Siegen. . Kirsten Urbanietz hat einen Schlauchmagen. Damit veränderte sich ihr Leben: Ihr Weihnachtsmenü zum Beispiel ist ein halbes Lachsbrötchen.

Ein halbes Lachsbrötchen. Das ist das Weihnachtsmenü von Kirsten Urbanietz. „Man isst viel bewusster“, sagt Sandra Graf-Steinbrück, die vor zwei Jahren eine Magenbypass-Operation hatte und heute ihr Normalgewicht hält. Fast 150 Kilogramm wog sie damals, Kirsten Urbanietz um die 100, die Frauen hatten Adipositas, krankhaftes Übergewicht.

Gerade zu Weihnachten – überall Essen. Glühwein, Plätzchen, Festtagsmenüs, Schoko-Nikoläuse. Früher, vor der OP, war es besonders schlimm. „Nach Weihnachten war die Psyche immer im Keller“, sagt Graf-Steinbrück, wenn es an die guten Vorsätze für das neue Jahr ging und sie wieder fünf Kilo mehr wog.

Das ist halt so bei Adipositas, „manche futtern und nehmen nicht zu, bei anderen setzt sich die kleinste Portion sofort auf die Rippen“, sagt Kirsten Urbanietz. Ihr Orthopäde hatte ihr die Pistole auf die Brust gesetzt: Wenn sie nicht abnehme, sei ihre Gesundheit ernstlich gefährdet. „Ich bin als dickes Kind auf die Welt gekommen“, sagt Kirsten Urbanietz, „ich habe immer gehungert, sämtliche Diäten ausprobiert“ – die Polster kehrten immer wieder. Jojo-Effekt. Wer sie heute sieht, könnte kaum auf die Idee kommen, dass sie über 100 Kilo auf die Waage brachte.

Nicht einmal eine ganze Kartoffel

Sie wandte sich an die Selbsthilfegruppe und Sandra Graf-Steinbrück und wurde schließlich operiert. „82 Prozent der Menschen denken, wir sollten einfach weniger fressen“, sagt Sandra Graf-Steinbrück. „Nehmen Sie halt ab“, bekam sie zu hören. Viele schämen sich, trauen sich kaum noch unter Leute.

„Ich passe mich dem Essen der anderen an“, sagt Kirsten Urbanietz heute, wenn sie nur für sich selbst kochen würde, wäre das nicht einmal eine ganze Kartoffel. „Wir haben einen Hund, der frisst die Reste“, lacht Graf-Steinbrück. „In der Frittenbude bestelle ich nichts, ich nehme ein paar Pommes, den Rest isst mein Mann“, sagt sie.

Zuckerschock durch Gummibärchen

Wenn überhaupt. Die OP hat etwas verändert. „Vorher waren Pommes quasi mein Lebensinhalt“, sagt Graf-Steinbrück, eine 750-Gramm-Portion – kein Problem.“ Heute? Überhaupt nicht mehr. „Ich habe kein Problem damit, anderen beim Essen zuzugucken.“ Ihre Familie frühstückt Brötchen, sie bleibt bei ihrem kleinen Rosinen-Apfel-Nuss-Brot mit Quark.

Irgendwann purzelten die Pfunde, „irgendwann stellte ich fest: Ich habe Hüften“, sagt Urbanietz. Sie konnte wieder Kleidung kaufen, die ihr gefiel, einfach so, in jedem Geschäft. Sie fühle sich beschwingter, leichter. Weil das Gewicht nach den Diäten kurzzeitig herunterging und dann wieder hoch, hatte auch Sandra Graf-Steinbrück nur Billigkleidung gekauft, lange passte sie sowieso nie.

Die Ernährung ist anfangs anders, ungewohnt. Mit Zucker muss Sandra Graf-Steinbrück aufpassen. Weil die Nahrung direkt in den Dünndarm geht, kann es schnell zu einem Zuckerschock kommen. „Bei ein paar Gummibärchen muss ich schon aufpassen, weil ich merke, dass ich das nicht gut vertrage.“ Sich betrinken wird billig, „der Magen ist schnell voll“ – dafür hält die Wirkung nicht lange vor. „Man muss in sich hineinhören, was geht und was nicht“, sagt sie.

Verzicht ist kein Thema mehr

Verzicht? Keine Frage mehr für Urbanietz nach der Operation. „Ich konnte nichtmal mehr eine Tasse leertrinken“, sagt sie. Vor einem halben Jahr war das, inzwischen hat sie sich dran gewöhnt. „Früher habe ich mir das Beste am Essen für den Schluss aufgehoben“, erzählt die Kreuztalerin – das geht nicht mehr. Wenn sie essen geht, bestellt sie einen Kinderteller, wegen des psychologischen Effekts. „Ich esse nur das, was ich gerne möchte. Wenig, aber intensiver.“

Sandra Graf-Steinbrück und Kirsten Urbanietz sind längst „Uhus“, unter hundert Kilo. Urbanietz hat einen Schlauch-, Graf-Steinbrück einen Bypass-Magen (siehe Infobox). Den will Marianne Barthel auch, die Operation ist für das kommende Jahr geplant, gerade hat sie alle Bescheinigungen bei ihrer Krankenkasse eingereicht und wartet nun auf die Kostenübernahme.

Unterschied der Eingriffe

  • Magenbypass:Magenbypass: Der Magen wird knapp unterhalb des Eingangs abgetrennt, es bleibt ein Restmagen, „Pouch“, der rund 15 Milliliter fasst. Angeschlossen wird ein Ende an den Dünndarm, das andere so umgeleitet, dass Nahrung und Verdauungssäfte erst im mittleren Dünndarm vermengt werden – hier beginnt die Aufspaltung der Nahrungsbestandteile. Es können also nicht alle Nahrungsbestandteile zerlegt werden, der Körper bekommt weniger Nährstoffe.
  • Schlauchmagen:Schlauchmagen: Ein Teil des Magen wird abgetrennt und entfernt, sodass ein Restmagen von rund 85 bis 100 ml im Körper verbleibt.

Erfahrungen machen Mut

Die Erfahrungen der anderen in der Selbsthilfegruppe haben ihr Mut gemacht. Man kann weiter alles essen – nur weniger; sagen alle. „Ich will das für meine Gesundheit und für meine Zufriedenheit“, sagt die Siegenerin. Tanzen gehen oder im Café auf einem Stuhl mit Armlehnen sitzen, das wünscht sie sich. „Ich habe früher jeden Stuhl untersucht, ob er wackelt“, sagt Kirsten Urbanietz. „Im Krankenhaus sind die MRT-Geräte nur bis 130 Kilo ausgelegt“, sagt Graf-Steinbrück.

Wenn sie auf der Straße Menschen mit starkem Übergewicht sehe, denke sie oft „so sah ich auch aus“, sagt Kirsten Urbanietz. Dann habe sie das Bedürfnis, von ihrer Erfolgsgeschichte zu erzählen. „Aber mit welchem Recht kann ich den Leuten das vorschreiben?“ Aber das Leben verändere sich, es werde besser, sagt Sandra Graf-Steinbrück, „keiner sagt, dass es durch die OP schlimmer geworden ist. Sondern dass sie sie früher hätten machen müssen.“

>>INFO: Die Siegener Selbsthilfegruppe

Die Selbsthilfegruppe trifft sich jeden zweiten und vierten Montag im Monat von 18 bis 20 Uhr im DRK-Heim an der Augärtenstraße 2 in Kaan-Marienborn. Sie unterstützt Menschen mit Adipositas im Alltag, etwa mit Sportangeboten, berät zu Fragen wie einer möglichen Magenverkleinerung und bietet Austausch. „Allein das Gefühl zu sehen ,Ich bin nicht die einzige Dicke hier’“, sei sehr wichtig, sagt Marianne Barthel.

„Man muss nicht alles selbst zusammensuchen, etwa die Formulare für die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse“, sagt Sandra Graf-Steinbrück.

Unterstützung nach Magenoperation

Unterstützung ist für viele Betroffene auch nach einer Magenoperation wichtig, etwa wenn es um die Umstellung der Ernährung geht – „man wird nicht am Kopf operiert“, sagt Graf-Steinbrück. Auch in Fragen zu Wiederherstellungsoperationen kann die Selbsthilfegruppe unterstützen.

Um für eine Operation zugelassen zu werden, wenn konservative Methoden zur Gewichtsreduktion nichts gebracht haben, benötigen Betroffene drei Voraussetzungen:

  • Ernährungsberatung,
  • Sport, abhängig von Vorerkrankungen,
  • Psychologische Begutachtung und Aufklärung.
  • Kontakt: Sandra Graf-Steinbrück,0163/8424230 oder 0271/23572935 oder per Mail an SHG-Siegen@gmx.de
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