Wittgenstein. Die Politik pocht auf einen schnellen Ausbau von Biogas-Anlagen. Doch die Landwirte in Wittgenstein haben aktuell andere Sorgen. Geld ist knapp.
Über kaum ein Thema wird aktuell mehr diskutiert: Die Energieversorgung in Deutschland könnte bald knapp werden. Aber wie können wir unabhängiger werden und welche Alternativen gibt es? Großes Potenzial sieht die Politik momentan in dem Ausbau von Biogas-Anlagen. In Wittgenstein gibt es aber bis jetzt noch keine einzige dieser Anlagen. Die Gründe dafür sind vielfältig, denn: Die Rohstoffe fehlen.
Der ehemalige Kreislandwirt und Milchbauer, Lothar Menn aus Erndtebrück, befürwortet den Ausbau von Biogas-Anlagen. „Zur Stromerzeugung oder direkten Gaseinspeisung ist das Biogas eine sinnvolle, umweltfreundliche Innovation, bei der ein natürliches Abfallprodukt zu Energie umgewandelt wird.“ Allerdings müssten die Rahmenbedienungen für die Landwirte angepasst werden. „Wenn auch kleine Landwirte bei der Einrichtung mehr unterstützt würden, wäre das ein echter Zugewinn für die regionale Stromerzeugung.“
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Die Vorzüge liegen für Menn auf der Hand: „Erstens kostet die Biomasse in der Regel nichts. Zum anderen ist sie immer verfügbar.“ Biogas-Anlagen könnten immer laufen und seien anders als die Wind- oder Solarkraft nicht abhängig vom Wetter. Ein weiterer Vorteil: Die aufbereitete Gülle riecht nicht mehr so streng. Beim Düngen der Felder ist die Geruchsbelastung so deutlich geringer. „Der aufbereitete Dünger ist aber auch besser für das Wachstum der Saat. Durch die Aufspaltung des enthaltenen Stickstoffs können die Pflanzen diesen besser und schneller aufnehmen“, erklärt Menn.
Biogas in Wittgenstein: Die Perspektive von Biogas
„Wir werden jetzt nicht das komplette Gas aus Russland mit Biogas ersetzen können, aber im Moment zählt jedes Kilowatt“, erklärt der Fachverband Biogas e.V. Die Produktion könnte kurzfristig um etwa 20 Prozent erhöht werden, wenn sich die Genehmigungsauflagen ändern. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes e.V., betont: „Bioenergie ist ein wichtiger Bestandteil beim Kampf gegen den Klimawandel.“
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Auch der Landwirtschaftliche Kreisverband Siegen-Wittgenstein beschäftigt sich mit Biogas-Anlagen als mögliche weitere Einnahmequelle für die Landwirtschaft. Geschäftsführer Georg Jung ist zwar überzeugt, dass Biogas auch in Wittgenstein zukünftig wichtig werden könnte, um regional Strom zu erzeugen. Er glaubt aber, dass die Landwirte aktuell ganz andere Sorgen haben und daher vorerst nicht das Risiko einer großen Investition eingehen wollen. Der Ukraine-Krieg und die damit einhergehende Inflation mache der Landwirtschaft momentan sehr zu schaffen (wir berichteten).
Biogas in Wittgenstein: Die Probleme und Sorgen der regionale Landwirte
„Sei es der Diesel, das Kraftfutter, das Saatgut, der Dünger, die Verpackungen oder der Transport. Bei allem, was man braucht, um seinen Hof am Laufen zu halten, haben wir momentan massiv Kostensteigerungen und die dringend benötigen Materialien sind durch die gestörten Lieferketten nach wie vor kaum lieferbar.“ Menn bestätigt: „Unsere Branche befindet sich gerade in einer schwierigen Lage. Tendenziell werden sich die Landwirte zurzeit sehr gut überlegen, ob sie investieren.“ Die Investition für eine Anlage betrage mindestens eine mittlere sechsstellige Summe. Je nach Standortvoraussetzungen könne der Betrag aber auch deutlich höher ausfallen, so die Landwirtschaftskammer NRW. Die staatliche Förderung sei immer mehr zurückgefahren worden, berichtet Menn.
„Eine Förderung für die Errichtung gibt es aktuell nicht mehr“, erklärt die Landwirtschaftskammer. Aktuell werden nur Anlagen ab einer Leistung von 70 KW staatlich gefördert. Für den Betrieb einer Anlage in dieser Größenordnung brauche es aber knapp 300 Kühe. „Das ist bei uns hier in Wittgenstein nur sehr schwierig umzusetzen, weil es hier kaum Höfe gibt, die genügend Kühe haben, um solch eine Anlage betreiben zu können. Deshalb gibt es bei uns bis jetzt auch keine einzige Biogas-Anlage“, erzählt Menn.
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„Wenn man nur wenig Tiere zur Verfügung hat, müssen die Landwirte für die geförderten Anlagen immer Mais oder andere Futtermittel der Masse hinzufügen, damit die volle Leistung ausgeschöpft werden kann.“ Biogas-Anlagen werden in Wittgenstein daher immer ein Zuschussgeschäft bleiben, das nur für die Aufbereitung von Gülle oder Speiseresten interessant sei, weil die lokale Landwirtschaft nicht über große Anbaukapazitäten verfügt. Futtermittel werde im Altkreis aber ausschließlich als Nahrung für die Tiere angebaut. Da bleibe dann nichts mehr übrig zum Aufbereiten.
Biogas in Wittgenstein: Die Beschaffung der Biomasse problematisch
Die wenigen Betriebe in Wittgenstein, die über die entsprechende Menge Flüssigdünger verfügen, könnten momentan wegen der anhaltenden Dürre ohnehin keine zusätzlichen Futtermittel bereitstellen. Die kriegs- und klimabedingten Unsicherheiten hemmen aktuell das Wachstum der regionalen Betriebe. „Die sind momentan sehr vorsichtig, was weitere Wachstumsschritte angeht, da ihre Lebensgrundlage gefährdet ist“, weiß Jung. Die Bereitschaft der Landwirte, das Risiko einer hohen Investition einzugehen, sei deshalb eher gering.
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Diese Haltung könnte sich aber ändern, wenn es mehr Anreize gebe. Menn ist überzeugt, dass wenn die Politik die Förderung auf kleine Anlagen ausweiten würde, Biogas-Anlagen auch für kleinere Betreiber attraktiver werden. „Davon könnten dann auch die Betriebe in Wittgenstein profitieren und so zum Energiewandel betragen.“
Vor einigen Jahren sei der Ausbau noch im großen Stil gefördert worden: „Da hieß es noch, die Bauern sind die Öl-Scheichs von morgen“, sagt Menn. Aber nach der Anfangs-Euphorie habe man festgestellt, dass diese Anlagen gefüttert werden müssen. „Diskutiert wird schon immer die Frage nach der Herkunft der Biomasse. Heute stehen Reststoffe deutlich mehr im Fokus als speziell für die Energieerzeugung angebaute Biomasse“, so die Landwirtschaftskammer.
Biogas in Wittgenstein: Die Zugabe von Futtermitteln löst Kontroverse aus
Auch Menn sieht die Zugabe von Futtermitteln kritisch: „Um die sowieso vorhanden Gülle zu veredeln, wären solche Anlagen auch in Wittgenstein vorstellbar, denn da haben wir die Energie drin und können nachhaltiger agieren.“ Die landwirtschaftliche Fläche müsse primär für die Ernährung der Menschen oder Tiere genutzt werden. Landwirte seien hauptsächlich Nahrungsversorger und die Energieerzeugung sollte immer nur eine Nebentätigkeit bleiben. „Was hilft uns das, wenn wir eine warme Wohnung haben, aber der Kühlschrank leer ist“, mahnt Menn.
Der Fachverband vertritt eine andere Meinung und macht darauf aufmerksam, dass es Deutschland genug Ackerflächen gebe, um sowohl die Bevölkerung zu ernähren aber auch Pflanzen zur Energiegewinnung anzubauen. Der Anbau biete den Landwirten andere Nutzungsoptionen für ihre Flächen. Der Verband stellt fest: „Mais erzeugt sehr viel Gas und erweitert die Fruchtreihenfolge. Nur über Abfallprodukte werden wir die Summe an Energie, die wir brauchen, nicht erreichen.“
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Mais sei der energiereichste Zusatz, durch dessen Zugabe die Landwirte am meisten Geld verdienen können. In Wittgenstein bestehe knapp 60 Prozent der Gesamtfläche aber aus Wald. „Das ist ein Standortmerkmal und deshalb ist die Gegend nicht für diese Art der Energieerzeugung prädestiniert“, sagt Jung. Von der landwirtschaftlichen Fläche werden nur sechs Prozent für den Ackerbau genutzt.“ Viele Landwirte besitzen große Grünflächen, bewirtschaften diese aber nicht. Aus den reinen Gräsern könne nicht viel an Energie herausgeholt werden.
Biogas in Wittgenstein: Die Region ist nicht geeignet
„Eventuell lohnt es sich in einzelnen Fällen, diese Möglichkeit überprüfen zu lassen. Aber niemand wird anfangen, in Wittgenstein Mais für den Betrieb von Biogas-Anlage anzubauen, weil er das Futtermittel für seine Nutztiere benötigt“, betont Jung. Die hohe Investition stehe für die Landwirte in keinem Verhältnis zum späteren Ertrag. Der Kreisverband sieht für die grüne Stromerzeugung regional mehr Potenzial in dem Ausbau von Wind- oder Solarkraft. Die Förderungen sollen weiter ausgebaut und die Genehmigungsverfahren schneller werden. „Vielleicht trauen sich dann mehr Landwirte da dran, um weitere Gewinne zu generieren“, hofft Jung.
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Für Menn könnten Biogas-Anlagen einen wichtigen Teil zur Energiewende auf dem Land betragen, wenn der Strom für das eigene Haus bei dem Landwirt nebenan produziert würde. Er geht davon aus, dass mit Förderungen für kleinere Anlagen, viele Betreibe ernsthaft über die Einrichtung nachdenken würden und schließt sich selber dabei nicht aus. „Wir denken immer drüber nach, wie wir Geld verdienen können. Aber es muss sich für uns mit den Investitionen hinterher auch irgendwie rechnen.
Biogas in Wittgenstein: Der Strom entsteht durch Zersetzung
Zur Stromerzeugung wird die Biomasse in einen Fermenter gegeben, dort entsteht durch den natürlichen Zersetzungsprozess Gas, welches aufgefangen wird. Dieses Gas treibt den Motor eines Generators an und so wird es in Strom umgewandelt. Der wird dann von den Landwirten ins Stromnetz eingespeist. Dafür bekommen die Landwirte eine entsprechende Vergütung von dem Netzbetreiber, der der Abnehmer ist. Als Nebenprodukt wird während des Prozess automatisch Wärme produziert.
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„Das ist eine simple Sache, mit der man viel Energie gewinnen kann, aber um auf eine Anlagengröße zu kommen, die gefördert wird, braucht es eine gewisse Menge an Nutztieren. Das können nur große Betriebe mit vielen Tieren leisten“, erklärt Menn. Es gibt verschiedene Größenordnungen für Biogas-Anlagen: je mehr Kubikmeter, desto mehr Gas kann erzeugt und entsprechend viel Strom produziert werden. Ein erklärtes Nachhaltigkeitsziel der regionalen Landwirtschaft ist es, den Stickstoffausstoß zu reduzieren, berichtet Jung. „Mit den Anlagen können Ammoniak und andere umweltschädliche Stoffe in stabilere Stickstoff-Formen umgewandelt werden.“
Biogas in Wittgenstein: Die Zukunft gemeinsam gestalten
Die Anlagen benötigen oft mehr Biomasse als ein einzelner Betrieb zur Verfügung stellen kann. Dafür können nach der Landwirtschaftskammer Gemeinschaftsprojekte eine denkbare Lösung sein. „Aber die regionalen Betriebe in Wittgenstein liegen meist weit entfernt voneinander mit dem Wald, den Tälern und Bergen dazwischen in kleinen Orten“, gibt Jung zu bedenken. „Die Betriebsdichte mit intensiver Gülleproduktion ist hier so gering, dass das auch in Zukunft ein schwieriges Unterfangen wird.“ Denn unter 300 Kühen mache das Bewirtschaften einer Anlage keinen Sinn. Im Raum Erndtebrück befinden sich einige Betriebe in unmittelbarer Nähe zueinander, dort wäre ein Zusammenschluss zukünftig denkbar.
Menn habe auch schon darüber nachgedacht, zusammen mit anderen Landwirten aus Wittgenstein eine geförderte Anlage zu errichten. Das habe sich aber damals schon nicht gerechnet. Vielen Landwirten mache der anhaltende Strukturwandel zu schaffen. „Wenn ich daran denke, mit welchen Bauern wir damals darüber diskutiert haben und wie viele es davon schon gar nicht mehr gibt, dann ist selbst so eine Gemeinschaftsinvestition schon ein echtes Wagnis in unserer Branche“, sagt Menn.
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Für die Landwirte würden sich eine Biogas-Anlage gerade im Hinblick auf den kommenden Winter noch mehr rechnen, wenn diese zusätzlich zur Stromgewinnung die Haushalte mit Wärme versorgen könnten. Denn während des Prozesses wird auch immer Wärme freigesetzt, die genutzt werden kann. „Dann würden die Anlagen optimal genutzt und noch mehr Gewinn abwerfen“, so Menn.
Biogas: Komplizierte Auflagen
Seit 2014 nimmt die Anzahl der Biogas-Anlagen nur noch geringfügig zu, die installierte Leistung steigt dagegen kontinuierlich an. Biogas-Anlagen können ihr Gas über gewisse Zeiträume speichern und dann bedarfsgerecht verstromen. Damit kommt Biogas-Anlagen eine stabilisierende Funktion im Stromnetz zu, erklärt die Landwirtschaftskammer.
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Die Rahmenbedingen für interessierte Landwirte hätten sich immer weiter verschlechtert. Auch die Verfahren seien immer komplizierter und Genehmigungsauflagen immer strenger geworden. „Das macht es noch unattraktiver zu investieren“, berichtet der Fachverband Biogas. Das sei ein Widerspruch in sich, die Politik möchte den Ausbau so schnell wie möglich vorantreiben, legt aber den Landwirten, die darüber nachdenken, Steine in den Weg.
Biogas: Verschiedene Anlagen-Typen
In eine Biogas-Anlage müsse auch nicht zwingend Gülle hinzugefügt werden. Womit eine Anlage betrieben wird, sei ganz standortabhängig. „Es gibt viele Betriebe, die gar keine Tiere mehr halten und die müssen sich andere Alternativen suchen, wenn sie eine Biogas-Anlage einrichten möchten“, so der Fachverband. „Man kann aus ganz verschiedenen Pflanzen Biogas erzeugen, so können auch bunte Blumenwiesen in den Anlagen aufbereitet werden.“
Im Siegener Raum gebe es einen Landwirt, der sein Biogas beispielsweise mit Speiseresten von abgelaufenen Lebensmitteln erzeugt. In Littfeld wiederum betreibt ein Landwirt seine Anlage ausschließlich mit Rindergülle. „So würden wir uns das eigentlich für das gesamte Kreisgebiet wünschen“, sagt der Geschäftsführer des Landwirtschaftlichen Kreisverbands Siegen-Wittgenstein. Für viele Landwirte sei Biogas ein überlebenswichtiges Standbein geworden, die sich alleine mit der Landwirtschaft gar nicht hätten halten können. Was die Landwirte aber nun bräuchten, wäre vor allem mehr Planungssicherheit.
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„Die Politik muss jetzt signalisieren, dass sie die Betriebe auch langfristig bei dem Ausbau unterstützt“, betont der Fachverband. Denn das Risiko einer solch hohen Investition gehe ein Landwirt nur ein, wenn er weiß, dass sich das die nächsten Jahre rechnet. „Es bräuchte klare Rahmenbedingungen, an denen man sich orientieren kann. Auflagen und Verfahren müsste einfacher umgesetzt werden können. Bei den Anträgen blickt kaum noch jemand durch und schon gar kein Landwirt, der das alles noch neben seiner eigentlichen Arbeit regeln muss.“
Biogas: Die Beratungen zur Förderung in Wittgenstein
Die Politik drängt aktuell auf schnelle grüne Alternativen zur Energiegewinnung. Dabei gilt; je regionaler, desto besser – aber, dass sie nun ein großes Förderprogramm für den Ausbau plane, damit die Investition für Landwirte attraktiver wird, sei dem Kreisverband nicht bekannt.
Über aktuelle Förderprogramme könnten sich interessierte Landwirte bei der Landwirtschaftskammer umfänglich beraten lassen. Bei der Beratung zentral, sei die Frage danach, welche Förderung individuell für den jeweiligen Hof in Frage kommen könnte. Die Beratungsstelle hilft auch bei Fragen zu den Anträgen weiter.