Siegen. Lipödem ist eine Krankheit, schmerzhaft für Körper und Seele. Den Patientinnen könnte eine frühe Operation helfen. Doch Kassen zahlen erst spät.
Schmerzen. Einschränkungen im Alltag. Psychische Belastungen. „Reiterhosen-Syndrom“, wie das Lipödem im Volksmund oft genannt wird, klingt viel harmloser, als die Krankheit dahinter es ist. Viel Leid ließe sich bei den Betroffenen vermeiden, wenn die Krankenkassen ihre Vorgaben in diesem Bereich ändern würden, ist Privatdozent Dr. Thomas C. Pech, Chefarzt der Abteilung Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie am Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen, überzeugt.
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Lipödem ist eine Fettverteilungsstörung. Vor allem in den Beinen, zunächst vor allem in den Oberschenkeln (daher „Reiterhosen-Syndrom“), sammelt sich Fettgewebe an. Es kann sich bis zu den Knöcheln erstrecken, wobei diese und die Füße „normal geformt“ bleiben, wie der Experte erläutert. Auch die Arme können über die volle Länge betroffen sein, Hände und Handgelenke sind dann allerdings analog zu den Füßen optisch unauffällig. Unterschieden werden drei Stadien: Im ersten verhärtet das Unterhautfettgewebe, bleibt aber gleichmäßig verteilt und die Haut erscheint glatt. Im zweiten Stadium sind im Fett unter der Haut kleine Knötchen tastbar, die Oberfläche bekommt Dellen („Orangenhaut“). In Stadium 3 gibt es teils große Knoten unter der Haut, die Oberfläche wird ungleichmäßig, Hautlappen hängen herunter.
Siegen: Lipödem verursacht Schmerzen, Erschöpfungszustände, seelisches Leid
Optisch stechen die Veränderungen ins Auge, stärkere Ausprägungen sind mit Kleidung kaum zu kaschieren. Die kosmetischen Aspekte können für die Patientinnen – es sind nahezu ausnahmslos Frauen betroffen – psychisch überaus belastend sein. Doch es handelt sich primär um eine ernstzunehmende körperliche Erkrankung, „Lipödem ist vor allem ein medizinisches Problem“, betont der Experte. Es treten teils heftige stechende und brennende Schmerzen auf, die unter Belastung zunehmen. Die Gelenke an Beinen und Füßen können in Mitleidenschaft gezogen werden, weil das überschüssige Fettgewebe normale Bewegungen unmöglich macht. Weil die Haut an den Beinen beim Gehen aneinander scheuert, kann sie wund werden und sich entzünden. Außerdem kann sich zusätzlich ein Lymphödem bilden. Ein mögliches Begleitsymptom der Erkrankung sind darüber hinaus chronische Erschöpfungszustände.
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Die Ursachen des Lipödems sind nach wie vor unbekannt, sagt Thomas Pech. Für gewöhnlich trete es in der Pubertät auf, aber auch im Zusammenhang mit Schwangerschaften oder in den Wechseljahren – also immer dann, wenn es im weiblichen Körper zu Hormonumstellungen kommt. Ein Problem sei, dass die Krankheit häufig nicht richtig diagnostiziert werde, weil viele Ärzte sie nicht wirklich auf dem Schirm hätten. „In den letzten zehn Jahren hat sich da viel getan“, sagt Thomas Pech. Doch es komme immer noch vor, dass Hausärzte den Betroffenen sagen würden „nehmen Sie doch ein bisschen ab“. Hilfreich sei dieser Tipp nicht, denn „es geht nicht“, erklärt der Fachmann. „Krankhaftes Fettgewebe können Sie nicht abnehmen.“ Lipödem kann zwar gemeinsam mit Adipositas auftreten – muss aber nicht. Lipödem unterscheidet sich von „herkömmlichem“ Übergewicht unter anderem dadurch, dass der Körper nicht im Ganzen zunimmt, sondern unverhältnismäßig nur an bestimmten Stellen; Beine und Arme erscheinen unproportioniert im Vergleich etwa zum Torso.
Siegener Experte für Lipödem: Konservative Behandlung hilft nicht allen Patientinnen
Die konservative Behandlung besteht insbesondere in der Nutzung von Kompressionsstrümpfen und manueller Lymphdrainage beim Physiotherapeuten, sagt Thomas Pech. „Manche Patientinnen sagen, es hilft ein bisschen. Anderen bringt es nichts.“ Erst ab Stadium 3 bezahlen die Krankenkassen operative Maßnahmen, wie sie auch Dr. Thomas Pech vornimmt. Per Fettabsaugung, sogenannter Liposuktion, wird das schmerzende überschüssige Gewebe aus den Beinen und gegebenenfalls den Armen entfernt. Natürlich ist das ein größerer Eingriff, aber „gut handzuhaben“, wie der Arzt erklärt. „Die Patientinnen sind meist nach 24 Stunden wieder mobilisierbar und können erste Schritte gehen. Die meisten sind nach zwei Wochen wieder gut zu Fuß.“ Und nach sechs Wochen „habe ich oft Patientinnen mit einem breiten Grinsen vor mir sitzen, die sagen; ,Die Lipödem-Schmerzen sind weg.’“ Viele können auch wieder viel aktiver am Leben teilnahmen, weil die Fetteinlagerungen, die die Beweglichkeit einschränken, weg sind.
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„Die Krux ist allerdings: Bei Stadium 2 werden Operationen nicht von der Krankenkasse bezahlt“, sagt Thomas Pech. Derzeit laufe eine großangelegte Studie, deren Ergebnisse zu einer Neubewertung führen und Patientinnen zu früheren Eingriffen verhelfen könnten. Aus Sicht des Experten wäre das sehr wünschenswert. Grundsätzlich könnten Betroffene die Absaugung zwar jederzeit vornehmen lassen, müssten die Kosten dann aber privat tragen. „Bei zwei Operationen – einmal Vorder-, einmal Rückseite der Beine – sind Sie da schnell im fünfstelligen Bereich.“ Wer sich das nicht leisten könne, „muss leider warten“. Damit verlängere sich aber nicht nur die Leidenszeit, sondern die Probleme würden auch größer.
Lipödem: Krankenkassen bezahlen Fettabsaugung erst ab dem höchsten Stadium
Als fortschreitende Krankheit werde Lipödem in aller Regel immer von Stadium 1 in 2 und dann in 3 übergehen, erläutert der Mediziner – auch wenn das Tempo von Fall zu Fall variieren könne. Je mehr Volumen die Fett-Einlagerungen erreichen, umso mehr dehnt sich aber die Haut. Um so größer sind in der Folge die überschüssigen Hautlappen nach der Absaugung, die sich von selbst nicht wieder straffen und deren operative Entfernung Krankenkassen auch nur selten bezahlen. Von kosmetischen Nachteilen abgesehen, sind solche Hautlappen auch medizinisch alles andere als gut: Gerade im Sommer sammelt sich darunter Feuchtigkeit, das Risiko für Ausschläge und Pilzerkrankungen ist in diesen Hautfalten erhöht.
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Eine Absaugung in früheren Stadien könne den Patientinnen viel Leid ersparen, ist Thomas Pech überzeugt. Der Eingriff habe dabei langfristig positive Wirkung. „Im Optimalfall“, sagt der Medizinier, „kommt das Lipödem an komplett behandelten Beinen nicht wieder.“ Anders als bei der konservativen Therapie, deren Kosten auf die Jahre der Erkrankung gerechnet unterm Strich übrigens auch nicht günstiger seien als eine Liposuktion, würden nämlich „nicht nur die Symptome behandelt, sondern die Ursachen beseitigt.“
Siegen: Experte für Lipödem referiert am Diakonie Klinikum Jung-Stilling
Dr. Thomas C. Pech referiert am Donnerstag, 14. September, ab 19 Uhr beim „Siegener Forum Gesundheit“ über Symptome, Diagnose, konservative und operative Behandlungsmethoden bei Lipödem. Die Teilnahme an der Veranstaltung in der Caféteria des Diakonie Klinikums Jung-Stilling ist kostenlos möglich. Wegen des begrenzten Platzangebots ist eine Anmeldung unter 0271/5003131 oder via E-Mail an selbsthilfe@diakonie-sw.de erforderlich. Der Vortragsabend wird von einer Gebärdendolmetscherin begleitet.
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