidt gibt alle Geschäftsanteile ab.
1924: Das Unternehmen Stahlschmidt wird gegründet.
Der laut Nuvoloni sehr erfahrene Insolvenzverwalter Jens Lieser, der unter anderem auch den Nürburgring vor der Pleite gerettet habe, werde aber auch zahlreiche andere Punkte unter die Lupe nehmen. Neben Personalkosten sind dies Rohstoffkosten, Energiepreise und vieles mehr. Das Regelinsolvenzverfahren eröffnet die Möglichkeit, im Grunde alle Verträge auf den Prüfstand zu stellen und – sofern erforderlich für die Sanierung - auch von Sonderkündigungsrechten Gebrauch zu machen.
Sofern durch die Kosteneinsparungen durch die Verlagerung der Produktion von Polen nach Marokko die Ausgaben- und Einnahmeseite wieder in ein Gleichgewicht kämen, würde weiteres Kapital eventuell nicht erforderlich werden.
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Für die Arbeitnehmer bei SCS heißt das wieder: warten und hoffen. „Wir sind mit dem Betriebsrat im Gespräch und beraten“, sagt der 1. Bevollmächtigte der Siegener IG-Metall. Andree Jorgella begleitet die Entwicklung bei Stahlschmidt bereits seit 2007. Immer wieder hatte die Gewerkschaft mit am Tisch gesessen, um Sanierungspläne zu diskutieren, Standortsicherungstarifverträge zu verhandeln. „Wir werden diese Entwicklung genau im Auge behalten, aber das Vertrauen ist weg“, sagt Jorgella. Wenige Tage vor dem Bekanntwerden der Insolvenz hatten Gewerkschaft, SCS-Geschäftsführung und Arbeitgeberverband noch am Tisch gesessen und über einen neuen Sanierungstarifvertrag gesprochen. „Der war fertig verhandelt“, sagt Jorgella. Dann aber hatte die SCS-Geschäftsführung überraschend gebeten, die Gespräche zu vertagen. Anschließend wurde auch die IG Metall von der Entwicklung überrascht. Aber die Situation hat auch ein Gutes: „Das Unternehmen ist tarifgebunden. Wir setzten uns dafür ein, dass sich Weihnachtsgeld und die 1500 Euro Inflationsausgleich auch im Insolvenzgeld wiederfinden“, bekräftigt Andree Jorgella.
Die IG Metall schaut kritisch auf das Konzept
Mit Blick auf das Insolvenzverfahren und einen möglichen Sanierungsplan sagt Jorgella klar: „Das Konzept muss stimmen, damit wir zustimmen.“ Der Gewerkschaftssekretär verweist darauf, dass der Betriebsrat und die Mitglieder in der Belegschaft demokratisch und geheim über Verhandlungsergebnisse abstimmen. Es könne also auch sein, dass die Beschäftigten „Nein“ sagen, weil sie in der Vergangenheit zu viel schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Ein besonderes Augenmerk gilt bei der Gewerkschaft auch der Eigentümerstruktur. Mit der luxemburgischen Fondsgesellschaft Lafayette Capital hatte erst im Februar 2023 ein neuer Investor das Unternehmen von der Hamburger Peter Möhrle-Holding übernommen. Zehn Monate später folgt dann das Insolvenzverfahren, obwohl noch im Juli Geschäftsführer Friedemann Faerber eine positive Entwicklung durch die Verlagerung der Fertigung nach Tanger in Marokko sah.
Jetzt kommt es auf die nächsten Wochen an, in denen der vorläufige Insolvenzverwalter Jens Lieser einen Weg finden muss, wie man die Gläubiger befriedigen und das Unternehmen retten kann.