Siegen. Zum Ballett fanden sie unabhängig voneinander, doch über das Ballett fanden sie zusammen: Larissa Meister und Igor Michailov aus Siegen.

„Wir sind sehr zufrieden hier“, sagt Larissa Meister. Mit „hier“ meint sie das neue Domizil ihrer Ballett Meister Schule in der Hagener Straße, direkt über dem Supermarkt „Kaufland“. Eine reiche Auswahl an Parkplätzen macht es Eltern leicht, ihre Kinder zum Unterricht zu bringen, wieder abzuholen und in der Zwischenzeit in Ruhe einzukaufen. Und wer mit dem Bus kommt: Von der Haltestelle sind es nur wenige Meter zu den beiden Unterrichtssälen, den reichlich vorhandenen Umkleideräumen. Die haben Larissa Meister und Igor Michailov bezogen, nachdem ihnen vor zwei Jahren die vorherigen Räume am Weidenauer Hauptmarkt gekündigt worden waren.

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Larissa Meister, geboren in der Zwei-Millionen-Stadt Almaty, der früheren Hauptstadt Kasachstans, das damals noch ein Teil der Sowjetunion war, begann ihre tänzerische Ausbildung an der dortigen Ballett-Akademie. Da war sie zehn Jahre alt. „Auf eine Stelle gab es sicherlich 100 Bewerberinnen“, erinnert sie sich und auch daran, dass sie schon mit 17 Jahren ihre Ausbildung abschließen konnte und sofort ein erstes Engagement, auch als Solistin, bekam. Das war 1978 in ihrer Heimatstadt Almaty. Danach – jede Tänzerin/jeder Tänzer hatte sich verpflichten müssen, mindestens zwei Jahre in der Ausbildungs-Compagnie zu bleiben – wechselte Larissa nach Krasnojarsk, eine der Metropolen Sibiriens, („Dort war gerade ein nagelneues Theater eröffnet worden“) und anschließend zum Moskau Ballett in die Hauptstadt der Sowjetunion.

Siegen: Ballett Meister Schule – neuer Lebensmittelpunkt nach Engagements in aller Welt

Einen ähnlichen Ausbildungsweg hatte auch Igor Michailov. In Moskau geboren, wurde er mit zehn Jahren in die Ballett-Akademie des weltberühmten Bolschoi-Theaters aufgenommen. Auch dort gab es viele Anwärter für einen Platz. Doch für Igor war klar: „Da will ich hin, denn schon im Kindergarten habe ich viel getanzt.“ Auch hier war die Ausbildung hart: Jeden Tag mindestens anderthalb Stunden Ballett-Training und neben dem normalen Unterricht noch Musikschule. Denn jeder Ballett-Schüler wurde auch an Instrumenten ausgebildet. Und auch Igor bekam sofort ein Engagement: In der Compagnie des Moskau Ballett, wo er Larissa traf, sie kennen und lieben lernte und sie 1984 heiratete.

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Es folgten Engagements in allen Teilen der damals noch riesigen Sowjetunion und rund um die Welt: Mongolei, Frankreich, Indien, Mexiko, Nepal… Auf Bühnen in fast allen Erdteilen traten sie auf. „Leider aber nicht in Australien“, bedauert Larissa noch heute. Und immer gemeinsam bis auf eine Ausnahme. „Ich war schwanger und Igor musste ohne mich reisen“, sagt sie. 1986 gebar Larissa die gemeinsame Tochter Anna, war aber schon nach nur drei Monaten bei der Tournee durch Portugal wieder dabei: „Die Oma hat’s gerichtet“. In diese Zeit fiel auch das erste Gastspiel des Moskau Balletts in Deutschland, bei dem auch ein Auftritt in der Siegerlandhalle auf dem Tourneeplan stand. „Mit einem klassisch geprägten Gala-Programm“, erinnert sich Igor. Anfang der 1990er Jahre änderten sich die Inszenierungen ihrer Compagnie auch in Richtung Tanztheater. „Wir durften diesen spannenden Weg zum moderneren Tanzen und auch in Richtung Jazz mitgehen. Wir haben dabei viel gelernt, neue Erfahrungen gesammelt und konnten uns weiterentwickeln“, erinnern sich Larissa und Igor – und über den Tellerrand blicken: Was machen die Italiener, Franzosen, Amerikaner.

Ballett Meister Schule Siegen: Kostüme aus dem Fundus von Hans Carrasz

20 Jahre dauerte der gemeinsame künstlerische Weg auf den Bühnen der Welt. „Man kann dann noch tanzen, aber nicht mehr wie früher. Schon mit über 35 noch Verträge zu bekommen, ist nicht leicht. Will man das?“, fragten sich Larissa Meister und Igor Michailov. Ihre Antwort: „Wir nicht.“ Zumal Ballett-Tänzer in Russland schon mit 40 Jahren Rentenanspruch haben. Nach einem Engagement am Theater in Bonn arbeiteten sie auf einem anderen Feld weiter. Igor bekam eine Stelle als Trainings-Meister am Theater Hagen, Larissa an der Hagener Musikschule als Ballett-Pädagogin. „Ich habe dort mit zwei Kindern begonnen und hatte nach vier Jahren 200“, sagt sie. In Hagen lernten sie den auch in Siegen unvergessenen Werner Hahn kennen, mit dem Igor einige gemeinsame Projekte mit Jugendlichen startete (Auch später in Siegen arbeiteten sie mit Werner Hahn eng zusammen: Er moderierte ihre Ballettabende im Apollo, Larissa entwickelte die Choreografie für Werner Hahns glanzvolles „Im Weißen Rössl“). Schwieriger wurde ihre Situation, als Igor ein Angebot annahm, als Ballettmeister in Frankfurt zu arbeiten. Larissa in Hagen, Igor in Frankfurt, eine Distanz von fast 200 km geht auf Dauer nicht. Larissa wusste: „Siegen liegt genau dazwischen.“ Ihre neue Heimat war gefunden.

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Ballett hat in der Rubensstadt durchaus Tradition. Das lag vor allem an Hans Carrasz, einem Tänzer, Choreografen und Kostümbildner, der seit 1971 in der Sandstraße eine Ballettschule betrieb, jedoch aus Altersgründen Nachfolger suchte und Kontakt zu Larissa und Igor aufnahm. Sein plötzlicher Tod im Jahr 2005 zerschlug jedoch diese Pläne und beide gründeten im gleichen Jahr in Weidenau ihre Ballett Meister Schule. Einige der Auftrittskostüme, die Hans Carrasz alle selbst entworfen und genäht hatte, haben im lichtdurchfluteten Foyer ihrer Schule einen Ehrenplatz gefunden. Die anderen Kostüme, die sie vom Carrasz-Fundus übernehmen konnten, hängen in Lagerräumen an langen Kleiderstangen, um dann bei Auftritten präsentiert zu werden.

Ballett Meister Schule Siegen: Hoffnung auf neue Impulse für die Region

Bis zu 200 Schülerinnen und Schüler besuchten die unterschiedlichen Kurse der Ballett Meister Schule in den Jahren vor Corona. „Vor allem der zweite Lockdown von sieben Monaten hat uns manchen Zahn gezogen. Denn Ballettunterricht über Zoom geht überhaupt nicht“, sagt Igor Michailov. Inzwischen steigen die Schülerzahlen, haben aber das alte Niveau noch nicht wieder erreicht.

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Larissa und Igor freuen sich über die Kooperation des Apollo-Theaters mit der Dance Company des Stadttheaters Osnabrück, bei der ihre Ballett Meister Schule neben der Ballettschule Reindt und der Tanzschule AkzepTanz beteiligt ist. „Siegen tanzt zu neuen Ufern“, lautet das Motto dieser Zusammenarbeit, von der neue Tanzimpulse für die gesamte Region ausgehen werden. Dabei wird es auch ein Wiedersehen geben: Denn eine der professionellen Tänzerinnen der Dance Company Osnabrück wurde in Siegen ausgebildet: Von Larissa Meister und Igor Michailov.

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