Siegerland. Erstes und einziges E-Bike-Sharing-Unternehmen der Region steht vor dem Aus. Nachfrage nach Leih-Pedelecs bleibt weit hinter Erwartungen zurück

Das erste und bislang auch einzige E-Bike-Sharing-Unternehmen der Region steht vor dem Aus. Auf Antrag der Geschäftsführung wurde für Velocity Siegerland das vorläufige Insolenzverfahren beantragt. Die Gesellschafter waren angesichts sehr schlechter Zahlen nicht bereit, eine weitere Finanzierung zu schultern, heißt es auf Anfrage vom vorläufigen Insolvenzverwalter.

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Dazu wurde der Siegener Dr. Philip Heinke, der in Köln bei der Kanzlei Jaffé Rechtsanwälte Insolvenzverwalter tätig ist, bestellt. Noch sei das Verfahren nicht eröffnet, so ein Sprecher des Juristen: Wie es weitergeht, hänge davon ab, ob sich jemand findet, der bereit ist, Geld ins Unternehmen zu stecken. Und da sehe man derzeit, obwohl noch ganz am Anfang, viele Fragezeichen.

Velocity Siegerland: Nachfrage nach E-Bikes ist deutlich hinter Erwartungen zurückgeblieben

Ein Grund sei demnach der um ein Jahr verzögerte Start von Velocity Siegerland gewesen. Die Gründung des Startups fiel 2021 mitten in die Corona-Pandemie, Produktionsbeschränkungen vor allem im asiatischen Raum führten zu erheblichen Lieferproblemen bis hin zu unterbrochenen Lieferketten. Das betraf auch den Siegerländer Pedelec-Verleih: Die Fahrräder kamen nicht an, das Unternehmen verlor gegenüber der Planung nahezu ein ganzes Geschäftsjahr.

Ein weiterer Grund: Die ursprünglich geplanten Zahlen der E-Bikes sei bis heute nicht erreicht worden. Angetreten war Velocity Siegerland mit dem Ziel, 240 Pedelecs und 60 Lastenräder an den Ausleih- und Ladestationen in der Region bereitzustellen. Bei den Lastenrädern, die mehrheitlich nach Ende der Corona-Pandemie ausgeliefert wurden, wurde das erreicht. Aktuell gebe es aber mit 99 Pedelecs deutlich weniger als angestrebt.

Maßgeblich für die Probleme dürfte aber der dritte Grund gewesen sein: Die Nachfrage ist deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Und zwar derart, dass Monat für Monat Verluste eingefahren würden, so der Sprecher des vorläufigen Insolvenzverwalters weiter. Die Liquidität des Unternehmens sei so belastet, dass die Gesellschafter – das „Mutterunternehmen“ Velocity Mobility aus Aachen, der Siegerlandfonds und die Geschäftsführung – sich dazu entschieden hätten, nicht weiterzufinanzieren. Startups beginnen in der Regel mit einer Startfinanzierung, die Gesellschafter entscheiden dann im Verlauf anhand der Zahlen und der Prognosen, ob sie weiter finanzieren oder nicht. Da die Verluste die Umsätze „bei Weitem“ überschritten hätten, habe man sich hier dagegen entschieden. Die Lage sei derart unsicher, dass Ausleihen ab sofort nicht mehr möglich sind: Nicht dass Fahrräder unterwegs liegen bleiben, etwa weil sie an den abgeschalteten Stationen nicht mehr aufgeladen werden können.

Wie beim Auto, so beim E-Bike: Sharing-Systeme setzen sich in Siegen und Siegerland nicht durch

Die Rede ist von bis zu 20 Nutzern pro Tag: Bei schlechtem Wetter. Bei gutem Wetter: Bis zu 100. Aber angesichts dessen könne man kaum von einer Massenbewegung sprechen. Dabei ist das E-Bike auch im Siegerland ein durchaus häufig frequentiertes Verkehrsmittel. Immer mehr Menschen fahren Pedelec, das zeigen der Radwegeausbau, überfüllte Hauptradwege wie unter der HTS in Siegen oder die Markierung einer Umweltspur auf der Hauptverkehrsachse zwischen Siegen und Geisweid. Aber wie schon beim Auto – die spärlichen und auch eher kümmerlichen Carsharing-Angebote konnten sich nie lange halten – scheint das Ausleihen trotz dichten Stationsnetzes im Siegerland keine Option zu sein.

Ein umweltfreundliches und nachhaltiges Mobilitätsangebot, das gut zu der anspruchsvollen bergigen Topographie von Siegen passte.
Steffen Mues, - Bürgermeister

Velocity Siegerland bietet zwar „Stationspatenschaften“ an, bei denen Unternehmen und Institutionen Kontingente für ihre Beschäftigen vereinbaren konnten. Aber auch das reicht offenbar als „Ankermieter“ nicht aus, die äußerst geringe Nachfrage zu kompensieren. Womöglich spielt die Zeitverzögerung hier eine Rolle: Als das E-Bike „groß“ wurde, konnte das Bike-Sharing noch nicht an den Start gehen, also kauften die Menschen sich eigene. Inzwischen hat sich neben dem Kaufen auch das Leasing etwa über Arbeitgeber stark verbreitet.

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Siegens Bürgermeister Steffen Mues bedauert die Entwicklung: „Velocity hat mit seinem E-Bike-Verleihsystem als erster Anbieter ein umweltfreundliches und nachhaltiges Mobilitätsangebot in unsere Stadt gebracht, das gut zu der anspruchsvollen bergigen Topographie von Siegen passte.“ Das „gute, bereichernde und hochwertige Angebot“ habe mit dazu beigetragen, dass der Anteil der Radfahrerinnen und Radfahrer weiterhin stetig zunehme. „2024 wäre das Jahr gewesen, in dem Velocity nach Fertigstellung der E-Bike-Verleihstationen hätte durchstarten können.“ Offensichtlich sei aber die Diskrepanz zwischen Nutzerzahl und Nutzungsentgelt für einen betriebswirtschaftlich darstellbaren Betrieb doch zu groß gewesen.