Netphen. Deutlich geringer als von der Verwaltung vorgeschlagen fällt die Erhöhung der Grundsteuer in Netphen aus. Dafür wird das Defizit im Haushalt höher.
Nicht 5,3, sondern 6,2 Millionen Euro beträgt das Defizit im Netphener Haushalt dieses Jahres. Das ist das Ergebnis der Haushaltsberatungen im Rat. Die Grundsteuer wird von 535 nicht auf 785, sondern „nur“ auf 670 Prozent erhöht. Der Hebesatz für die Gewerbesteuer steigt, anders als von der Verwaltung vorgeschlagen, nicht von 475 auf 495, sondern auf 500 Prozent. Beschlossen wurde der Etat mit 22 Stimmen von SPD, UWG, Grünen und FDP gegen 12 Stimmen der CDU. Nach nur gut zwei Stunden war der Rat durch. „Dankeschön für die angenehme Beratung“, sagte Bürgermeister Paul Wagener am Schluss der Debatte, die einige Debüts hatte: den ersten Haushalt des neuen Kämmerers Christian Walde, die ersten Haushaltsreden der neuen Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPPD,
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Eigentlich waren sich alle einig: Die vielen Investitionen sind nötig. Die Steuern müssen noch stärker steigen, als aktuell von der Verwaltung vorgeschlagen. Aber nicht jetzt. Während Lothar Kämpfer (SPD) „feiner justieren“ wollte, womit er eine weitere Steuererhöhung im nächsten Jahr meinte, sagte Alexandra Wunderlich (CDU) zuerst einmal Nein: „Wir wissen doch gar nicht, wie tief das Loch ist.“ Die von mehreren Fraktionen verlangten Auflistungen über städtische Immobilien und über Einsparmöglichkeiten kommen. „Sie sprechen mir aus dem Herzen“, sagte Beigeordneter Andreas Fresen: „Wir haben viel Gebäude.“ Über 150, die unterhalten, bewirtschaftet und verwaltet werden. „Abreißen oder verkaufen“, riet der Beigeordnete.
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Thema: Schulen
Neben der Sanierung des Freizeitbades spielten die Schulbauten eine größere Rolle in der Debatte. CDU-Fraktionschefin Alexandra Wunderlich wies auf die anstehende Entscheidung über die Grundschule Netphen hin. Bei einem Neubau biete sich „ein Synergieffekt in Bezug auf eine neue Veranstaltungshalle“ an. Wo die stehen soll, sagte Alexandra Wunderlich nicht. Jedenfalls nicht am „nicht passenden“ Standort der Georg-Heimann-Halle, die aus Sicht der CDU in Zukunft keine Rolle mehr spielt: „Das bedeutet, dass beim Gymnasium entweder eine weitere kleine Sporthalle oder eine Erweiterung der bestehenden Sporthalle notwendig ist.“
Silvia Glomski (Grüne) sprach sich für den Neubau einer Grundschule aus, ohne einen Standort zu nennen. So könne eine weitere „Containerschule“ vermieden werden, die während einer (An-)Bauzeit in Niedernetphen erforderlich würde. Aktuell werden bereits zwei Jahrgänge des Gymnasiums in Containern unterrichtet, ein ähnliches Bauzeit-Provisorium steht auch der Grundschule Dreis-Tiefenbach hervor. Sie erinnerte an das Schulbau-Konzept, in dem vier Fraktionen 2021 vorgeschlagen hatten, die Sekundarschule neben dem Gymnasium neu zu bauen und die Grundschule in die Gebäude der Sekundarschule ziehen zu lassen. „Inzwischen wissen wir, dass wir um diese Summe nicht herumkommen, vermutlich wird es noch teurer.“
Die Debatte
Bürgermeister Paul Wagener führte in die „neue Wirklichkeit“ ein: Eine Reihe von Städten und Gemeinden habe jetzt schon Hebesätze für die Grundsteuer von über 1000 Prozent. Besonders Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern werden im nächsten Jahr besonders belastet, weil nach der Grundsteuerreform ihre Immobilien durchweg höher bewertet wurden. Ob das Land noch einmal an den Messzahlen dreht, die nach den Grundsteuererklärungen von den Finanzämtern festgesetzt wurden, ist offen. Gesplittete Hebesätze für Wohn- und Gewerbeimmobilien hält Paul Wagener nicht für möglich: „Dann könnten wir gleich eine ganze Armada von Verwaltungsjuristen einstellen.“
Wagener warnte davor, einen drohenden Absturz in Haushaltssicherung und Nothaushalt zu leicht zu nehmen. Wegen der Begrenzung des Zuschusses für den Freizeitpark sei die städtische Betreibergesellschaft FON „auf die Felge gefahren“, sagte Wagener, „das Ergebnis sehen wir heute.“ Der Rat müsse einen genehmigungsfähigen Haushalt beschließen, damit Projekte umgesetzt und Bürgerdienste weiter ermöglicht werden können. „Wenn wir weiterhin eine bürgernahe und bürgerfreundliche Kommune bleiben wollen, sollte es vor allem unser Ziel sein, einen Stillstand zu vermeiden.“
Alexandra Wunderlich (CDU) stellte fest, dass in Netphen „viel zu viel liegen geblieben“ sei. Die Folge sei ein Investitionsstau, der im Freizeitbad mit über sieben Millionen Euro „unglaublich“ sei. Dafür sei allein der Bürgermeister verantwortlich, „er wollte alles allein entscheiden, hat sich jahrelang sogar gegen einen Beigeordneten gewehrt.“ Der Rat habe „keine Chance“ gehabt, weil ihm die erforderlichen Informationen fehlten - was Kämmerer Christiane Walde bestritt: Aktuelle und aus Vorjahren übertragene Investitionslisten lägen mit dem Haushaltsplan vor, „so ganz im Dunkeln tappen Öffentlichkeit und Politik nicht.“
Lothar Kämpfer (SPD) warf der Verwaltung „Passivität“ bei der Erarbeitung von Einsparvorschlägen vor. „Man kann schon aus Respekt gegenüber der Bürgerschaft nicht nur massiv auf der Einnahmenseite am Rad drehen, sondern muss dann bei der Ausgabenseite ebenfalls Vorschläge einbringen.“ Der Verzicht auf Investitionen, die in diesem Jahr zu einer Neuverschuldung von 14,4 Millionen Euro führen, sei keine Alternative. „Wir möchten Netphen entwickeln und nicht abwickeln.“ Die Stadt könne höhere Gewerbesteuereinnahmen erzielen, wenn das Gewerbegebiet Im Bruch in Dreis-Tiefenbach erschlossen wäre. Die städtische Wirtschaftsförderung habe „viel zu lange am Boden“ gelegen. Spielraum hätte der Kämmerer gehabt, wenn er den für 2023 erwarteten Überschuss von rund 650.000 Euro einbezogen hätte und eine „globale Minderausgabe“ von zwei Prozent und nicht nur einem Prozent der Ausgaben eingeplant hätte. „Die hätte ich einplanen können“, erwiderte Kämmerer Christian Walde, aber diese Summe von 1,2 Millionen Euro zusätzlich einzusparen, „das wäre aber total unrealistisch.“ Der SPD-Antrag: 660 Prozent Grundsteuer, 500 Prozent Gewerbesteuer.
Klaus-Peter Wilhelm (UWG) bekannte sich zu Problemen, die Argumentation von CDU und SPD nachzuvollziehen. „Ich weiß nicht, was ihr wollt“, sagte er in Richtung SPD, „das hat mit gesundem Menschenverstand nichts zu tun“, beschied er die CDU. Beide Fraktionen stimmten den Investitionen zu, wollten aber Steuererhöhungen oder sogar den kompletten Haushalt ablehnen. „Wenn wir nicht in den Nothaushalt rutschen wollen sind wir gezwungen eine Steuererhöhung vorzunehmen“ ,sagte Wilhelm und warf als Kompromiss einen Grundsteuer-Hebesatz von 700 Prozent in die Debatte. „Weil wir zudem noch ehrlich sind, sagen wir jetzt schon, dass selbst diese Erhöhung nicht ausreichen wird. um nur das Notwendigste zu erledigen.“
Silvia Glomski (Grüne) hielt „mindestens hundert Prozentpunkte“ unter den vorgeschlagenen 785 Prozent für angemessen - damit standen 685 Prozent im Raum. Sie forderte eine Auflistung der bisherigen freiwilligen Leistungen und begab sich in die Gesellschaft der sechs Kreistagsfraktionen, die ebenfalls, unter Mitwirkung der Grünen, eine Einsparliste durchsetzten. Dass deshalb Siegtal Pur abgesagt wurde, bedauerte die Grünen-Sprecherin nicht allzu sehr: „Im Endergebnis entlastet es auch unsere Kommune von Kosten und Personaleinsatz bei diesem Ereignis.“ Zum Thema machte Silvia Glomski auch das dritte Parkdeck über dem Rewe-Markt, für das die Stadt jährlich 54.000 Euro aufbringt. Dort könnten Photovoltaikanlagen und Ladesäulen für E-Fahrzeuge aufgestellt werden. Um mehr Autofahrer zum Parken auf dieser meist leeren Etage zu bewegen, sollten auf dem Rathausplatz Parkgebühren eingeführt werden.
Louis Roth (FDP) signalisierte im Laufe der Debatte Zustimmung zu einer „moderaten Erhöhung“ der Grundsteuer und rückte damit - wie die SPD - von der Ankündigung ab, den Haushalt abzulehnen. Roth forderte einen „detaillierten Überblick“ über die 5,1 Millionen Euro, die die Stadt für die Bewirtschaftung und Unterhaltung ihrer Grundstücke ausgibt. „Auch die Stadtverwaltung muss ein deutliches Signal senden, dass sie bereit ist, selbst Einsparungen zu treffen und nicht jede Kostensteigerung auf den Rücken seiner Bürger abzuwälzen.“
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