Burbach. . 220 Kilo bringt Sabine Llulluni 2013 auf die Waage, heute noch 80. Die Burbacherin erzählt vom Leben mit Adipositas – und den Problemen danach.
- 2013 wiegt Burbacherin 220 Kilogramm, ihr wird gekündigt, die Tochter muss im Alltag helfen
- Nach einer Magenbypass-Operation braucht sie aufgrund von Spätfolgen zwei Jahre für Gemesung
- Heute kämoft sie um Anerkennung von Adipositas als Krankheit – und um eine Arbeitsstelle
Die Magenverkleinerung hat Sabine Llullunis Leben gerettet. Und sie finanziell ruiniert. Über 220 Kilo wog sie, ein Body-Mass-Index von 172. Heute wiegt die 48-Jährige weniger als 80 Kilo. Gesund ist sie zwar, weitgehend, auch wenn eine solche Operation lebenslange Disziplin fordert und es immer wieder zu Spätfolgen kommen kann. Aber sie weiß nicht, wie sie ihre Rechnungen bezahlen soll. Denn bis Llulluni so gesund war, dass sie wieder arbeiten konnte, vergingen Jahre. Früher passte sie nicht in die Kinosessel, heute fehlt ihr das Geld für eine Nachmittagsvorstellung.
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Sabine Llulluni war immer schon dick, das fing in der Pubertät an. Eine Schilddrüsenerkrankung, die nie erkannt wurde; „ich bin aber auch nie zum Arzt gegangen“, gibt sie zu. Sie ist dankbar, dass sie nun wieder in die Dusche passt, normale Kleidung tragen kann. Aber sie möchte warnen vor den Gefahren. Llulluni ist eine elegante Erscheinung mit gerader Haltung, ehrlichen Augen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund.
2008 flatterte die Kündigung ins Haus, ein Schock. Die Altenpflegerin war immer gern arbeiten gegangen. Nun war sie Zuhause. Das war in Ordnung, den Haushalt bekam sie halbwegs auf die Reihe. Den Garten im Grunde schon nicht mehr. Sie bewarb sich neu, schrieb 220 Bewerbungen. Die Reaktionen: immer ähnlich. „Äh, ja, aber...“, in fast jedem Vorstellungsgespräch. Ausflüchte. „Ich frage doch nicht vorher, ob die auch Dicke einstellen“, sagt Llulluni.
Irgendwann schulte sie um, zur Kauffrau im Gesundheitswesen, nach drei Jahren hatte sie ihren Abschluss. Aber einen Job bekam sie trotzdem nicht.
Labrador Sunny
Der Alltag wurde immer schwieriger. „Blutdruckmessen beim Arzt – geht nicht“, sagt Llulluni. Eine findige Schwester verband zwei Manschetten. Auf die Waage steigen – ging nicht. Sie musste runter zur Post in die Ortsmitte, auf die Paketwaage. Vor allen Leute, die in der Schlange warteten. Llulluni schämte sich fürchterlich, die Leute tratschten über sie, „alle redeten über mich, aber keiner mit mir“. Kochen musste sie im Sitzen.
Dabei war Sabine Llulluni noch vergleichsweise fit. Denn sie hatte sich einen Hund gekauft – Sunny, ein Labrador. Auch er hat irgendwie ihr Leben gerettet. Sie blieb auf den Beinen, musste regelmäßig mit ihm vor die Tür, trotz mehr als vier Zentnern Gewicht. „Man rostet ein, wenn man nur auf dem Sofa sitzt“, sagt Llulluni. Die Nachbarn tuschelten. In Burbach war sie nur die dicke Frau mit dem Hund. Sunny gab ihr Halt, eine Aufgabe. Der Rüde liegt neben dem Wohnzimmertisch und guckt aus treuen Hundeaugen auf sein Frauchen.
Der Arzt gibt ihr noch zwei Jahre
Irgendwann kam der Wendepunkt. „Mama, ich kann nicht schlafen. Du schnarchst“, sagte ihre Tochter. Das Mädchen hatte die Atemaussetzer der Mutter mit dem Handy aufgenommen. „Ohne die OP wäre ich nicht mehr da“, sagt Sabine Llulluni. „Ich hätte den 18. Geburtstag meiner Tochter nicht erlebt.“
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Sie ging zum Arzt und der gab ihr noch zwei Jahre, höchstens. Dann wäre sie wohl an multiplem Organversagen gestorben. Zuletzt hatte Sabine Llulluni auf dem Boden schlafen müssen, sie kam nicht mehr in die Dusche, auf der Toilette musste ihr die Tochter, damals im Teenageralter, behilflich sein. Die anderen Kinder hänselten das Mädchen, weil sie so eine fette Mutter hatte. Zu Kindergeburtstagen ging sie nicht, das Geld für ein Geschenk fehlte. Als die Operation anstand, im Mai 2013, saß die Jugendliche stundenlang alleine im Flur der Klinik.
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Das Leben nach der OP war schwer, sagt sie. Weil sie keine Familie hat und alleinerziehend ist.
Denn mit der OP war nur der Anfang gemacht. Im Mai 2013 bekam Llulluni den Schlauchmagen, damit begannen die Komplikationen: Sie hatte einen Zwerchfellbruch. Wieder wurde sie operiert, bekam nun einen Magenbypass. Sie erholte sich nur langsam, war zu schwach für die Arbeit. „Der Körper ist fertig nach 140 Kilo abnehmen“, sagt sie. Im Verlauf von zwei Jahren war sie zehnmal im Krankenhaus, mehr in der Klinik als Zuhause. OP, wieder Pause, erneute Komplikationen, Reha. Warten auf Gelder von Ämtern, Bescheide der Rentenversicherung.
Ihr Körper veränderte sich. Haut bildet sich nicht zurück, dazu sind angleichende Operationen nötig. „Meine Brüste waren wie leere Tüten“, sagt Llulluni, wenn sie den Reißverschluss der Hose hochzog, klemmte sie die Bauchfalten ein. In den Beinen sammelte sich Wasser, „ich hätte verzweifeln können“, sagt Llulluni. Viele Patienten landeten in der Psychiatrie.
Die Psyche entwickelt sich anders als der Körper
Und trotzdem: Irgendwann ging es ihr besser. „Ich wusste nie, was Sattsein ist, ich habe dieses Gefühl erst mit 45 kennengelernt“, sagt Llulluni. Früher traute sie sich nicht mit Schlittschuhen aufs Eis, aus Angst, einzubrechen. Kürzlich hat sie es sich selbst bewiesen, obwohl sie riesige Angst hatte, „ein befreiendes Gefühl“. Eine Bank am Bahnhof kippte früher unter ihrem Gewicht um, heute bleibt sie stehen. Aber die Vorsicht bleibt.
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Denn die Psyche verändert sich nicht analog zum Körper, „mein Gleichgewicht hat manchmal das Gefühl, dass ich immer noch dieser Ball bin“, sagt Llulluni. Wie eine unsichtbare Hülle um sich herum beschreibt sie das. Im Klamottenladen sucht sie immer noch intuitiv zuerst nach XXL-Blusen.
Ihre Energie für andere Betroffene einsetzen
Nur einen Job bekam sie nicht, trotz Qualifikation. In ihrem Lebenslauf: Eine Lücke von zwei Jahren, in denen sie 140 Kilo abnahm, mit den OP-Folgen kämpfte. „Ich kann das ja nicht wegleugnen“, sagt sie. Jahrelang hat sie darunter gelitten, nicht als richtiger Mensch zu gelten, verlacht zu werden. Sie ist daran nicht kaputtgegangen. Ihre Energie will sie nutzen, für andere Betroffene.
„Dicke sind nur zu faul zum Abnehmen.“ Das meinen laut einer Umfrage 80 Prozent der Bevölkerung. 340 000 Menschen wurden zum Beispiel im Jahr 2011 am Magen operiert, in 350 Kliniken, von denen 44 zertifiziert sind für Magenverkleinerungen. Llulluni hat sich eingelesen und findet, dass das kein Zufall sein kann. Sie will kämpfen. Gegen mangelnde Aufklärung: Ja, eine Magenverkleinerung kann helfen. Aber es gibt Risiken. Und deswegen sollte man sich vorher überlegen, was im Ernstfall passieren muss. Denn das hatte sie nicht getan und es hatte ihr auch niemand dazu geraten. Sie hat eine Liste gemacht, säuberlich positive und negative Folgen aufgelistet.
- Positiv: Anderes Selbstwertgefühl, wieder aktiv werden, Kleidung von der Stange kaufen, sich selbst pflegen und stylen, weniger Diskriminierung, niemandem zur Last fallen.
- Negativ: Eingriff am eigentlich gesunden Körper, kein Nachsorgekonzept, Haarausfall, Kreislaufprobleme, Probleme beim beruflichen Wiedereinstieg, Mehrkosten für Ernährung (Vitamine), lebenslange Kontrolle.
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Die Weltgesundheitsorganisation erkennt Adipositas als Krankheit an, die Krankenkassen nicht. Llulluni will, dass man sie ernst nimmt, größere Stühle in die Praxen stellt und in die Busse einbaut. Es soll niemandem so ergehen wie ihr. Llulluni schreibt Politiker an, ist als Mini-Lobbyistin aktiv, wenn man so will. Nur dass ihr das Geld fehlt, um zu persönlichen Treffen zu reisen, etwa mit dem Gesundheitspolitiker Georg Nüßlein.
Vor allem gegenüber ihrer Tochter hat sie ein schlechtes Gewissen, nach wie vor. „Ich habe ihre Jugend gestohlen“, sagt Llulluni leise, „sie konnte nicht richtig Kind sein“. Ihre Freundin Anke Zapf legt ihr die Hand auf den Arm. „Sie ist dadurch stark geworden.“
>>>>INFO: Hilfe für Gleichgesinnte
Sabine Llulluni hat eine Selbsthilfegruppe gegründet, um aufzuklären. Zum Beispiel darüber, dass Adipöse einen Schwerbehindertenausweis beantragen können, weil sie nicht mehr weit laufen können, „das wissen viele nicht, erleichtert aber den Alltag“, sagt sie.
Ihr Fall soll auch als Warnung dienen: Sind die Kinder versorgt, die Tiere, kennt sich der Hausarzt mit dem Thema aus? Das müsse alles geregelt werden, vor der OP.
Die Gruppe trifft sich jeweils am ersten und dritten Donnerstag des Monats im Gasthaus Engel, in Wilnsdorf-Wilden, Freier Grunder Straße 32. Kontakt zu Sabine Llulluni: alischa2008@hotmail.de.
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